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Domen Križaj (Wolfram von Eschenbach; in der Bildmitte stehend) und Ensemble. Foto: © Barbara Aumüller

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Tannhäusers queere Versuchungen – Thomas Guggeis dirigiert Richard Wagners „Tannhäuser“

Vorspann / Teaser

Kurz vor seinem Tod glaubte Richard Wagner ja „der Welt noch den Tannhäuser schuldig“ zu sein. Die vielen Fassungen und Änderungen sprechen dafür. Auch die Ambiguität von sehr, sehr irdischer Sexualität und ihren Sublimationen hat nicht nur Menschen und Künstler diversester Orientierung angesprochen, sondern auch zu immer neuen Interpretationen geführt – so jetzt auch in Frankfurts Oper „für das Besondere“.

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Mit dem Satz „dass Worte und Ideen irgendwann bedrohlich werden, müssen nicht nur queere Personen immer wieder schmerzhaft erfahren“ signalisierte Regisseur Matthew Wild schon lange vorab eine Richtung seiner Inszenierung und zusammen mit Dramaturg Maximilian Enderle schrieb er dann ein neues „setting“ für die beibehaltene Kernhandlung. Schon zu den ersten Takten der Ouvertüre der Wiener Fassung wurde der bühnengroße Universitätshörsaal für eine besondere Veranstaltung im Jahr 2015 hergerichtet – Zwischenvorhang – und darauf rekapitulierten Zeitungsartikel eine Vorgeschichte: Der deutsche Professor Heinrich von Ofterdingen war 1936 in die USA emigriert; sein Roman „Montsalvat“ wurde 1956 mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet und machte ihn zum Literatur-Star – und dann verschwand er – Dunkelheit. Hinter dem Zwischenvorhang tauchte ein im Nirgendwo verortetes Schlafzimmer auf, mit Ofterdingen-Novalis-Tannhäuser und seinen papierenen Entwürfen ringend; er setzte eine Schallplatte in Gang – und mit den irisierenden Klängen des Bachanales aus dem Orchester wurden in den identischen Zimmern links und rechts die Phantasmagorien eines europäisch hochgebildeten Professoren-Gehirns sichtbar: Jupiter als Adler, Bacchus, Wilder Bock und Satyrn, St. Sebastian, Amor, Ganymed, nackte Jünglinge, Botticellis Venus – schließlich Tadzio aus Thomas Manns „Tod in Venedig“-Novelle – und dann auch eine dominante Venus in traumschön weiß fließendem Gewand, aber mit Totenschädel als „Eros thanatos“ – Lust- und Albträume mischten sich in traumatisch wechselndem Hell-Dunkel, so dass Tannhäusers Flucht in die Realität nachvollziehbar wurde.

Die drei Räume drehten weg, die Rückfront des Hörsaals herein. Neben der wenig überzeugenden Umdeutung des Hirten als Putzfrau brachen dann die Pilger einer evangelikalen Gemeinde zum 2. Vatikanischen Konzil nach Rom auf, während die entscheidenden Professoren um den priesterlichen Dekan-Landgrafen den verwirrt-widerstrebenden Ofterdingen-Tannhäuser zum „Poetry-Contest 1961“ in den hereindrehenden Hörsaal zwangen. Elisabeths erinnernde Gegenwarts-Seligkeit, „Marching Trumpets“ und Cheer-Girls, Wolframs gleichfalls priesterliches Ausgleichen, das Aufeinanderprallen von amerikanischem Puritanismus und künstlerisch Grenzen überschreitender Egomanie – Tannhäuser küsst einen Studenten – die öffentliche Erregung war glaubhaft zum alles sprengenden Eklat angesichts von Video-Überblendungen nackter Körper, von hereintanzenden Satyrn, dem ostentativen Zerfetzen und Verbrennen des anfangs unbedingt zu signierenden „Monsalvat“-Bestsellers und schließlich einem geisterhaften Venus-Auftritt gesteigert. Die Fülle an stimmigen Details fügte sich nach Elisabeths Abschied vor dem Hörsaal, Wolframs wie eine Selbsttröstung anmutendes Lied an den Abendstern vom in Gang gesetzten Plattenspieler und natürlich vom Orchester fein übernommen, schließlich Ofterdingen-Tannhäusers Rückkehr im dreckigen Trenchcoat fügten sich in der „Rom-Erzählung“ zusammen: zu Originalvideos vom 2. Vatikanischen Konzil mit der erneuten Verurteilung von Homosexualität kontrastierten nochmals hereintanzende Phantasmagorien Tannhäusers bis hin zu Tadzio und endeten in Tod und Verzweiflung – Zwischenvorhang – und zu ersten Zeitungsmeldungen von der sexuellen Straf-Befreiung ab 1968 tönte der Schlusschor von der „Gnade Heil“. Alles herausfordernd, in sich stimmig geformt, vom perfekt wechselnden Bühnenbild Herbert Murauers und bis in die Hornbrillen fein gezeichneten 60er-Jahre Kostüm-Stil von Raphaela Rose – und vom in den Jahren der Loebe-Intendanz „gereiften“ Premierenpublikum mit standing ovations gefeiert. 

Über der Fülle neuer Aspekte konnte die nie dampfende, schlank akkurate musikdramatische Interpretation vom 31-jährigen GMD Thomas Guggeis fast zu kurz kommen: Feinzeichnung menschlichen Elends, zupackende Dramatik von Massenphänomenen mitsamt dem dank der Hörsaal-Aufstellung geradezu „moralisch donnernden“ Chor (Tilman Michael) – idealerweise Szene und Musik im Einklang. Im hochklassigen Ensemble klang Dshamilja Kaisers Venus etwa zu wenig erdig-erotisch, Domen Križajs Wolfram zwar wunderschön „deutsch belkantistisch“, aber eben zu balsamisch blass und Christina Nilssons Elisabeth zwar sopranstrahlend, aber in der Wirkung zu hausfraulich. Karolina Bengtssons Hirten-Putzfrau machte aus ihrem Liedchen ein Knabenstimmen-Kunststück. Magnus Dietrichs Walther von der Vogelweise stach mit strahlendem „Jung-Tenor“ alle übrigen Meistersänger aus. Marco Jentzsch beeindruckte in der Titelpartie nicht nur mit seiner schlanken Zwei-Meter-Bühnenerscheinung, sondern auch mit einem schlanken, hell timbrierten Tenor zwischen Leid und Aufbegehren. Vokal überstrahlte aber ein Bass-Balsam alles, mit Fülle sowie Grandezza im Ausdruck und einfach souveräner Wirkung – Andreas Bauer Kanabas ließ einen bedauern, dass sein priesterlicher Landgraf-Dekan eben doch im Moral-Korsett jener Jahrzehnte steckenblieb – und ja: was für ein Gewinn, darüber nachzudenken, wie wenig weiter wir es gebracht haben.

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