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Franck Edmond Yao alias Gadoukoula Star, Hauke Heumann und Orchester. Foto: © Jörg Landsberg
Franck Edmond Yao alias Gadoukoula Star, Hauke Heumann und Orchester. Foto: © Jörg Landsberg
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Szenisches Experiment am Theater Bremen über Mozarts Entführung und Afrika

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Die Ränge sind nicht besetzt, das Orchester sitzt auf der Bühne, flankiert von Zuschauern, das Parkett ist weitgehend leergeräumt und vor dem auf dem Boden sitzenden Publikum steht ein riesiges Mischpult. Ein Bühnenbild gibt es nicht. Das Publikum soll sich bewegen, sich seine eigene Mischung und Sicht herstellen. Das klingt nach einer Inszenierung des leitenden Regisseurs des Theater Bremen Benedikt von Peter: ist es auch.

Er hat zusammen mit dem Performancepaar Monika Gintersdorfer/Knut Klaßen (und ivorischen Sänger-Tänzern Gotta Depri, Skelly und Gadoukou la Star), dem Punkmusiker Ted Gaier, den Bremer Philharmonikern unter der Leitung von Markus Poschner einen bejubelten Abend auf die Bühne gebracht, der sich „Les Robots ne connaissant pas le Blues oder Die Entführung aus dem Serail“ nennt. Aber es geht nicht um Mozart. Es gibt auch keinen Bassa Selim, diese unglückliche Person, die in so vielen ambitionierten Inszenierungen mit ihrer verzeihenden und toleranten Haltung einen herausragenden Stellenwert erhält.

Zwar wird die Geschichte etwas zu aufwändig und ironisch erzählt – sie kennt ohnehin jede und jeder –, aber das Autorenkollektiv interessiert sich mit seiner unterschiedlichen kulturellen Herkunft für ganz andere Dinge: der Musiker und Gründungsmitglied der „Goldenen Zitronen“ Ted Gaier meint, dass die Welten der elektronischen Musik und die Mozarts einander ausschließen und doch untersucht er, wie sie sich in die jeweils andere hineinbegeben können. Da sind sehr schöne Übergänge gelungen. Monika Gintersdorfer mit ihren ivorischen Künstlern interessiert sich für den Zusammenknall mit unbekannten Systemen und völlig anderen Arbeitsweisen. Benedikt von Peter untersucht wieder gerne seine Lieblingsfrage, was es mit der bürgerlichen Liebesmoral – ist sie eine Befreiung oder eine Geißel – auf sich hat. Und Markus Poschner beleuchtet gerne einmal die Produktionsmechanismen des europäischen Musikmachens und will mit den Sängern sein Teil dazu beitragen, sie sichtbar zu machen.

Schlag auf Schlag

Das sind viele Ideen und Fragen auf einmal (noch längst nicht alle), vielleicht zu viel für einen Abend. Das Publikum jedenfalls hat keine Chance, einer eben gehörten Idee nachzugehen, es geht Schlag auf Schlag in einem derart kurzweiligen Tempo, dass im Nu die zweieinviertel Stunden ohne Pause herum sind. „Die Oper singt von der Liebe und wir singen die Analyse“, sagt Ted Gaier am Anfang und das geht dann so: Die mitreißend gespielte Ouvertüre wird unterbrochen von der wilden Tanzeinlage des ivorischen Tänzers Skelly, der dadurch unser Hören anders als gewohnt lenkt. Nicole Chevalier als überragende Constanze erklärt, wie sie die atemberaubend schwierigen Koloraturen in einen existentiellen Ausdruck bekommt, die große Marternarie wird zu einer veritablen Gesangsstunde. Und legt offen, wie „Doch, du bist entschlossen“ zu einem Pfeil für den Gegner – der ivorische Tänzer Gadoukou la Star – werden kann. Oder wenn Belmonte Hyojong Kim dem ivorischen Sänger „O wie ängstlich“ beibringen will und der ihm das emotionale Pendant mit viel Improvisation um die Ohren haut. Oder wenn Nerita Pokvytyté als Blonde „Mit Zärtlichkeit und Schmeicheln“ Gotta Depri beibringt, wie man freie Frauen behandelt und mit ihm ein heftiges Streitgespräch über die Liebe anzettelt. Oder wenn Patrick Zielke als Osmin sich müht, mit den Afrikanern irgendwie Schritt zu halten und am Ende zu „Erst geköpft, dann gehangen“ von denen über den Boden weggeschleift wird.

Und wie schwer das Singen ist, zeigt dann der Schauspieler Hauke Heumann, der auch noch den Pedrillo singen darf oder muss. Hut ab! Heumann ist ein explosiver, witziger und spontan wirkender Moderator, der mit sehr unterschiedlichen, auch improvisierten ästhetischen, philosophischen, politischen Texten durch die Aufführung leitet, der insgesamt eines gelingt: Die originelle Art von Selbstbefragung witzig und damit selbstironisch zu halten, die Musik von Mozart – insgesamt durchgehend transparent und inspiriert interpretiert - unangetastet zu lassen und ihr damit einen inselartigen Stellenwert zu geben. Sie leuchtet einzigartig neben dem ebenso einzigartigen körperlichen Ausdrucksradius der Afrikaner.

Nachdenklicher Abend und pralles Theater

Und etwas Unglaubliches passiert: die allzu bekannte Musik Mozarts gewinnt durch die afrikanische Kunst eine neue Frische, und die Gesangs- und Tanzkunst der Afrikaner wird durch die Musik Mozarts wunderbar herausgestellt. Eine Antwort auf ihre Ausgangsfrage, ob die monogame Liebe eine Illusion ist, gibt die Aufführung, von Peters letzte Arbeit in Bremen, nicht, will sie aber auch gar nicht, sondern lediglich „Selbstbefragung“ (Poschner) und das „Nachdenken über den Kontext der Oper“ (von Peter) sein und das ist gelungen.

Ein nachdenklicher Abend und pralles Theater gleichzeitig: „Mann, war das cool!“ meinte ein junger Mann. Die Aufführung geht auf Reisen in die Kampnagelfabrik Hamburg und die Deutsche Oper Berlin. In drei Jahren hat Benedikt von Peter in sechs Inszenierungen provokative und energiegeladene Irritationen über den Opernbetrieb auf die Bühne gebracht, die immer davon ausgingen, etwas zu wagen, nicht etwas zu behaupten. So sehr dem Kurt-Hübner-Preisträger von 2014 dafür zu danken ist, so sehr macht sich im Bremer Publikum das Bedauern über seinen vorzeitigen Weggang nach Luzern als Intendant breit.

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