Die Titelei gleicht einem diplomatischen Protokoll. Dieses Konzert „Musik und Gegenwart“ Nr. 75 ist eine „Veranstaltung des Studios für Elektroakustische Musik und des ZfGM“. Also jenes ambitionierten, von Claus-Steffen Mahnkopf im Dezember 2016 gegründeten Zentrums für Gegenwartsmusik, was sich für genderkorrekte, internationale und universelle Vernetzung aller musikalischen Genres, Gattungen und Stile der lebenden Gegenwart aufstellt. Dabei fällt dieser erfreulich gut besuchte Konzertabend, einmal im Jahr findet das Modul „Speakers Corner“ statt, für zentrales Mischpult, 26 Boxen und acht Kanäle streng genommen gar nicht ausschließlich in die Sektion Gegenwartsmusik.
Auch die Gattung elektroakustischer Komposition und Wiedergabe kommt allmählich in die Jahre, ist mit inzwischen mehreren Generationen von Tonschöpfer*innen und Propagandisten ein musikalischer Zweig mit Vergangenheit, Tradition und vor allem einem enormen Zukunftspotenzial. Das freut nicht nur Ipke Starke, der mit Lust und trocken unterspielter Leidenschaft für den vom Eckhard Rödger gegründeten Studiengang, die jungen Komponistinnen einlud. Auf die Diversifizierung folgt die Integration: Elektroakustische Musik soll heute als eine Kompositionstechnik neben den „analogen“ verankert werden, ist für den Bedarf der Filmproduktion, Werbung und alle Formen akustischer Surround-Architekturen und Sound Designs mehr als eine wichtige Basis.
In diesem Konzert sind Frauen führend, was dem Vorurteil des Vorurteils von Elektronischer Musik als Männerdomäne ein erfreuendes Schnippchen schlägt. Rafaele Andrade („Crime / Love’s mirror“), Junyu Guo („Drift“, „April Lake“) und Hyewon Son („E_wieder_E“) teilen sich das Mischpult in der Mitte des Probensaals und stehen auf dem Podium Antwort. Ganz kurzfristig stand erst die endgültige Programmfolge fest und ist damit gemessen an dem beträchtlichen Aufwand für Aufbau, Bündelung der Kanäle, und Verkabelung erfrischend spontan.
Für den Debütanten in dieser Szene wird deutlich, dass sich im Vergleich zu den früheren entstandenen Werken zwar die Qualität der elektroakustischen Tonproduktion stark gewandelt hat, aber die Topoi der Klanggebilde, oder besser deren Assoziationsangebote, stabil sind. Das zeigt die Wiedergabe des Klassikers „Cantos de la Creacíon de la Tierra“ der kolumbianischen Komponistin Jacqueline Nova (1939-1975) und das am Anfang gestandene, zum Schluss wiederholte „Music Of The Spheres“ der aus Leipzig stammenden Deutschamerikanerin Johanna M. Beyer. Vielleicht könnte der Hinweis, dass die Musikstadt auch in diesem Zweig einen Beitrag zur Entwicklung stiften konnte, den Popularitätsschub im Umfeld beschleunigen. An der öffentlichen Präsenz der Elektroakustischen Musik fehlt es doch noch ziemlich, auch wenn Hochschuldirektor Martin Kürschner diesem Studiengang große Aufmerksamkeit zukommen lässt und dessen interdisziplinäre Initiativen ausdrücklich fördert. Wenig Werbung und die wenig exponierte Verlegung in den Probensaal machen den Abend leider zur Veranstaltung für Eingeweihte. Das sollte schnell anders werden.
- 12.10.2017 – 19:30 – Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“, Grassistr. 8, Probensaal - Musik & Gegenwart 75: Speakers Corner. Eine Veranstaltung des Studios für Elektroakustische Musik und des ZfGM. Leitung und Moderation: Ipke Starke.