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Starke Bilder und nachtdunkle Musik

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Erste Oper von Cristóbal Halffter: Herbert Wernicke inszeniert „Don Quijote“ in Madrid
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Kaum, dass das Licht ausgeht, hebt sich der hintere Bühnenprospekt, der einen ins Enorme vergrößerten Gefängnisbrief von Cervantes zeigt – und das Publikum blickt durch die Fassadenfenster der Madrider Oper hinaus aufs pralle Leben der Plaza Isabel II. Genau das haben Regisseur Herbert Wernicke und Komponist Cristóbal Halffter bei der Uraufführung dieser „Don Quijote“-Oper im Sinn, der ersten richtig modernen Musiktheaterproduktion, die das vor zweieinhalb Jahren wieder eröffnete Opernhaus in Madrid als Eigenproduktion herausbringt; die damals gezeigten „Göttlichen Worte“ des Traditionalisten Garcia Abril zählen eher zum alten Eisen.

Cristóbal Halffter ist wohl die zentrale Erscheinung im Musikleben der iberischen Halbinsel, die am entschiedensten die Wurzeln der spanischen Musik mit Techniken der heutigen Avantgarde zusammenführt. Er verbindet spanisches Idiom mit Reihentechniken oder auch aleatorischen Maßnahmen und dringt dadurch zu eigenwilligen Ausdruckswelten vor. Durch ihn hat die zeitgenössische spanische Musik maßgeblich an Renommee gewonnen. Jetzt wurde in Madrid die erste Oper Cristóbal Halffters „Don Quijote“, die schon lange als „opus magnum“ angekündigt worden war, uraufgeführt. Kaum, dass das Licht ausgeht, hebt sich der hintere Bühnenprospekt, der einen ins Enorme vergrößerten Gefängnisbrief von Cervantes zeigt – und das Publikum blickt durch die Fassadenfenster der Madrider Oper hinaus aufs pralle Leben der Plaza Isabel II. Genau das haben Regisseur Herbert Wernicke und Komponist Cristóbal Halffter bei der Uraufführung dieser „Don Quijote“-Oper im Sinn, der ersten richtig modernen Musiktheaterproduktion, die das vor zweieinhalb Jahren wieder eröffnete Opernhaus in Madrid als Eigenproduktion herausbringt; die damals gezeigten „Göttlichen Worte“ des Traditionalisten Garcia Abril zählen eher zum alten Eisen. class="bild">Don Quijote als weißer Reiter / Foto: Oper Madrid

Wie fast überall, wo neue Opern gespielt werden, sind auch in Madrid die acht Vorstellungen ausverkauft. Denn obwohl sich der Jubel des recht konservativen Publikums (immerhin die Hälfte des 70-Millionen-Mark-Etats wird durch Sponsoring und Eigeneinnahmen erwirtschaftet) in Grenzen hält, gibt es auch hier eine starke Neugier auf Stücke jenseits des Repertoires, sowohl in Richtung Barock wie in Richtung Moderne.

Doch schon fahren aus dem Hintergrund, von der Plaza Isabel II., Gabelstapler und Schaufelbagger auf und schütten den Bühnengraben mit Büchern voll; dieser „Don Quijote“ – Halffters erste Oper, von seinem Sohn Pedro kräftig und spannend dirigiert – ist ein moralisches Stück. Nun fährt zwischen drei Prospekten mit dem auf 1599 datierten Cervantes-Brief ein riesiger Bücherberg nach oben (Wernickes Schaubild für eine Staunen erregende Regietat), und nach einem in langen Linien sich aus dem Orchestergraben herausgründelnden Vorspiel setzt der Chor ein, ganz Masse und Macht, ganz emotionale Überrumpelung mit den Mitteln der Avantgarde.

Die Musik des bald siebzigjährigen Halffter ist immer nachtdunkel. Aber nie schaurig, nie psychisch belastend. Der neben Luis de Pablo wohl bedeutendste und bekannteste Komponist Spaniens liebt die wilden und heftigen Effekte. Das alles führt er zu Beginn dieses „Don Quijote“ in einem virtuos gemachten und völlig klaren Tableau vor. Halffter hat seine Taktik geändert: Etwa seit Franco 1975 gestorben ist, beschäftigt sich der Komponist mit alter Musik, nimmt sie oft als Ausgangspunkt für Klangexperimente. So auch im „Quijote“: Kaum tritt Josep Miquel Ramón als Cervantes auf, singt er seine Lebenszweifel schon zu einem brillant verfremdeten Variationsstück des großen blinden Organisten und Cervantes-Zeitgenossen António de Cabezón: „Canto del Caballero“.

Das Stück kehrt leitmotivisch, stets neu und bis zur Unkenntlichkeit verändert, wieder. Genauso wie das zweischneidige „Hoi, comamos y bebamos“ (Heute essen, trinken, singen, ruhen wir, denn morgen werden wir fasten) des Renaissance-Dichters und -Musikers Juan del Encina. Zuerst erklingt das Stück in der Wirtshausszene, heiter und versoffen, dann aggressiv zu der bei Cervantes vorgezeichneten und hier zum zentralen Motiv überhöhten Verbrennung der Bücher, zuletzt als fragendes Zitat im Finale. So entsteht Struktur, als regelmäßiger Wechsel zwischen Alt und Neu.

Dem spanischen Vorzeige-Intellektuellen, Literaturwissenschaftler und Stierkampfrezensenten Andrés Amorós ist ein starkes Libretto gelungen, das sich jedem Literaturoper-Verdacht entzieht. Amorós bietet eine ziemlich gute Zusammenfassung von Zentralszenen in knapp skizzierter Form: Wirtshaus, Windmühlen, Bücherverbrennung, der Kampf gegen die Schafherde, Quijotes Tod. Das alles liest sich vor allem wie ein Protest gegen geistige Verblödung, Kulturfeinde, Totalitarismus, klerikalen Terror, Bücherverbrenner, blinde Pop-Apologeten: Halffter und Amorós meinen alle und Wernicke unterstützt seine Autoren dabei mit starken, oft wild bewegten Bildern. Wie der Regisseur auf die Windmühlen verzichtet, stattdessen den stark und stolz singenden Enrique Baquerizo als Quijote auf seinen Bücherturm einschlagen lässt, während auch darüber riesige Bücher schweben, deren Seiten wie Windmühlenflügel im Bühnenwind flattern – das zeigt alle Selbstzweifel und Unsicherheiten von Künstlern und Intellektuellen einst wie jetzt.

Immer wieder hetzen Pfaffen gegen Intellektuelle und Kunst, tönt die alte franquistische Dummsinnsparole „Muerte“ (Tod), ist vom Caudillo die Rede. „Un solo caudillo, un solo rebaño“ (Ein Führer, eine Herde) skandiert der Chor, und alle bösen historischen Erfahrungen (nicht nur) Spaniens werden schlagartig auf den Plan gerufen. Doch Cervantes hält dagegen, wenn er Don Quijote erklärt, warum er trotz aller Niederlagen so wunderbar wichtig sei: „...damit weder Mühlen und Giganten, noch Lämmer, noch Schafe, noch Führer uns verbieten zu lesen, zu denken, zu fühlen, anders zu sein, der Herde zu entkommen.“ Und schon entschwebt Don Quijote, steigt samt einem riesigen, mit den beiden roten Schreibfedern des Cervantes geflügelten Pferd in die Lüfte.

In diesen hoffnungsfrohen Schluss hinein wummert unablässig ein massiver Glockenton – genauso wie am Ende von Tarkowskijs „Andrej Rubljow“, einem Film, der genauso heiter vergnügt in eine völlig offene Zukunft hinein aufbricht wie dieser spannend ins Heute gestellte „Don Quijote“.

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