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v.l.n.r.: Paula Murrihy (Orontea) und eine Statistin der Oper Frankfurt. Foto: Monika Rittershaus
v.l.n.r.: Paula Murrihy (Orontea) und eine Statistin der Oper Frankfurt. Foto: Monika Rittershaus
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Sprudelnde Anfänge der Liebeskomödie – Cestis „L’Orontea“ von 1656 an Frankfurts Oper höchst lebendig

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Eine wahre Flut an akustisch-optischer Erotik und ein wunderbares Ensemble hat Wolf-Dieter Peter in der Frankfurter Oper zu sehen und zu hören bekommen, dass es ihm glatt die Sprache verschlagen hat, fast!

Da jubiliert die ägyptische Königin Orontea von Freiheit ohne jede Liebe – und spielt, eingeschnürt in ein traumblaues Renaissance-Kostüm, mit einem Szepter, das doch sehr an einen Phallus erinnert; kaum hat sie den vermeintlichen Maler Alidoro erblickt – in Wahrheit ein einst geraubter Königssohn auf der Flucht -, schon lässt sie in seinem Atelier den Morgenmantel fallen und steht in einer aktuellen Corsage samt Hipster und Strapsen da, dass … dass der Kritiker sich angesichts der hinreißend singenden wie anzusehenden Paula Murrihy in den Vergleich retten muss: dass Cäsar Cleopatra links liegen gelassen hätte!

Da vergnügt sich die Hofdame Silandra anfangs mit dem Kavalier Corindo am Strand, so dass zwischen ihren Rundungen und denen der Dünen kaum zu unterscheiden ist; doch auch sie verfällt dem Maler und lässt zum Porträtieren den Mantel fallen und dann steht Louise Alder in einer anderen Corsage so sexy da, dass… nicht genug: auch die zunächst als Kriegerin verkleidete Giacinta von Kateryna Kasper lässt die Hüllen fallen, so dass …

Folglich ist Alidoro einerseits zu beneiden, doch Xavier Sabata verkörpert diese virile Potenz andererseits bis hin zu erschöpftem Überdruss so glaubhaft, dass über seine schönen Countertenorphrasen hinaus der Wunsch nach den wohl heldentenoralen Trompetentönen einstiger Kastratenstars wach wird. Als i-Tüpfelchen erotischer Allmacht wandelt sich die alte Aristea in eine grell aufgetakelte Schreckschraube, die auch gerne nochmals… und Guy de Mey singschauspielert keine alberne Transvestitennummern, sondern ein urkomisch-tragisches Kunststückchen.

Als herrlicher Kontrapunkt zu all dieser Erotik preist Haushofmeister Gelone von Anfang an den Wein als wahre Lebensgrundlage und liefert eine herrliche Saufnummern nach der anderen – und dabei belebt Simon Bailey wie nebenbei eine musikhistorische Besonderheit: im barocken Ziergesang gab es den „basso alla batarda“, der je nach Situation aus dem Brustregister über drei Oktaven ins Falsett wechseln konnte – jetzt staunenswert zu erleben. Katharina Magieras blitzsauberer Sopran für die „Weisheit“ muss angeführt werden: sie thront im Prolog als Karl Marx im schwarzen Himmel - herrlich kontrastiert vom kecken Amor-Sopran Juanita Lascarros, die im Durcheinander sowohl in Uniform wie im Lara-Croft-Look besteht. Matthias Rexroths Hofadeliger Corindo macht nicht nur beste Figur, sondern singt dessen Adels- wie Sex-Attitüden mit bestechenden Altus-Phrasen. Inmitten dieses amourösen Chaos haben die herrlich theatralisch arbeitenden Giacinto Cicognini (ein eminent wortwitziges Libretto) und vor allem Komponist Antonio Cesti (1623–1669) der zwar am Ende alles aufklärenden Vernunft von Kanzler Creonte keine Arie, sondern nur rational um Nüchternheit bemühte Rezitative gegönnt – doch Sebastian Geyer machte daraus im ständig um Contenance bemühten Intellektuellen-Look eine amüsante Kontrast-Studie.

Szenisches Fazit: Regisseur Walter Sutcliffe konnte mit einem für Frankfurt typischen Traum-Ensemble einen überzeugend turbulenten Bogen von allen amourösen Tollheiten des 17. ins 21.Jahrhundert schlagen. Ausstatter Gideon Davey machte Eros geschmackvoll sichtbar, ließ dafür auch kubische Spielräume zunehmend zerfallen und im wechselnden Lichtspiel von Joachim Klein zusätzlich von zwölf Amouretten durcheinanderwirbeln…

Alles krönte der Spezialist im Graben: Ivor Bolton hatte auf dem teuren Monteverdi-Continuo-Ensemble aus Ergänzung zur kleinen Besetzung des Frankfurter Orchesters bestanden. So erklangen Cestis sehr textbezogene, rhythmische Vielfalt im Einklang mit den heftig wechselnden Emotionen höchst reizvoll: im ersten Teil wie in einer klassischen Exposition Erwartungen weckend – und dann wie selten zu erleben: im immer stärker werdenden zweiten Teil nicht nur den Bogen von Monteverdi zu Händel schlagend, sondern auch herrlich unterhaltsam. Diese Faschingsoper vom damals opulenten Hofopernzentrum Innsbruck des Jahres 1656 ist auch 2015 eine musiktheatralische Entdeckung!

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