Anfangen muss man mit Anne und Anna Berit. Wenn sie reden, was insgesamt wenig ist, dann mit leisen Stimmen. Reden müssen sie auch nicht groß. Gefragt sind die beiden vor allem bei den Begrüßungen vor den Konzerten, was dann alles sehr improvisiert wirkt, grundsympathisch, dänisch. Dass der Umgangston dieses Festivals für „contemporary music and sound art“ unter den sonst üblichen Verlautbarungsschwellen bleibt, hat mit dem Stil von Anne und Anna Berit zu tun, aber auch mit den Veranstaltungsorten.
Da ist ein in die Jahre gekommenes Tanzhaus, das mal Missionshaus war, da ist der Seminarraum eines Kulturzentrums, eine winzige Galerie, Museums- und Ausstellungsräume und eine Fußgängerzone. Meistenteils Nischen also, abseits der Groß-Kultur, die hier in Aarhus sofort ins Kommerzielle geht, allen voran das „Musikhuset Aarhus“, das Konzerthaus der Stadt, ein trendiger Glaskasten, der zu Unternehmungen wie denen von Anne und Anna Berit ein Feigenblatt-Türchen öffnet, ansonsten höfliche Distanz hält. Man huldigt anderen Göttern. Parallel zum Neue-Musik-und-Klangkunst-Festival hat „Dirty Dancing – The Musical“ Premiere und spielt von da ab durch den ganzen Mai. Karten zu 255 bis 855 Kronen. Mit einbrechender Dunkelheit leuchtet das „Musikhuset“ rosafarben.
Was daran auffällig ist? – Nicht der Umstand, dass in Aarhus Show und Musical sehr beliebt sind. Solches ist ja längst global. Auffällig ist, dass all die kommerzialisierten Formate vom Konzerthaus vollständig Besitz ergriffen haben und jede Erinnerung daran erloschen ist, dass eine „contemporary music“ einmal aus der traditionellen Kunstmusik erwachsen ist. Es gibt, dies der Eindruck vom Musikleben im dänischen Aarhus, keinen Trennungsschmerz mehr, weder auf dieser noch auf jener Seite.
Auch nicht bei Anne und Anna Berit. Wenn ihr Festival anfängt, das an diesem etwas verregneten, immer noch recht frischen Maiwochenende sein Zehnjähriges begeht, ist die wichtigste Arbeit der beiden schon getan. Jedenfalls, wenn man darunter versteht, den richtigen Kurator oder die richtige Kuratorin gefunden zu haben. Denn das ist die Konstruktion: Ein fixes künstlerisches Leitungsteam, derezit bestehend aus der Musikologin Anne Marqvardsen und der Musikerin Anna Berit Asp Christinsen, bestimmt jährlich wechselnde Gastkuratoren.
Zum Zehnjährigen von SPOR (für „Track“, „Spur“) musste natürlich ein Knalleffekt her. Voller Stolz meldet das Duo im Editorial Vollzug: Mit Simon Steen-Andersen habe man „one of the most successful artists of the Danish music scene“ gewinnen können. Was sicher stimmt. Angefangen beim Stuttgarter Eclat-Festival über einschlägige Spielorte in Huddersfield, Gent und Hannover bis nach Barcelona reißt man sich seit geraumer Zeit um besonders ein Stück aus Andersens Feder. Eines, in dem es um „Literal Readings of the Classics“ geht: Bach, Schumann, Mozart, Ravel aufbereitet, in Szene gesetzt in einer so genannten „Staged Night“, einer (so der Titel) „Inszenierten Nacht“, jetzt als dänische Erstaufführung in Aarhus mit dem Ensemble Ascolta. Was sich da in sechzig Minuten abspult, ist eine mit ausgeklügelten Lichteffekten operierende Assemblage schöner Stücke, schöner Stellen, ohne dass dabei (der Komponist legt Wert darauf) auch nur eine Note geändert worden wäre! Unter dem inszenatorischen Strich ist dieser gespickte Klassikerbraten sicher weniger Komposition als Bearbeitung. Darin aber mit der Tendenz in eine Richtung, die eigentlich die Domäne des „Musikhuset“ ist: Show.
So sehr der in Berlin lebende Spahlinger-Schüler Simon Steen-Andersen seine SPOR-Programmierung erkennbar um dieses ins Regiefach hineinspielende Inszenierungs-Thema herumgebaut hatte – bei weitem nicht alles ging darin auf. Dafür ist der Individualismus (nicht nur in Dänemark) zu ausgeprägt.
Gottlob! möchte man sagen. Stattdessen frönte jeder und jede hier vor allem ihren, seinen ästhetischen Vorstellungen. Phill Niblock, Altmeister minimalistischer Klangkunst, hatte hier ebenso seinen Auftritt wie die ganz und gar eskapistisch wirkende Vorjahreskuratorin Jennifer Walshe oder ihr Bruder im Geiste, der französische Komponist François Sarhan. Ansehnlich vertreten, auch die bundesdeutsche Szene: Roman Pfeifer mit pantomimegestützter Kammerelektronik, Niklas Seidl mit einem ungeniert provozierenden Stück und die Kölner Komponistin Christina Messner mit „Cosa di tutti“: Reduziertes Musiktheater in fünf mal drei Minuten zwischen Leben und Tod. Das Ganze vom norwegischen Ensemble Ning hingezaubert in den öffentlichen Raum, sprich Fußgängerzone Aarhus, Samstag, 12 Uhr mittags. Kunst, die sich im Alltag gegen den Alltag stemmt. Mit einem „Sound“, der durchaus auch Vorbilder hat, mit ihnen aber nicht hausieren geht. Nur so ergibt SPOR Sinn.