Bereits zum fünften Mal wurde am Kinderopernhaus Lichtenberg eine Musiktheaterproduktion entwickelt, die in der Werkstatt der Staatsoper im Schillertheater einem begeisterten Publikum vorgestellt wurde Das bislang ambitionierteste Projekt galt Mischa Spolianskys Revue „Es liegt in der Luft“, die – ohne die im Original vorherrschenden Zweideutigkeiten und aktuellen Bezüge der Zwanzigerjahre – zu einem an den ausschließlich mit Kinder-Darstellern besetzten Gangsterfilm „Bugsy Malone“ (1976) gemahnenden Theaterabend bearbeitet.
Der zunächst als Pianist in Max Reinhardts Kabarett „Schall und Rauch“ tätige Komponist Mischa Spoliansky wurde 1933 als Jude aus Deutschland vertrieben. Vor seinem Studium am Stern’schen Konservatorium hatte er sich einer Lehre im Berliner Kaufhaus Gerson unterzogen. In seiner Kaufhaus-Revue, wie im späteren, weitaus bekannteren Bühnenwerk „Zwei Krawatten“, verleiht er seiner Mixtur aus Jazz und Schlager, Tango und Charleston, Pepp und Schwung und schafft so eine mitreißende Abfolge ohrwurmverdächtiger Nummern.
In der sehr erfolgreichen Uraufführung von „Es liegt in der Luft“, 1928 in der Komödie am Kurfürstendamm, reüssierte die damals noch unbekannte Marlene Dietrich neben Margo Lion, der Gattin des Librettisten Marcellus Schiffer, als lesbisches Freundinnenpaar. So war es auch unlängst in Maria Husmanns Collage des Studios für Musiktheater des 20. und 21.Jahrhunderts, „Fälle“, als der vierten Folge von „Lust auf Neues“, zu erleben.
In der Inszenierung von Annika Haller, mit einer Chorus Line von Mädchen, verliert diese Nummer ihren Biss. Gleichwohl ersetzt die Produktion derartige Verluste durch den hohen Charme, den sie durch die mitwirkenden Kinder erhält.
Nur vier erwachsene Solisten der Staatsoper – Friederike Harmsen als Verkäuferin, Christian Oldenburg als Kaufhausdetektiv Brummer, Adriane Queiroz als parfümsüchtige Käuferin und Gyula Orendt als Verkörperung einer Schallplattenstimme („Jack Smith – der flüsternde Bariton“) – sowie ein fünfköpfiges Ensemble der Staatskapelle Berlin unter der musikalischen Leitung von Max Renne am Flügel – stehen einer Gruppe von 50 (!) Kindern gegenüber. Diese schlüpfen reihum in diverse Rollen, von Schaufensterpuppen bis zum Kaufhausdirektor, Schnäppchenjäger und Verkäuferinnen, Liftboys und Polizei. Einer Gruppe junger Detektive, die auf eigene Faust dem Diebstahl eines Ringes im Wert von 30.000 Mark nachgeht, steht als Einzelkämpfer eine köstliche Parodie auf Miss Marple (Ellie Puchta) gegenüber. Die Story erinnert etwas an Erich Kästners „Emil und die Detektive“, und wohl nicht zufällig hat Kästners Illustrator Walter Trier bei der Spoliansky-Uraufführung als Ausstatter mitgewirkt.
Manfred Weiß hat das dürftige Handlungsskelett der Revue verstärkt: ein Ehepaar mit zwanzig Kindern, teils von ihm, teils von ihr, vergisst zwei davon bei seinen Einkäufen. Die gefundenen Babys, Peter und Petersilie, werden vom Kaufhaus adoptiert und als Werbeträger eingesetzt. Sympathisch weist die Inszenierung – weit davon entfernt, frühen Starrummel zu fördern – diese Rollen der Reihe nach immer älteren Kindern zu.
Eingeschoben in die Aufführung ist ein Lied, welches Jan Kiepura zu einem Welthit machte, „Heute Nacht oder nie“. Hier singt es der von den Kindern als Dieb enttarnte Kaufhausdetektiv. Sein Diebstahl aus Liebe zur Verkäuferin Fräulein Kraus wird so als der Verzweiflungsakt eines heillos Liebenden entschuldigt. Jahre später besuchen die vom Kaufhausdirektor (Bruno Renne) Entlassenen als Ehepaar ihre alte Wirkungsstätte und lassen dort bewusst ihre zwei Babys zurück – auf dass die Geschichte wieder von vorne beginnen mag.
Neben den Leistungen in Tanz (Choreographie von Yeri Anarika Vargas und Sánchez) und vielfach auch Gesang (Choreinstudierung und Stimmbildung: Jonas Hagen Olejniczak) der zum Teil noch sehr jungen Kinder verblüffen die instrumentalen Fähigkeiten des achtköpfigen „Orchesters des Opernhauses Lichtenberg“, mit Saxophon, Trompete und Xylophonen, sowie als Geräuschkunst der diversen Kaufhaus-Abteilungen.
Das von Regina Lux-Hahn geleitete Kooperationsprojekt mit dem Caritasverband für das Erzbistum Berlin erntete am Premierenabend verdienten, heftigen Applaus.
- Weitere Aufführungen: 24., 25., 27., 28. Oktober, 21., 22. November 2015