Die im Wagner-Jubiläumsjahr 2013 besonders diskrepant aufgenommene Inszenierung des „Ring des Nibelungen“ durch Frank Castorf wartet in ihrem vierten Jahr mit einer Reihe von Veränderungen auf – leider kaum zum Vorteil für den „Rheingold“-Auftakt.
Insbesondere fällt das Ohrenmerk dieses Sommers auf den neuen „Ring“-Dirigenten: Marek Janowski, dem die neben Georg Solti erste und kaum weniger gefeierte neuzeitliche Gesamtaufnahme von Wagners Tetralogie auf Schallplatten zu verdanken ist, tritt hier das Erbe des genialischen Interpreten Kirill Petrenko an. Während Petrenkos Klangmagie sich an Castorfs Dekonstruktivismus rieb, hochrankte und die ungewöhnliche Sichtweise der diskursiven Theaterform durch seine musikalische Deutung im höheren Sinn rechtfertigte, scheint bei Janowski die innere Fremdheit dem Theater des späten und frühen 21. Jahrhunderts gegenüber unauslöschlich innezuwohnen und im Nachhinein dessen konzertante Opernrealisierungen zu rechtfertigen.
Dort, auch bei seinem neuerlich eingespielten Zyklus der Wagner-Partituren im Bayreuther Kanon, war Janowski Herr einer imaginären Szene – hier, bei seinem nun endlich doch noch erfolgten Bayreuth-Debüt, bleibt er deutlich hinter der Leistung seiner selbst gesetzten Maßstäbe zurück. Dies ist allerdings kein Einzelfall, denn Georg Solti erging es in Bayreuth ebenso, wo er, gemessen an seiner eigenen „Ring“-Einspielung, versagte. Ohne Zweifel erledigt Marek Janowski sein Dirigat mit großer Routine und fängt etwa einen zu frühen Einsatz von Markus Eiche als Donner durch Beschleunigung des Tempos in nur zwei Takten wieder auf. Die Lustlosigkeit des musikalischen Leiters an der szenischen Hemisphäre scheint noch den Applaus zu überstrahlen, wenn Janowski mit den Solisten des Abends vor dem Vorhang steht, sich aber nicht gemeinsam mit diesen verneigt.
Da kann es kaum verwundern, dass die ebenfalls als Neulinge in dieser Produktion mitwirkenden Sängerdarsteller*innen großenteils ebenfalls blass bleiben. So singt Iain Paterson den Wotan fehlerfrei und erfüllt mit Selbstverständlichkeit alle selbst noch so ungewöhnlichen szenischen Erfordernisse und ist doch von der Verkörperung eines Göttervaters so weit entfernt wie von der des nikotinsüchtigen Mafiabosses. Roberto Saccà lässt als Taschenspieler Loge die ihm – etwa als brillanter Kaiser in Strauss’ „Frau ohne Schatten“ – eigene Bühnenpräsenz vermissen. Nur einmal, wenn er aus der auflodernden Flamme seines Gasfeuerzeugs weissagerische Fähigkeiten entwickelt, spürt man die Dimensionen dieses Tenors.
Neu auch Wotans erotische Gespielinnen im Bett des Golden Motel an Amerikas alter Mother Road, Sarah Connolly als Fricka und Caroline Wenborne als pummeliger Wonnepfropfen Freia, die nach ihrer Entführung durch die Riesen (Günther Groissböck und Karl-Heinz Lehner) in Latex gewandet ist und fürs Bedecken mit Goldbarren auf die Pfähle des Bettgestells gelegt wird. Dass Gattin Fricka auf die junge Schwester eifersüchtig ist, erscheint als ein neuer Zug der vordem in jeder Hinsicht überaus liberalen Götterwelt in Castorfs Inszenierung. Zu einem überfrachteten Slapstick ausgebaut wird der Verlust des Revolvers beim angeberischen Drehen durch Froh (Tansel Akzeybek); immer und immer wieder fällt die Waffe in den Pool und wird wieder herausgefischt.
Leider können die neuen, mehr gemütlichen als frech-verrückten Rheintöchter Alexandra Steiner, Stephanie Houtzeel und Wiebke Lehmkuhl der vorangegangenen Besetzung nicht das Wasser reichen, und das Ende des finalen Terzetts, zur Videoeinspielung der schwimmenden drei Schwestern, geht akustisch völlig unter. Auch Albert Dohmen erledigt die Partie des wendejackigen Alberich zu souverän. Dass er selbst ins Wasser steigt, hat er sich in diesem Sommer ebenso abgeschminkt, wie das Selbsteinheizen durch Einschmieren seiner Brust mit Senf.
Da wird die Erda von Nadine Weissmann zur Alles überragenden und vom Publikum zu Recht gefeierten Diva. Und in den Live-Videos auf dem großen Screen des Motel-Dachs wird Patric Seibert in der hinzu erfundenen Underdog-Rolle unwillkürlich zur Hauptrolle. Denn permanent ist der Tankstellenwärter, Barkeeper, „Sigurd“-Magazin-Leser, sich sogar mit Wotan kloppende Mitschuldige und finale Initiator einer stoned Gay Party der Mittelpunkt skurriler Aktionen.
In einer Inszenierung, wo so viel getrunken wird wie hier im „Rheingold“, verwundert es nicht, dass eine Besucherin, zwei Plätze neben mir, eine mitgeführte, der Sicherheitskontrolle offenbar entgangene Tetraeder-Getränkebox laufstark öffnete, um es den Darstellern im Spiel gleich zu tun. Nur gut, dass die nunmehr – etwas anachronistisch zur Sechzigerjahre-Handlung – den Glimmstengeln auf der Bühne untermischten E-Zigaretten noch nicht den Weg in den Zuschauerraum gefunden haben.
Dass die Inszenierung von Castorf doch schon in die Jahre gekommen ist, zeigt sich auch daran, dass eine immer wieder quer über die Bühne und auch in den Zuschauerraum flatternde Fledermaus beinahe mehr Interesse verbuchen kann als die zahllosen Parallelhandlungen an entlegeneren Ecken des Bühnenaufbaus auf jenem gigantischen LED-Monitor, der inzwischen ein defektes zentrales Feld aufweist.
Sofort nach dem Schlussakkord setzten auch in diesem Jahr Bravo- und Buhrufe ein, die sich bei der Applausordnung der Mitwirkenden vorwiegend in Zuspruch verwandelten.
Die nächsten Aufführungen: 7. und 20. August 2016.