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Stimmen eines ganzen Jahrtausends

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IV. Festival für Vokalmusik „a capella“ in Leipzig
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1997 organisierte das ensemble amarcord das erste Festival für Vokalmusik in Leipzig. „Klein, fein und etwas chaotisch,“ so der interne Slogan über „a capella“. Vokalensembles aus aller Welt und verschiedenster Stilrichtungen trafen sich im Zweijahresrhythmus. Mit dem diesjährigen vierten Durchlauf vom 3. bis zum 11. Mai ist das Festival für Vokalmusik „a capella“ erwachsen geworden.

Auch das ensemble amarcord gehört längst nicht mehr zum Nachwuchs. Auf der Visitenkarte der fünf Ex-Thomaner stehen Preise renommierter Wettbewerbe, internationale Konzerterfahrung und ein euphorischer Fankreis. Geschult bei den King’s Singers und dem Hilliard-Ensemble ensteht amarcords berückender Klang aus der Mischung von Stilsicherheit, makelloser Intonation und einem Hauch instinktiver, sympathischer Unbekümmertheit. Die diesjährigen Festivalkonzerte umfassen stilistisch nahezu ein Jahrtausend. Die geographische ,Achse‘ verbindet das alte Europa mit Simbabwe und Madagaskar und wiegt mindestens ebenso schwer.

Sie singen von ihrem Lebensgefühl, von Traditionen und sind stolz, Madagassinnen zu sein. Die Ausstrahlung von Vicky und Delake Gelle ist mehr als ursprünglich, springt fast animalisch an. Das Duo Tamae aus Südmadagaskar tanzt, singt – und röhrt. Das Röhren ist eine brachiale Stimmtechnik, „Drimotse“ genannt. Die Moritzbastei kocht, das Publikum tobt und auch von anwesenden Landsleuten der Schwestern kommt Anerkennung: „Drimotse können nur wenige.“

Dagegen hält alles den Atem an, als die zwölfstimmige Missa „Et ecce terrae motus“ von Antoine Brumel glasklar durch die Thomaskirche schwebt. Das Huelgas Ensemble unter Dirigent Paul Van Nevel fasziniert durch hochsensitive Interpretation dieses kunstvoll und exzentrisch verwobenen Renaissanceabenteuers. „Werd’ ich am Galgen hochgezogen/Weiß ich, wie schwer mein Arsch gewogen.“ Mit dem Dichter François Villon verabschieden sich das pest- und kriegsgeschüttelte Mittelalter und die derbe Lebenslust der französischen Frührenaissance.

Bevor jedoch die vollendete aristokratische Poesie in Mode kommt, erlebt das Chanson im 16. Jahrhundert ein goldenes Zeitalter. So wundert sich niemand, als, klingend aus fünf Männerkehlen, eine Hundemeute über die Bühne tobt. Das Ensemble Clément Janequin aus Paris hat neben „La Chasse“ (Die Jagd) hervorragend musizierte, vollmundig-freche Happen von Humor und berührenden Liebesliedern auf seinem Programm „Le Cris de Paris & autres Fricassées parisiennes du XVI. siècle“. Natürlich fehlt bei „a capella“ die Romantik nicht. Die Singphoniker aus München präsentieren die (deutsche) Männergesangskultur mit etwas viel Parodie bei Franz Schubert und viel zu wenig bei Biedermeierkollege Konradin Kreutzer. Stimmlich exzellent, hat das Ensemble vor allem große Momente bei Liedern von Edvard Grieg und Leos Janácek. Einziger musikalischer Wermutstropfen sind die Swingle Singers, mit 40-jährigem großen Namen aus dem United Kingdom angereist. Die Show um die Candy-Arrangements erinnert an Cheer-Leader-Gymnastik und häufig bleibt die Intonation auf der Strecke. In die Schuhe der prominenten Gründer ist die dritte Generation noch nicht hineingewachsen.

Der Festivalabschluß im Großen Gewandhaussaal endet eine halbe Stunde vor Mitternacht. Noch einmal stellt sich Afrika mit Insingizi aus Simbabwe vor. Zwei Nachwuchs-Ensem-bles überraschen: Calmus aus Leipzig mit hoher Stimmkultur bei Romantik und Zeitgenossen sowie Basta. Das Gewandhaus ist fast ausverkauft, andere Konzerte waren es nicht. Zu 80 Prozent Gesamtauslastung hat es nicht gereicht. Unterm Strich liegt eine Negativbilanz von 19.000 Euro auf den Schultern der Macher. In der Manöverkritik sondieren Ensemble und Manager Tobias Rosenthal die Konse-quenzen zukünftiger Form und Präsentation.

„A capella“ findet vom nächsten Jahr an jährlich statt. Denn künstlerisch fällt das Festival für Vokalmusik in die Rubrik ,hochkarätig‘.

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