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Kunst lebt aus Freundschaften: Alfred Brendel und Imogen Cooper. Foto: Sven Lorenz
Kunst lebt aus Freundschaften: Alfred Brendel und Imogen Cooper. Foto: Sven Lorenz
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So könnte es was werden mit dem guten alten Klavierabend

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Das Klavier-Festival Ruhr ehrt Alfred Brendel zum 90. Geburtstag
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Für Überraschungen war Alfred Brendel schon immer gut. Auch jetzt wieder als Klavier-Festival Ruhr-Intendant Franz Xaver Ohnesorg seinem treuesten Festival-Pianisten (28 Auftritte, davon bis 2008 elf Recitals plus Meis­terkurse plus Lesungen plus Vorträge) mit seinem fünfteiligen „Brendel 90“-Zyklus ein budgetrelevantes Präsent zum runden Geburtstag geschnürt hatte: Fünf Pianisten, fünf Abende, fünf Programme, fünf Brendel-Bezüge und ein Jubilar, der gebeugt ging, der mit Stock ging, der aber ungebrochen lebendig und teilnehmend anwesend war an allen fünf Abenden. Dass Kunst aus Freundschaften lebt, war denn auch eine Lehre dieses im Düsseldorfer Schumannsaal zum Besichtigen wie zum Belauschen freigegebenen Geburtstagspräsents – aber es war beileibe nicht die Wichtigste.

Da war ja noch mehr. So wie in uns immer auch noch mehr ist. Alfred Brendel hatte es vorgemacht. 2009, nach seinem Rückzug vom Podium, hatte er sich als Autor und Vortragskünstler neu erfunden, hatte uns damit nicht wenig überrascht. Letzteres, so scheint es, gehörte, gehört überhaupt zu seiner Biografie. Kleine Rückblende. Als Joachim Kaiser, lang lang ist’s her, für seinen Klassiker „Große Pianisten in unserer Zeit“ noch unangefochten in der Rolle des Platzanweisers brillieren konnte, stand der damals 40-jährige Alfred Brendel eigentlich nicht auf seiner Rechnung. Irgendwie, meinte der strenge Kritiker, reiche es nicht für die erste Liga. Wie es dann kam, dass der Eintritt in den Pianisten-Olymp in diesem Fall doch noch gewährt wurde, gereicht dem hohen Anwalt des Kunstrichtertums, heute eine nahezu ausgestorbene Spezies, noch posthum zur Ehre. Was war geschehen? – Etwas Einfaches, Naheliegendes: Musikfreund Kaiser hatte schlicht und ergreifend seinen Ohren getraut und – hatte sich korrigiert. „Aber dann geschah etwas Ungewöhnliches, etwas, ehrlich gesagt, Unerwartetes.“

Solches geschah auch jetzt wieder – nur anders, aber ehrlich gesagt, erwartet hätte ich es im Leben nicht. Nicht bei, nicht auf einem Festival, das per definitionem den Konzert-Mainstream bedient, das die Musik als Geschichte durchgesetzter Meisterwerke erzählt, sie von der Seite ihrer virtuosen Ausführung, eben Kaisers „Großen Pianisten“ ausfaltet, was an dieser Stelle gar nicht zu kritisieren ist. Zumal die Anstrengungen ja unverkennbar sind, kraft derer sich ein vollständig aus privaten Mitteln finanziertes Klavier-Festival Ruhr nach Kräften zu erneuern sucht, indem es sich gegen das Glamourhafte heutigen Virtuosentums stemmt, indem es eine ehrliche Nachwuchsarbeit vorantreibt und indem es sich den digitalen Möglichkeiten der Vermittlung so intensiv öffnet, wie es das tut. Dies alles wird man in Rechnung stellen müssen und hätte doch zu konstatieren, dass eine Großbaustelle des Konzertbetriebs – sei es geflissentlich, sei es aus Ratlosigkeit oder aus welchen Gründen auch immer – umgangen wird. Was auf diesem Baustellenschild, falls es denn zur Aufstellung käme, zu lesen wäre?

Darüber hatten die fünf Pianisten an den fünf Düsseldorfer „Brendel 90“-Abenden ihrerseits durchaus verschiedene Auffassungen. Zwei von fünf Auftritten hielten sich an Verabredetes. Imogen Cooper hatte Beethovens Diabelli-Variationen mitgebracht, hatte davor Schönbergs Sechs kleine Klavierstücke op. 19 und Schubert-Ecossaisen positioniert. Wahrscheinlich dachte sie dabei schon an das titanische Meis­terwerk, das folgen sollte, waren doch Wagnis, Mut dieser Miniaturen im Sicherheitsspiel der „Grande Dame der englischen Klavierwelt“ (Franz Xaver Ohnesorg) irgendwie abhanden gekommen. Auch Anne Queffélec, die französische Pianistin, hatte ihren Abend auf einen Höhepunkt angelegt. Vom Wiener Geist, den sie („vor 50 Jahren“, wie sie bekannte) bei Alfred Brendel studiert hatte, steuerte sie entschlossen in den Esprit français, in dem sie zu Hause ist. Nach Haydns h-Moll, Mozarts B-Dur-Sonate kamen die „Miroirs“ von Maurice Ravel, gespielt zum Verlieben schön. Ihre Zugabe, eine Händel-Transkription von Wilhelm Kempff, führte den Bogen zurück, ließ freilich erkennen, dass auch diese wunderbare Pianis­tin nichts weiter wollte, als einen Klavierabend geben.

Wozu ein Klavierfestival sonst da ist? – Mit der Antwort, die Francesco Piemontesi darauf anzubieten hatte, wurde es ernst. Der Schweizer Pianist, der sein Klavier-Festival Ruhr-Debüt 2007 gegeben, daraufhin die Aufmerksamkeit von Alfred Brendel erregt hatte, in der Folge mit ihm arbeiten durfte (alles vermittelt, eingefädelt von Franz Xaver Ohnesorg) – Francesco Piemontesi hatte ein reines Schubert-Programm im Gepäck. Aber was für eines! Man kann sich diesen Pianisten getrost als Extremkletterer vorstellen: mit den späten Sonaten 15 (C-Dur D 840), 14 (a-Moll D 784) und 19 (c-Moll D 958) war seine Botschaft klar: Schubert ist ein zu Entdeckender, geht nicht auf im Schubertton, so wie wir uns ihn zurechtgelegt haben. Piemontesi führte uns an die Überhänge, in die Spalten dieser zerklüfteten Arbeiten, demonstrierte uns, dass sie weniger aus der Sonatenform gedacht sind als aus dem Prinzip der Montage von dynamisch-motivischen Gegensätzen und dass sie uns genau darin nah sind. Das Klavierprogramm, der Klavierabend, sagte Piemontesi, muss sich erneuern. Und dies ist mein Vorschlag.

„Fast zu ernst“

Kit Armstrong hatte auch einen zu machen. Der heute 30-Jährige war Dreizehn, als er von Alfred Brendel den Ritterschlag erhielt, was zu seiner kontinuierlichen Klavier-Festival-Ruhr-Präsenz mit Sicherheit entscheidend beigetragen haben dürfte. Anders als Cooper, anders als Queffélec, hatte Armstrong seinem Programm nicht nur eine klare Mitte, ein Zentrum, er hatte ihm vielmehr, wie Piemontesi, auch eine Botschaft mit auf den Weg gegeben. Am besten dort weitermachen, wo Haydn aufgehört hat, beim Klaviertrio! So kam es zum Auftritt der „Überraschungsgäs­te“ Andrej Bielow, Geige, und Adrian Brendel, Violoncello, sanft gelenkt vom kuratierenden Kopf Kit Armstrong, dessen Glaube an die Gültigkeit der klassischen Formen ungebrochen scheint, der aus diesem Glauben Haydn an den Anfang (E-Dur-Trio, Hob. XV:28) und Haydn (Es-Dur-Trio, Hob. XV:30) ans Ende setzte. Und die Mitte frei ließ, mit Platzhaltern bestückte. Im Zentrum eine Gelegenheitsarbeit von Harrison Birtwistle, „Lied“ für Violoncello und Klavier, eine Art parodistischer Abgesang auf die Gattung, was Armstrong freilich verkannte. Als Rahmen ums Liedchen herum glaubte das Multitalent, sich selbst einsetzen zu dürfen mit Trio-Kompositionen, angesiedelt irgendwo zwischen Scherz, Ironie und Partygeflüster. „Time flies like an Arrow“ hatte Armstrong schon zu Brendels 80. vorgetragen. „Fast zu ernst“ kam jetzt als Uraufführung dazu. Irgendwie, schien uns Armstrong sagen zu wollen, muss es doch weitergehen! Was unstrittig ist, nur wie – das ist schon noch mal die Frage. Es macht eben einen Unterschied, ob man Komponist ist oder ob man wie Armstrong als auch-komponierender Pianist aus den Fingern entwickelt. Das klingt dann immer nett, immer ein wenig improvisiert, so als hätte man sich spontan am Rand der Geburtstagsfeier für den Jubilar zusammengesetzt und aufgespielt, womit den Missverständnissen freilich Tür und Tor geöffnet sind. „Aha, so geht das heute mit dem Komponieren!“, mochte sich mancher im Schumannsaal gedacht haben. – Geht es nicht, kann man dazu nur sagen.

Wie es ging, machte der Eröffnungsabend klar. Ein Abend, der äußerlich noch nach einem Klavierabend aussah, der in Wahrheit aber daran arbeitete, die Konvention aufzusprengen, die alte Schlangenhaut vor uns hinzulegen, uns vor eine Wahl zu stellen. Pierre-Laurent Aimard, der mit dieser Herkulesaufgabe selbst noch einmal einen Sprung in eine neue Dimension tat, hatte alles dafür gegeben, damit wir richtig wählten, gewichteten. Sein Programm mit klarer Zweiteilung. Vorn die Botschaft: Kurtág, Andre. Dahinter das, was aus dieser Perspektive beinahe schon wie Vorstufe aussah: Messiaen, Ligeti. Komponisten also, mit denen Aimard aufgewachsen ist und die er nach der Pause in dem Bewusstsein spielte, von etwas Neuem zurückzublicken, wobei seine schöne Auswahl aus dem „Catalogue d’oiseaux“ (L’Alouette calandrelle – Die Kurzzehenlerche, Le Merie bleu – Die Blaumerle), aus den Études pour piano (Fém, Cordes à vide, Fanfares, Automne à Varsovie) nichtsdestotrotz für das Meisterliche stehen sollten. Nur, dass sie uns Aimard nicht als Denkmal hinstellte, vielmehr als Bezugsgrößen, die ihre Fortsetzung haben.

Atemlos lauschend

Nichts ist zementiert, der Horizont ist offen. Darüber wollte uns Aimard in Kenntnis setzen, weswegen er den ersten Teil von monumentalen 55 Minuten als einen einzigen Bogen modellierte. Miniaturen aus Kurtágs „Játékok“, kombiniert mit neuen Stücken von Mark Andre. Dass Aimard mit Andres etwas älterem „Contrapunctus“, insbesondere aber mit drei Beispielen aus der Werkreihe „iv“ ein ungeheures Wagnis eingegangen war, musste dem Pianisten klar gewesen sein, unternimmt Andre darin ja nichts anderes als den von Helmut Lachenmann eingeschlagenen Weg ins Tonlose weiterzugehen. Andres jüngste Stücke bringen das Spiel auf den Tasten fast zum Verschwinden, was für den ausführenden Spieler bedeutet, die Spannung um jeden Preis halten zu müssen, nichts abbrechen zu lassen. Einen Kampf, den Pierre-Laurent Aimard angenommen, den er ausgefochten hat.

Ein atemlos lauschender Schumannsaal (Franz Xaver Ohnesorg konnte wahrhaft stolz sein auf dieses Publikum) ging mit, hielt den Atem an, mochte nicht glauben, dass der gute alte Klavierabend solche Abenteuer bietet. Nach geschlagener Schlacht stürmte Aimard nach unten. Umarmung mit dem Jubilar und Alfred Brendel noch einmal im Licht. Jetzt als Medium, als Katalysator einer überfälligen Erneuerung. Ein denkwürdiger Abend.

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