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Gefühlsopernstück in Saalfeld: Gounods „Romeó et Juliette“. Foto: Clemens Heidrich

Gefühlsopernstück in Saalfeld: Gounods „Romeó et Juliette“. Foto: Clemens Heidrich

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Souveränes Gefühlsopernstück in Saalfeld: Gounods „Romeó et Juliette“

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„Letztes Jahr sahen wir hier ‚Die Perlenfischer‘“ sagt eine Frau mit leuchtenden Augen zu ihrer Begleiterin. Schauplatz: Der Meininger Hof im von Autobahnen ziemlich weit entfernten, aber durch ausgebaute Bundesstraßen gut erreichbaren Saalfeld/Saale. An einem Ort, wo man Begeisterung für hierzulande als Randrepertoire betrachtete Werke französischer Provenienz eher nicht vermutet, präsentierten die Thüringer Symphoniker Saalfeld-Rudolstadt und das Theater Nordhausen eine leider knappe, aber brillante Aufführung von Charles Gounods lyrischem Edelstoff „Roméo et Juliette“. 

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Der Meininger Hof ist seit mehr als 100 Jahren ein Zentrum des kulturellen Lebens in der Stadt Saalfeld/Saale: Eine Location mit rechteckigem Parkett, einer Empore rundum und ziemlich hohem Podium. Nicht unbedingt ein (Musik-)Theaterraum, aber als solcher annehmbar nutzbar. Der Meininger Hof ist wichtigster Residenzort der Thüringer Symphoniker Saalfeld-Rudolstadt, weil der Theater-Hauptbau im 11 km entfernten Rudolstadt seit 2017 aufwändig renoviert wird. Das Theater Rudolstadt und die Thüringer Symphoniker haben mit dem Theater Nordhausen, dessen Bau derzeit ebenfalls renoviert wird, eine originelle Kooperationsform. Die Nordhäuser Musiktheater-Produktionen gastieren in Saalfeld – allerdings ‚nur‘ Soli und Opernchor. Die Thüringer Symphoniker spielen in Saalfeld anstelle des Loh-Orchester Sondershausen und studieren den Orchesterpart dafür eigens ein. 

Skepsis wäre angebracht: Charles Gounods „Roméo et Juliette“ (Paris 1867) ist ein wirkungsvolles und an großen Häusern gern für Sopran-Tenor-Operntraumpaare angesetztes Stück. Eine gewisse Raffinesse in Sachen französisches Fluidum und artifizielle Klangschaumschlägerei ist für diese Partitur nicht verkehrt. Von 150 Minuten Originaldauer (ohne Ballett) erklingen am Samstagabend bei der halbszenischen Premiere in Saalfeld maximal 110. Großflächig wurden der Chor im Prolog, das Bacchanal-Finale des Ballakts, die halbe Balkonszene mitsamt Roméos berühmtem Romanzen-Vorgeplänkel sowie der halbe vierte Akt gestrichen. Aus Perspektive von Enthusiasten an mittleren Stadttheatern und Staatsopern wirkt das sakrilegisch – trotz französischer Originalsprache. 

Diese Bedenken verflüchtigen sich schnell. Für die Anwesenden im leider nicht ausverkauften Saal wurde diese Aufführung zum Fest auch auf der Messlatte gehobener urbaner Opernansprüche. Das Publikum hat theatral-musiktheatral zahlreiche Vergleichswerte mit den in maximal 60 Autominuten erreichbaren Theatern von Gera, Weimar, Erfurt, Meiningen. Es strömt mit Begeisterung zum Abstecher des in 100 km Entfernung an der Grenze zum Harz gelegenen Theater Nordhausen und es bejubelt berechtigterweise die Thüringer Symphoniker. 

Auch wenn in der dekorativ abgespeckten Version der Sinn einiger Momente von Benjamin Prins’ Inszenierung allenfalls ahnbar sind, fehlt nichts an großer Aura und Hautgout. Der kleine Chor in schwarzweißer Konzertkleidung singt mit präziser Fülle (Einstudierung: Markus Fischer) und kommt dabei kaum über die Personenstärke eines größeren Madrigalensembles hinaus. Die szenischen Aktionen ereignen sich im Meininger Hof vor dem Orchester. Die dekorative Ökonomie bedingt zwar eine für Shakespeare passgenaue Prägnanz und Drastik. Alle singen mit Inbrunst und Intelligenz – beides zusammen geht hier ohne weiteres. Auch die zahlreichen, von den Librettisten Jules Barbier und Michel Carré gegenüber dem zentralen Paar weg gedimmten Episodenfiguren werden im Raum und durch Präsenz markant – vor allem Thomas Kohl als ein Bruder Laurent zwischen Prediger und Heilpraktiker und Anja Daniela Wagner als ausstrahlungsstarke Gertrude. Florian Tavic schießt als erotisch wunderbar quecksilbriger Mercutio mit einer perfekt gesungenen Fée-Mab-Ballade und packender Sterbeszene zur dritten Hauptfigur auf. Aufgewertet wurde auch Roméos Begleiter Stéphano durch Rina Hirayamas prächtig aufsässiges Tauben-Couplet. Julia Ermakova ist in dieser Deutung eine emanzipierte Juliette mit einer Stärke, welche sie überhaupt erst zur Liebe bis zum Tod befähigt. Kyounghan Seo wird wohl nicht mehr lange am Theater Nordhausen bleiben. Mit einer aus dunklem bis leicht rauem Timbre strahlender Höhensicherheit artikuliert der junge Tenor Begehrlichkeiten nach den großen Verdi-Partien in größeren Räumen. Diese beiden Titelpartie-Zentralgestirne können Gounod und nehmen diesen eher von der attackierenden als säuselnden Seite. Die Nebenpartien sind, teils mit Chorsolisten gut besetzt. Alles summiert sich zum Opernfest an unerwarteter Stelle: Emphatisch gesungen und sinnfällig gespielt ohne Angst vor großen Gefühlen, die das Publikum an diesem Abend mehrfach direkt ins Herz treffen. 

Erstaunlich ist auch, wie sicher sich das Bühnenensemble unter Oliver Weders musikalischer Leitung fühlt, während Ermakova & Seo mit voller Verve vokale Höchstform zeigen. Die Thüringer Symphoniker haben nach nur wenigen Proben kräftigen Befeuerungsanteil. In straffen Nervenbahnen entwickeln sie transparente Plastizität mit mehr Limette-Aroma als Weihrauch. Klug ist diese „Roméo et Juliette“-Lesart überdies, wenn die Liebenden in Nordhausen und Saalfeld nach insgesamt vier toll gesungenen Duetten ohne geschlechtliche Vereinigung ins Jenseits müssen. Da entlarvt sich das letzte „Dieu! Pardonne-nous –“, was so gewiss nicht bei Shakespeare steht und auf Wunsch des strengen Katholiken Gounod ergänzt wurde, als Sehnsucht nach Ekstase. Am Ende gab es nicht nur deshalb Beifallsrufe wie sonst nach Bernsteins Romeo-und-Julia-Adaption „West Side Story“. 

Solche Abende sind jeden Cent an Investition und Sponsoring wert. Die Saalfelder Premiere bestätigte eindrucksvoll, dass anspruchsvolles Gefühlsopernkino auch in dünn besiedelten Regionen super ankommt. Und er zeigte den Bedarf an hochkulturellen Glücksgefühlen als Gemeinschaftserlebnis.

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