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Electric Saint - Uwe Schenker-Primus (Edison) und Richard Morrison (Tesla). Foto: © Candy Welz
Electric Saint - Uwe Schenker-Primus (Edison) und Richard Morrison (Tesla). Foto: © Candy Welz
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Technische Opernlegende: Stewart Copelands Sicht auf Nikola Tesla in Weimar

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Schon beim Kunstfest Weimar 2020 hätte die Oper „Electric Saint“ des Police-Drummers Stewart Copeland als Koproduktion mit dem Deutschen Nationaltheater Weimar herauskommen sollen. Diese Uraufführung ist eines der vielen Kapitel aus den Corona-Chroniken dieses Festspielsommers. Das beinhaltet neben den Reiseerschwernissen des zur Premiere am 5. September nicht anwesenden Komponisten auch ein Arrangement für kleinere Orchesterbesetzung. Wie man es dreht: In das Kunstfest Weimar 2021 als „Bundesgeistesschau“ will „Electric Saint“ ebenso wenig passen wie zu den intensiven Kunstfest-Diskursen über den Klimawandel und das Wohin in unserer Wachstumsgesellschaft. Der Applaus wirkte trotz hervorragender musikalischer Leistungen und einiger Bravi etwas schütter.

Mit Nachdruck, geradezu mystisch, blitzt und brutzelt es aus Drähten und unter Glühbirnenschalen kräftig von der Projektionswand. Vor allem im Finale: Der Chor steht da. Hymnisch aufgerissene Augen jubeln mit den Stimmen um die Wette, bekommen nicht genug an euphorisierender Zukunftsgewissheit. Die Chorleiter Jens Petereit und Emanuel Winter – auch Gregor Bühl am Pult und die Staatskapelle Weimar könnten keinen glänzenderen Job machen: Das klingt ekstatisch und glaubensselig wie das „Resurrexit“ in der Osternacht. Aber auch beim Absturz des Wechselstrom-Heiligen Nikola Tesla (1856-1943) in den wirtschaftlichen und persönlichen Ruin wird das Publikum mit musikalischen Reminiszenzen bestens versorgt.

Das Leben in der amerikanischen Gründerzeit war kein Ponyhof. Nur im letzten Drittel der Oper lässt die dramatische Spannung etwas nach. Vielleicht auch, weil der Beginn so überaus stark war. Vor allem die Ouvertüre: Ein Cluster wie von einem abgeschalteten Motor, Saxophon-Solo, Rocksong-Intro. In der ersten Stunde berauscht das durchdringende Fluidum aus straffer Motivik, kleinzellig schwelgenden Melodien und flauschigem Orchester-Flokati. In Bewegung bleibt die satte und wie Kraftfutter sättigende Dauererregung durch Xylophon, souverän gehandhabtes Schlagwerk und – wenn es nicht täuscht – Marimba. Copeland beherrscht die Vocals besser als die meisten seiner Kolleg*innen aus der avancierten Neuen Musik. Bei Duetten wird in Oktaven gesungen – (fast) immer voll tonal. Wie bei Glass oder Henze, der seit dem Münchner-Biennale-Erfolg von Turnages „Greek“ (1988) den Textdichter und Szeniker Jonathan Moore hohe Wertschätzung erwies, kennt Copeland alle Reizmittel vom Nicht-Mehr-Rezitativ in die Noch-nicht-ganz-Melodie, wie sie in jedem Vokalgenre – sei es Rock, Folk, Chanson oder Oper – gut ankommen.

Nichts in der pointensicheren Pragmatik des Textbuchs thematisiert technische Supergaus, ökologischen Holocaust und Ressourcenverschleiß. Es geht nur um den amerikanischen Stromkrieg an Ende 19. Jahrhunderts und seine Protagonisten. Eine derart offene Spielvorlage hätte von anderen Kunstfest-Aktivteams locker mit Positionen zum Ernst der Situationen befüllt werden können. Moores Inszenierung dagegen zeigt sich interessiert am fast naiv durchgezogenen Dualismus zwischen Erzböse und Engelsgut. In seiner aalglatten Rhetorik fordert Moores Textbuch durchaus andere Sicht- und Spielweisen heraus. Gerade beim Kunstfest Weimar und am DNT gab es in den letzten Jahren für kompliziertes Musiktheater weitaus spannendere Raumlösungen als Robert Lippoks leere Hauptbühne mit dem abstrakt-symbolisch-realistischen Video- und Dias-Set. Demzufolge ist das Sonderheft des Magazins „Die deutsche Bühne“, welches als Programmheft ausgegeben wurde, keine Werkmonographie, sondern ein fundiertes Souvenir-Book zur der Pandemie abgetrotzten Entstehung dieser Produktion.

Die Auffahrt des armen Genies Nikola Tesla vom irdischen Jammertal in den Olymp der „Träumer, Dichter und Verrückten“ erweist sich als aufgeladen durch Wechselstrom und Korruption. Da funkt es elektrisch und erotisch, wenn der von moralischen Skrupeln heimgesuchte und keiner Schurkerei gewachsene Tesla erst widerstrebend die an ihn glaubende Kate mit aufs Experimentierzimmer nimmt. Die in ihrer Ehe mit dem lauteren Verleger Robert (Jasper Sung) unbefriedigte Lady zieht kräftig am Schaltknüppel – und schon ist alles mit allem verbunden. Die Zukunft wird drahtlos und der (Spiel-)Raum gewinnt Poesie. Die Synergie von physikalischer Hochspannung und Poesiealbum-Lyrik rechtfertigt kaum, dass die Produktion erst ab 16 Jahren empfohlen wird.

Richard Morrison singt mit einem resonanzreichen und – passend zum Charakter Teslas – unauffällig geführten Bariton. Es ist tatsächlich wie im Sakralstück, dass der Elektrizität als Funken Gottes begreifende Tesla so spannungs- und saftlos wirkt wie die milden Vorbildfiguren. Moores Kapitalismus-Hölle kennt nur den Unterschied von smart (Alexander Günther als Westinghouse) und hart: Trust-Boss JP Morgan, den Oleksandr Pushniak spielt wie einen Bilderbuch-Ausbeuter, verwendet Teslas Hilferuf-Briefe für einen auf der Toilette üblichen Reinigungsvorgang. Die Wasserspülung ist eines der ganz wenigen Geräusche, die Copeland nicht vertont hat. Der sadistische, betrügerische, rassistische Erfinder Edison erweckt in Uwe Schenker-Primus darstellerische Kasperltheater-Begehrlichkeiten. Zu seinem Veitstanz fehlt nur der Feuerkessel für die toten Seelen. Und wie schade, dass Emma Moore für Kate zwar eine steinerweichende Emotion aufbringt, auf der Bühne aber einen zugeknöpften Engel im Reifrock spielen muss.

„Oh du heiliger Ford!“ – Schon zur Entstehungszeit von Aldous Huxleys „Schöne Neue Welt“-Dystopie war die Hagiographie ihrer technischen Pioniere ein Narrativ der US-amerikanischen Kultur. Dieser Fortschrittsoptimismus prägt auch „Electric Saint“. Wenn sich Copeland im dritten Akt musikalisch immer häufiger wiederholt, rutscht ein bedeutendes Detail dieser fiktiven Opernbiographie weg: Denn da wird der gläubige Nikola Tesla im Traum von seinem Vater (Avtandil Kaspeli) davor gewarnt, die eigenen Moralskrupel mit dem Willen des gnädigen Gottes gleichzusetzen. Packendes Ideentheater, zumal in Weimar, entsteht aus solchen Antithesen. Aber dafür war es bereits zu spät.

  • Weitere Vorstellungen: Sa 11.09.2021/19.30 Uhr – Sa 18.09.2021/19.30 Uhr – Do 30.09.2021/19.30 Uhr – Fr 15.10.2021/19.30 Uhr – So 07.11.2021/18.00 Uhr – Sa 11.12.2021/ 19.30 Uhr

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