Wie ein aufgescheuchter Vogelschwarm sirren Singstimme, Trompete und drei Melodikas durcheinander. Das wilde Zwitschern überfällt das Publikum, bricht aber abrupt ab. Zu vereinzelten Klängen sieht man dann auf Videos weiße Linien und Schraffuren, die sich über schwarzem Grund fortpflanzen und plötzlich in das dreidimensionale Licht- und Schattenspiel eines schroffen Felsstollens umschlagen.
Stollen ins Innere des Menschen
Aus dem Himmel der Vögel führt der Weg weiter unter Tage in die tiefe Grube. Das Musiktheaterwerk „Die Erdfabrik“ von Georges Aperghis und Jean-Christophe Bailly folgt dem genius loci der Ruhrtriennale. Die Gebläsehalle des Landschaftsparks Duisburg-Nord diente bis 1985 der Erzeugung von Eisen. Von hier wurde Steinkohle in Hochöfen mit heißer Luft befeuert. Die geschilderte Reise in die finstere Mine spielt auf den Abbau des fossilen Brennstoffs an. Zugleich allegorisiert die Fahrt in den Stollen einen Gang ins Innere des Menschen zu jahrtausendealten psychischen Archetypen wie Angst und Verlangen, Licht und Dunkel, Tag und Nacht, Traum, Leben und Tod, Himmel und Hölle.
In Anlehnung an Werkzeuge von Bergleuten hämmern die Schlagzeuger Christian Dierstein und Dirk Rothbrust auf Steine, Metallplatten und Amboss. Zudem betätigen sie Alarmsirenen und eine Drehvorrichtung mit rumpelnden Steinen wie bei einer Donnermaschine der Barockoper. Zwischen dem Arbeitslärm erstrecken sich ruhige Passagen, in denen Trompeter Marco Blaauw und Kontrabassistin Sophie Lücke einen veritablen Gruben-Soundtrack mit prasselnden Tropfen und rieselndem Gestein spielen.
Ganz in seinem Element ist der 1945 geborene griechisch-französische Komponist, als er konsonantisch wirkende Schabgeräusche mit analogen Zischlauten der Sopranistin Donatienne Michel-Dansac kombiniert. Baillys Libretto verarbeitet Auszüge aus Annette von Droste-Hülshoffs Gedicht „Die Erzstufe“ von 1840, das onomatopoetisch die Eindrücke eines Sommergewitters mit einem Grubenunglück parallelisiert.
Der französische Schriftsteller und Philosoph nennt die Kohle ein „Kind des Lichts“, weil sie vor Jahrmillionen aus Wäldern entstand, die unter der Sonne wuchsen. Die daraus abgeleiteten Verbindungen von Weltall und Erdreich blieben jedoch verschwurbelt, gesucht, prätentiös, ohne greifbare Metaphern und Gedanken. Zudem wurden die Texte von den sonst ausgezeichneten Musikerinnen und Musikern zu wenig präsent vorgetragen.
Die fortwährend ablaufenden Trickfilme von Jeanne Apergis und Jérôme Tuncer basieren auf analogen Zeichnungen und Collagen, die durch digitale Animation ständig überschrieben werden und dadurch auf Wachstums- und Abbauprozesse verweisen. Man sieht Höhlen, Stollen, Schächte, Sedimente, Flöze, Gneis und wucherndes Wurzelwerk. Durch Fugen und Risse zieht Wasser oder Magma. Mal spuckt ein schwarzer Vogel Funken, mal ziehen kuriose Gnome und Kreaturen wie aus Frottagen von Max Ernst in einer dämonischen Unterweltsparade vorüber. Die permanente Bildfabrikation wirkt jedoch aktionistisch und beliebig. Zu selten verdichten sich Video, Klang und Text zu poetisch eindrücklichen Anspielungen auf die Maloche im Revier und das Durchwühlen der Erde als Sinnbild des menschlichen Forschens, Vorstellungs- und Erinnerungsvermögens.
Gelungener sind manche Kippbilder. Die runden Maserungen eines versteinerten Baumstamms verwandeln sich zu einem Tunnel mit fernem Lichtpunkt wie das absehbare Ende der fossilen Brennstoffe. Wuselnde Leuchtpunkte und Netzstrukturen erweisen sich in Vergrößerung plötzlich als hunderte Strichmännchen mit winzigen Grubenlampen. Die etwas simple Kombination von Ensemblemusik mit Video mag als Musiktheater im weiteren Sinne durchgehen, auch ohne Mimik, Gestik, Szene und Raum, die Aperghis sonst so luzide und ausdruckstark zu gestalten weiß. Defizitär aber bleibt, dass sich Sicht- und Hörbares wenig gegenseitig kommentieren und die Akteure viel getrennt vor sich hin werkeln. So läuft alles distanziert und kalt ab, obwohl es doch auch um menschliche Urängste und Urbedürfnisse hätte gehen sollen.
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