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Richard Strauss‘ Salome | Festspielpremiere am 27.06.2019 | Musikalische Leitung: Kirill Petrenko | Produktion: Krzysztof Warlikowski. Foto: © Wilfried Hösl
Richard Strauss‘ Salome | Festspielpremiere am 27.06.2019 | Musikalische Leitung: Kirill Petrenko | Produktion: Krzysztof Warlikowski. Foto: © Wilfried Hösl
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Strauss unbedingt verschlimmbessern – Die Münchner Opernfestspielpremiere „Salome“

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Der Salome-Stoff im Jahr 2019 – da gäbe es leider Anknüpfungspunkte, denn grässlicherweise sind ja Enthauptungen von unliebsamen Köpfen wieder aktuell geworden. Also war in der Strauss-Metropole München zu Beginn der Opernfestspiele etwas zu erwarten. Doch den Buh-Sturm für das Bühnenteam fand Wolf-Dieter Peter völlig angemessen.

Anscheinend treibt Operndirektionen irgendwie das schlechte Gewissen um, zu den besonders hohen Festspielpremierenpreisen nur pausenlose 100 Minuten Musikdrama zu bieten. Doch der Geniestreich von 1905, mit dem der 41jährige Richard Strauss endgültig Weltgeltung errang, ist ein sperriger Solitär. Schon 2006 war der Münchner Versuch, mit Wolfgang Rihms „Gehege“ als halbstündigem Vorspiel einen „ganzen, weil langen“ Opernabend zu bieten, gescheitert.

Diesmal war der Vorhang zu einer bühnenhohen, halb verfallenen Bibliothek als Einheitsbühnenbild offen; ein im Stil „1900“ livrierter alter Diener arrangierte im Halbdunkel nicht erkennbare Dinge; dann ging der Vorhang zu – und als er sich wieder öffnete, saß eine gepflegt gekleidete Abendgesellschaft im Raum und hörte Gustav Mahlers „Kindertotenlied“-„Nun will die Sonn‘ so hell aufgehn“, gesungen von Kathleen Ferrier unter Bruno Walter, von unsichtbaren Lautsprechern hereinklingen – Interpretations- oder Horizont-Gewinn: Null – denn dem folgten bedrohliche Wummer-Schläge an eine entfernte Eingangstüre, woraufhin der Gutteil der Abendgesellschaft nach hinten in einen sich öffnenden, hellen Kachelraum flüchtete – uneindeutig-wirre Assoziationen: also doch Nazi-Terror? Anspielung auf ein Anne-Frank-Versteck? ein tödlicher „Dusch-Raum“? Doch nun griff GMD Kirill Petrenko zum Dirigentenstab - der einzige Gewinn des Abends.

Denn trotz Mitwirkung zweier Dramaturgen folgte szenisch ein derartig uneindeutig-wirrer Abend, dass die finale Buh-Ablehnung für das Team um Krzysztof Warlikowski viel zu schwach ausfiel. Die Beteiligten bestätigen sich anscheinend nur noch selbst und angesichts der arroganten Abwehrgesten der Ausstatterin Malgorzata Szezęśniak, die sich anmaßte, den Verstand des Publikums zu verspotten, bleibt zu hoffen, dass dies für lange Zeit das letzte Engagement an der Bayerischen Staatsoper war. Warlikowski interessierte sich weder für die Gültigkeit des Werkes für Heute noch für die ihm innewohnende eindeutige Logik, sondern reihte neben- und aneinander: Herodes mit Kippa und Gebetschal als Rabbi-Typ, trotz seiner sybaritisch-hedonistischen Aussagen; Jochanaan ins sich in der Bühnenmitte öffnende, leere Schwimmbad-Geviert(?) hereinkriechend, von Narraboth eine Kippe bekommend, im Leisure-Schlabber-Look davon schlurfend, nach seiner Enthauptung aber am Ende müde im Raum sitzend und wieder eine rauchend; ein fescher Tod (Bravo: Peter Jolesch) als Partner Salomes im akzeptabel gestalteten „Tanz der sieben Schleier“, aber dann selbst tot daliegend; die multi-kulturell-orientalisch-exotische Hofhaltung als befremdlich geordnete Schabbat-Tafel mit siebenarmigen Kerzenhaltern; als einziges Gegengewicht eine bunt-orientalische Paradiesgarten-Video-Projektion mit Fabeltieren auf der Rückwand; detailrealistisch eine Narraboth liebende Pagin, die den wie tot daliegenden an die Bühnenseite schleift, der aber zum Finale erwacht und Pistolen(?) an alle verteilt, während der jetzt blutüberströmte Erste Nazarener alle mit seiner Pistole bedroht… weitere Wirrnisse ließen sich aufzählen – insgesamt: eine Aufführung zum Nimmer-Wiedersehen.

Weniger der müd-schlappe, dickliche Jochanaan von Wolfgang Koch, dem fast alles zum „Brennenden-Dornbusch-Propheten“ fehlte, auch noch nicht der zu wenig psycho-pathologische Herodes von Wolfgang Albinger-Sperrhacke waren dann aber gerne zum Wiederhören: der fast allzu körpernah Salome anschmachtende Narraboth von Pavol Breslik; die Klytämnestra-nahe Herodias von Michaela Schuster; auch die – in der großen Münchner Salome-Tradition – auf der mädchenhaft-schlanken Seite einzureihende Marlis Petersen, der die ganz große, glutvolle Expansion noch nicht gelang, glaubhaft aber die gelangweilt-verwöhnte ultimative „Kick-Sucht“. Wirkliches Festspiel-Niveau: das grandios aufspielende Bayerische Staatsorchester, da stimmte alles: Farbpalette, Feinzeichnung, drängend pulsierende Zurückhaltung bei den langsamen Steigerungen und dann Entladung in einem Fortissimo von Tsunami-Format. All das ist auch Kirill Petrenko zu danken. Er bändigte die Strauss’schen Klangfluten auch immer wieder auf sängerfreundliches Niveau, ohne schillernde Farbigkeit zu verlieren – und dann oszillierte wieder Skriabinsche Ekstatik – um dann zu Salomes „Wie schwarz es da unten ist… wie eine Gruft“ fast so etwas wie finster-dunkle, eben „schwarze“ Musik tönen zu lassen. Eine große Interpretation – trotz eines szenisch eitel verstiegenen Fiaskos.

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