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„Francesco“ am Staatstheater Cottbus. Foto: Marlies Kross
Szenenfoto aus dem 3. Bild mit Debra Stanley (Maria) und Michael von Bennigsen (Francesco). Foto: Marlies Kross
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Staatsheater Cottbus zeigt das Leben des Franz von Assisi als sinfonisches Bildertheater

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Er radikal besitzlos. Franziskus von Assisi, Sprössling einer vermögenden Kaufmannsfamilie, verließ den vorbestimmten Weg. Träume und Visionen wiesen ihm eine andere Richtung: an den Rand der Gesellschaft, in extreme Armut. In Cottbus hat sich nun der Regisseur Jo Fabian auf die Spuren des Franz von Assisi begeben. „Francesco“ heißt sein Musiktheaterabend; so wurde der mittelalterliche Heilige von seinen Mitstreitern genannt.

Der aus Ostberlin stammende Regisseur, der in Cottbus zuletzt Philip Glass‘ „Der Fall des Hauses Usher“ inszenierte, reizt die Möglichkeiten des Mehrspartenhauses aus. Sein „sinfonisches Bildertheater“, so die eigene Wortschöpfung, verbindet Musik und Schauspiel, Gesang und Choreographie, Sound- und Lichtdesign.

Es reihen sich die überlieferten Legenden aneinander. Zu Beginn sieht man Franziskus auf dem Krankenlager. Wundersam genesen, verteilt er das Geld seines reichen Vaters an die Armen. Mal macht er sich splitterfasernackt, dann wieder zwitschert er mit den Vögeln.

Gesprochen wird hier nicht. Vielmehr gruppiert der die Darsteller zu lebenden Bildern, deren sorgfältig komponierter Aufbau an Renaissance-Gemälde erinnert. Derart versammelt er die gesamte mittelalterliche Lebenswelt: Mönche und Nonnen, Bettler und Aussätzige, Fürsten und Soldaten. Zwischendurch schleppt ein Bauer Heuballen vorbei.

Wenn überhaupt, bewegen sich die Figuren zeitlupenhaft langsam. Einmal passiert minutenlang gar nichts: Das Orchester schweigt. Und Francesco, von Michael von Bennigsen als naiver Tagträumer angelegt, kauert vor der Bettelschale. Diese Nicht-Aktivität muss man als Theaterpublikum erst mal aushalten.

Anschließend verzehrt der Heilige den Inhalt eines aus dem Fenster geleerten Nachttopfs. Das ist zwar eklig, verdeutlich aber, wie verstörend und durchgeknallt Francesco auf seine Zeitgenossen gewirkt haben muss.

Im ersten Teil erklingt Henryk MikoĊ‚aj Góreckis Sinfonie Nr. 3, die „Sinfonie der Klagelieder“, die eigentlich den Verlust eines Kindes zum Inhalt hat. Weich und gemächlich lassen die Cottbuser Philharmoniker unter ihrem Chef Evan Christ den minimalistischen Streicherteppich fließen. Eine inhaltliche Verbindung zwischen Bühnengeschehen und Musik gibt es allerdings nicht. Vielmehr dienen die elegischen Klänge dazu, die Bilder emotional aufzuladen.

Góreckis hier per Mikrofon übermäßig aufgeblähter Vokalpart – polnische Mariengesänge und ein schlesisches Volkslied – wird von der Sopranistin Debra Stanley mit allzu opernhaftem Pathos und scharfem Vibrato dargeboten.

Die zweite Szene bietet ein lebendes Marienbild vor türkis-strahlendem Hintergrund. An der Rampe tanzen drei Jesusdarsteller mit Dornenkrone. Die Nonnen wiederum vollführen eigentümliche Bewegungen, die an eine Mischung aus Gebärdensprache und Tai Chi denken lassen. Hierbei soll es sich laut Programmheft um ein Tanz-Alphabet handeln, mittels dessen einige Aussprüche Francescos in die Aufführung „eingeschrieben“ werden.

Visuelle Verdopplung

Nach der Pause geht es mit einer Komposition des Engländers Gavin Bryars aus dem Jahre 1971 weiter. In deren Zentrum steht der ruppige Gesang eines Obdachlosen, „Jesus’ blood never failed me, yet“. Vom Tonband wird er, einem Mantra gleich, fortwährend wiederholt. Der Chor, verteilt im Zuschauersaal, greift die Phrase auf.

Schließlich verfremdet Jo Fabian die klassische Abendmahls-Darstellung. Oben hängt Francesco wie der Gekreuzigte; vom Gegengewicht dreier Felsbrocken gehalten. In dieser Folterhaltung muss er ansehen, was aus seinen Ideen geworden ist: Seine „Jünger“, eine gänzlich gegenwärtige Gesellschaft in Anzug und Abendkleid, feiert ein üppiges Gelage und trinkt sich unter den Tisch. Dazu passen die pompösen, effektheischenden Klänge aus der Filmmusik zu Mel Gibsons „The Passion of Christ“.

Fabians Idee eines sinfonischen Bildertheaters ist durchaus originell und anrührend. Jedoch nähert sich seine visuelle Verdopplung der ohnehin pathetischen Musik zuweilen dem Kitsch. Das Leben des Franziskus wird hier lediglich ausgemalt, ohne dass eine Brücke ins Heute gebaut würde. Dass seine Ideen der Stachel im Fleisch der kapitalistischen Wachstumsgesellschaft sind, fällt unter den Tisch. Dabei hält immerhin der Papst hält die Ideale des Franziskus für so aktuell und zukunftsweisend, dass er sich nach dem Heiligen benannt hat und dessen Ideen in seiner Enzyklika aufgreift.

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