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Klangliche Geschlossenheit: Michael Sanderling musiziert mit seinen jungen Musikern auf hohem Niveau. Foto: C. Oswald
Klangliche Geschlossenheit: Michael Sanderling musiziert mit seinen jungen Musikern auf hohem Niveau. Foto: C. Oswald
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Streicherglück

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Die Deutsche Streicherphilharmonie auf Tournee
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Ältere deutsche Musikfreunde erinnern sich noch recht genau an ihre frühen Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg. Im Keller des Elternhauses dröhnte das Schlagzeug, trötete das Saxophon. Jazz war angesagt, Swing und alles, was wieder erlaubt war nach der Naziherrschaft. Gegenbild: Verschüchtert schlich sich ein Klassengenosse mit einem Geigenkasten zum privaten Musiklehrer. Er übte Klassik. Mitschüler lachten und spotteten. Als dann in Bayreuth bei den Festspielen das Jugendfestspielorchester gegründet wurde, sah man die Folgen: kein deutscher Streicher im hundertköpfigen Ensemble. Alles Ostblock, vorwiegend in Gruppenformationen, damit keiner so einfach im Westen bleiben konnte. Bei den Bläsern sah es besser aus. Da konnte man ja auch Jazz spielen und brauchte sich nicht auslachen zu lassen. Irgendwann wurden dann die Jugendmusikschulen ins Leben gerufen, der Wettbewerb „Jugend musiziert“ gegründet. Und einige Jahre später saßen auf einmal auch wieder deutsche Streicher im Bayreuther Jugendfestspielorchester. Und keiner lachte mehr, als die Ersten und Besten unter ihnen zu Berliner Philharmonikern avancierten und mit Karajan nach Amerika fahren durften.

Das alles kam uns in den Sinn, als wir jetzt in der Frankfurter Alten Oper der Deutschen Streicherphilharmonie begegneten. Die rund sechzig jungen Musikerinnen und Musiker, zwischen dreizehn und neunzehn Jahre alt, absolvierten nach einer ihrer drei Arbeitsphasen im Jahr eine kurze Tournee, auf der sie Werke von Schumann, Chopin und Hubert Parry spielten. Die jungen Musikerinnen und Musiker werden an den Musikschulen in Deutschland ausgebildet. Um in das Orchester aufgenommen zu werden, müssen sie eine vergleichsweise strenge Prüfung ablegen. Gegründet wurde das Ensemble als „Rundfunk-Musikschulorchester der DDR“ im Jahr 1973. Nach der Wiedervereinigung wurde das Orches-ter als „Deutsches Musikschulorches-ter“ in die Trägerschaft des Verbandes deutscher Musikschulen überführt. Der leicht pädagogisch klingende Titel des Orchesters, der manche Veranstalter irritiert haben mag, wenn es um die Verpflichtung zu einem Auftritt ging, wurde dann in „Deutsche Streicherphilharmonie“ umgewandelt. Das hört sich doch gleich ganz anders an. Von Hochstapelei kann dennoch keine Rede sein: Unter ihrem derzeitigen Chefdirigenten Michael Sanderling demonstrierten sie in Frankfurt am Main als einem ihrer Tournee-Orte, eine bemerkenswerte Spielgewandheit, hohes technisches Niveau und eine schöne klangliche Geschlossenheit und Farbigkeit.

Natürlich gibt es auch Probleme. Das Repertoire für ein reines Streichorchester ist vergleichsweise begrenzt. Da müssen dann Bearbeitungen helfen. In Frankfurt hörte man Schumanns Violoncellokonzert a-Moll op. 129 in einer Fassung für Streichorchester sowie Chopins Klavierkonzert Nr. 1 e-Moll op. 11, ebenfalls bearbeitet für Klavier und Streicher. Das ging sogar recht gut, die Streicher setzten die richtigen Akzente, imitierten mitunter den Bläserklang überraschend zutreffend, und alles wurde mit viel Temperament, großem Können und sicherem technischen Zugriff realisiert. Zum Vorteil geriet auch, dass mit dem Cellisten Johannes Moser und der Pianistin Evgenia Rubinova zwei hervorragende Solisten gewonnen werden konnten, die gemeinsam mit dem Dirigenten Michael Sanderling die sichere Führung übernahmen und das Orchester gleichsam mitrissen. Dass die jungen Streicher auch brillant pointieren können, zeigte sich an Hubert Parrys Komposition „An English Suite“.

Selbstverständlich ist die Deutsche Streicherphilharmonie auch im Medienzeitalter angekommen. Einige CDs liegen vor, zuletzt eine mit Werken von Tschaikowsky und Béla Bartók, ebenfalls von Michael Sanderling dirigiert. Auch hier bestätigen sich die positiven Eindrücke aus den Live-Konzerten. Natürlich möchte man den jungen Musikern auch einmal eine besonders strenge Aufgabe stellen: die „Metamorphosen“ von Richard Strauss. Da könnte man wunderbar eine Abstandsmessung, wie im Straßenverkehr, vornehmen: Wie weit ist es noch bis zu den Wiener Philharmonikern, die dieses Stück einmalig herrlich zu spielen verstehen. Ganz so groß, wie man fürchten müsste, dürfte der Abstand gar nicht einmal sein. Realistischer aber wäre ein anderer Vorschlag: Wer komponiert für die Streicherphilharmonie geeignete neue Werke, nur für Streichinstrumente? Komponisten dafür sollte es geben. Und auch Sponsoren, denen Musik und junge Musikerinnen und Musiker am Herzen liegen.

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