Mit dem Projekt „Over the Edge Club“ schuf das Musikmaschinenensemble Gamut Inc 2020 den ersten Teil einer Mensch-Maschine-Trilogie. Mit der Roboter-Oper „R.U.R.“ folgte der Mittelteil des Triptychons, der sich auf der Basis von Karel Capeks gleichnamigem Theaterstück den Spannungsfeldern zwischen Mensch und Maschine widmet.
Obgleich es mit der literarischen Qualität von Karel Capeks 1921 uraufgeführtem Theaterstück „R.U.R.– Rossum’s Universal Robots“ so eine Sache ist, hat es sich in der Folge als außerordentlich einflussreich erwiesen. Ursache ist die für das Stück erfundene Wortschöpfung „Roboter“, abgeleitet aus dem westslawischen Wort für Fronarbeit („robota“). In der Tat reichen die Spuren jener Fragestellungen, die Capek in Bezug auf die Spannungsfelder zwischen dem künstlichen, maschinenhaften Wesen namens „Roboter“ und dem Menschen aufgeworfen hat, von der Filmkunst über die Science-Fiction-Literatur bis hin zur Raumfahrttechnik und der aktuellen KI-Forschung.
Dass sich hinter dem von Capek entworfenen Szenario, die Kunstmenschen könnten letzten Endes gegen ihre Schöpfer rebellieren und die Menschheit vernichten, zentrale moralische Fragestellungen verbergen, liegt auch dem Roboter-Oper-Projekt „R.U.R.“ des retro-futuristischen Musikmaschinenensembles Gamut Inc zugrunde, das im Berliner Theater im Delphi am Prenzlauer Berg seine Premiere feierte. Das von Frank Witzel erstellte Libretto basiert auf dem letzten Teil von Capeks Theaterstück und setzt nach der Vernichtung der Menschheit ein: Schauplatz ist das Labor des letzten Menschen Alquist (Patric Schott, Schauspieler), der den Robotern helfen soll, die während des Aufstands verlorengegangene, zur Reproduktion der Roboter-Technologie aber unbedingt nötigte Formel zu rekonstruieren. Hier begegnen wir Helena (Gina May Walter, Sopran) und Primus (Georg Bochow, Countertenor), zwei mittlerweile angeschlagenen, nach menschlichen Vorbildern entworfenen Robotern, die im Gespräch mit Alquist unterschiedlichste Gedanken und Konzepte zu Mensch, Maschine und Seele verhandeln.
Dass die beiden künstlichen Wesen über die Fähigkeit des Gesangs verfügen, während der Mensch sich lediglich der gesprochenen Sprache bedienen kann, ist eine Voraussetzung dafür, dass die verbalen Diskurse sich auf sehr unterschiedlichen Reflektionsebenen entfalten. Vierte Gestalt auf der Bühne ist die namenlose, von einem Tänzer (Ruben Reniers) dargestellte Kreatur, deren wortloses und fließendes Agieren sich deutlich von den eher eckigen Roboter-Bewegungen einerseits und von der körperlichen Unbeweglichkeit des meist am Tisch sitzenden Menschen andererseits abhebt.
Musikalisch vertieft wird das Bühnengeschehen durch zwei kontrastierende musikalische Elemente: So entfalten sich die Stimmen einmal vor dem Hintergrund sich wandelnder elektronischer Klänge, die bereits beim Betreten des Zuschauerraums präsent sind. Alternierend hierzu werden immer wieder Zuspielungen des RIAS-Kammerchors eingesetzt, um alternative Wahrnehmungsräume zu gestalten. Dass die choralen Klangfelder auf denselben Kompositionsverfahren basieren, die auch die Erscheinungsweise der elektronischen Teile prägen – meist Übereinanderschichtungen, Repetitionen oder isorhythmisch miteinander verschränkte Phrasen –, lässt beide Klanghintergründe aufeinander bezogen erscheinen, auch wenn die Stimmzuspielungen ganz anders wirken. Dies hängt damit zusammen, dass die im Sinne von Kommentaren oder Mahnungen fungierenden Choreinschübe als Entfaltung der beiden Roboter-Stimmen in den lebendigen, vokalen Klanginnenraum erfahrbar sind oder umgekehrt die beiden Soloparts sich wie eine Fokussierung des Sprachkollektiv in einen individuellen Stimmklang hinein ausnehmen.
Insgesamt ist hier, trotz der zu hohen Lautstärke, ein denkwürdiger Abend gelungen.