Wer will da noch von der sozialen Isolation der Neuen Musik reden? Abgesehen davon, dass es „die“ Neue Musik nicht gibt, sondern sich das zeitgenössische Komponieren seit Arnold Schönbergs Schritt in die Atonalität vor hundert Jahren längst in zahllose Sparten, Untersparten, Richtungen und Privatästhetiken ausdifferenziert hat, gelangten verschiedene Strömungen der Neuen Musik immer wieder in intensiven Kontakt zur Gesellschaft. Während der 1950er-Jahre fanden die Skandalkonzerte der seriellen Nachkriegsavantgarde ein zwar kontroverses, aber sensationell breites und starkes Echo in der öffentlichen Meinung. Die Materialerweiterungen der 60er-Jahre öffneten den Musikbegriff zu anderen Kunst- und Lebenssphären. In den psychedelischen 70er-Jahren wurde die Minimal Music regelrecht Pop. In den 80ern eroberten sich die westdeutschen Neuromantiker die großen Konzertsäle, Opernhäuser und traditionellen Abonnementsreihen. Und in den 90ern fand selbst ein so widerständiger Komponist wie Helmut Lachenmann mit seiner „Mädchen“-Oper große öffentliche Anerkennung.
Dass die Neue Musik heute vielleicht nicht gerade in der Mitte der Gesellschaft steht, aber doch vielerorts in unsererem zentrumslosen Gemeinwesen präsent ist, zeigen auch die September-Uraufführungen.
Das diesjährige Bonner Beethovenfest präsentiert vom 4. September bis 3. Oktober neben Novitäten von Moritz Eggert, Frank Zabel und Tran Manh Hung auch die „Chansons bizarres“ und den „BRD Song“ von Peter Ludwig, die als Auftragswerke zu 60 Jahren BRD und Grundgesetz entstanden und nun im Bonner Haus der Geschichte uraufgeführt werden.
Das Netzwerk „Musik 21 Niedersachsen“ bringt am 4. September im Alten Forsthaus Habichthorst in Winsen an der Luhe neue Ensemblewerke von Karin Haussmann und Matthias Kaul, und zwar im Rahmen eines Diskurses „Über das Komponieren in der Gourmet-Küche und in der Musik“.
In der diesjährigen Europäischen Kulturhauptstadt Linz sind beim Brucknerfest zwischen dem 13. und 16. September Uraufführungen von Klaus Pruenster, Sam Auinger und Ivan Eröd zu erleben.
Und mit „ROTOR“ vom 25. und 27. September in Frankfurt am Main erhält das deutsche Musikleben ein weiteres „Festival der Gegenwartsmusik“, veranstaltet vom Ensemble Modern und der Internationalen Ensemble Modern Akademie in Verbindung mit Musikhochschule, Finkenhof, Alter Oper und Künstlerhaus Mousonturm.
Weitere Uraufführungen
10.–27.09.: Klangspuren Schwaz in Tirol mit neunzehn Uraufführungen vor allem lateinamerikanischer Komponisten
11.09.: Musikfest Stuttgart mit neuen Psalmvertonungen von Smolka, Hölsz-ky, Pauset, Mäntyjärvi, Phibbs und Borisova-Ollas
12.09.: Hans Zender, ¿Adónde? Wohin? Konzert für Violine, Sopran und Instrumente, Musikfest Berlin
18.09.: Steffen Schleiermacher, Die Beschwörung der trunkenen Oase für vier Männerstimmen und Orchester, WDR Funkhaus Köln
18.–26.09.: Warschauer Herbst, zwanzig Uraufführungen vor allem polnischer Komponisten
19.09.: Harald Muenz, neue Tonbandwerke, Kunst-Station Sankt Peter Köln
19.09.: Thomas Bracht, sans parole für Kammerorchester, Bad Brückenau Staatsbad
25.–28.09.: Festival Internazionale di Musica Contemporanea der Biennale di Venezia, neue Werke von Beste, Kourliandski, Garuti, Guarneri, Mancusos, Furlanis und Gervasoni