Ganz klar: am 11.11. eine Verkleidungskomödie anzubieten, ist ein Treffer ins Zentrum künstlerischen Gauditums. Vor rund vierhundert Jahren hat Shakespeare mit „Twelfth Night - Was ihr wollt“ in der zwölften Raunacht den damaligen Faschingsbeginn gefeiert. Das griffen nun die Theaterakademie August Everding sowie die Hochschule für Musik und Theater in einer großen Produktion auf – und was da in 25 Jahren aufgebaut worden ist, wurde mit standing ovations gefeiert.
Die Lehrgangs-Anfänge waren zäh à la „Das können nur das Londoner Westend und der Broadway“. Das ist gekonnt und amüsant widerlegt. Derzeit bereitet eher Mühen, diese vielfältige, oft sehr individuelle Ausbildung in Spiel-, Gesangs-, Sprech- und Tanztechniken in Bachelor- und Master-Studiengänge mit Scheinen und Credit Points zu pressen. Doch davon auf der Bühne keine Spur: temperamentvoll überbordende Spiellust!
Als hinter dem großen Mond-Rund im Zentrum der Bühne die ersten Keyboard-Töne von Andreas Kowalewitz erklangen und dann seine sechsköpfige Band einsetzte, war der „mood“ der berühmten Eröffnungssätze „Wenn Musik der Liebe Nahrung ist, spielt weiter!“ schon getroffen – und dann swingte und fetzte es und erwies die 23 Musiknummern der jungen US-Amerikanerin Shaina Taub als treffende Umsetzung und Unterfütterung der turbulenten „Wer bin ich?“-Komödie. Natürlich waren an der Musical-Adaption über den Londoner Young-Vic-Direktor Kwame Kwei-Armah noch eine Reihe Profis beteiligt, doch der deutschen Fassung von Robin Kulisch ist etwas Besonderes zu attestieren: Da „fegen“ die Songs passend zum Emotionswirbel der Bühnenfiguren - und dann gab es treffend zu den erschreckend echten Gefühlen ein Innehalten – denn der Metier-erfahrene Regisseur Stefan Huber hatte seine Protagonisten zu sehr differenzierter Sprechtext-Behandlung geführt – es wurde nämlich die romantisierende Schlegel-Tieck-Übersetzung gewählt – und deren Poesie und Feinheit kontrastierte immer wieder anrührend hörbar zum aktionsreichen Loslegen. Das gelang sogar im Premierenfieber und gab den pausenlosen zwei Stunden theatralische Spannweite und humane Tiefe – tutti bravi!
Shakespeare hat ein utopisches Illyrien imaginiert. Harald B. Thor hat dies mit akkuraten schieb-, fahr- und rollbaren Treppenteilen, Wänden und über den Orchestergraben heranragenden Stegen ganz in die Phantasie des Publikums verlegt … und das Ensemble hatte kräftig zu tun. Noch mehr zuvor die zehn (!) Bachelor-Maskenbilder:innen: staunenswert phantastische Masken für alle und herrlich irr-wirrer Kostüm-Zauber von Tanja Hofman – so könnten die berühmten Schwabinger Künstlerfeste ausgesehen haben!
Die grell schrägen Typen um den dauerbetrunkenen Sir Toby von Salomé Ortiz eröffneten den Geschlechter-Reigen, denn wer Hosen trägt, wird eben als Mann wahrgenommen. Das führte die Brasilianerin Roberta Monção mit ihrer fein wandlungsfähigen Zartheit beeindruckend vor: als schiffbrüchige Viola zieht sie sich eben Hosen an und wird als „Cesario“ nun von Herzog Orsino (mit blendender Bühnenerscheinung überragend Johannes Summer) als Vertrauter angenommen, doch bei der Umarmung fühlt sie plötzlich als Frau – und Shakespeares Bühnenrealität, in der ja junge Männer alle Frauenrollen spielen mussten, grüßte ironisch herein: verquer ohne derzeitige Queerness-Moden. Danai Simantri war als Gräfin Olivia ganz die „schöne Grausamkeit“ des Textes, der nur ihre gleichfalls ironische Auftrittsfanfare schließlich selbst auf die Nerven ging. Jacky Smit genoss das Anderssein des Narren sicht- und hörbar. Wolfram Föppl glich als zunächst verschollener Sebastian seiner Zwillingschwester Viola frappierend. Ömer Örgeys Pirat Antonio blieb bei seiner homoerotischen Zuneigung zu Sebastian zunächst zurückhaltend. Doch einem neuen Gegenüber brach sich dann die Liebe Bahn: denn mit Leopold Lachnit stand ein Malvolio immer wieder selbstverliebt in der Bühnenmitte, der die Arroganz und Spleenigkeit eines Zukurzgekommenen bis hin zu den gelben Strapsen gekonnt penetrant ausstellte. Doch unter seinem geölt streng frisierten Rothaar, seiner herrischen Körpersprache und dem bösartigen Tonfall seiner „Graf Malvolio“-Traumphrasen blitzte eine Gefährlichkeit auf, dass dem Mann weder Macht noch Einfluss zu gönnen war. Ihnen allen gelang eine kunterbunt unterhaltsame Theater-Reflexion über „Ich bin sie“, „Was für ein Mann willst du selber sein?“ oder „Ich will sein wie Du“ – eben die unbesiegbare Liebe, die statt aller Konventionen bewirkt, dass man den anderen sieht „mit anderen Augen“. Da konnte nur gejubelt werden: ein überbordendes Theaterfest zum 25jährigen Jubiläum des Studiengangs – und ein strahlender Beginn der Akademie-Präsidentschaft von Barbara Gronau als erster Frau in dieser Position.