Hauptbild
Zauberflöte. Foto: Pascal Victor
Zauberflöte. Foto: Pascal Victor
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Theaterwunder im fast leeren Raum – Peter Brooks „Eine Zauberflöte“

Autor
Publikationsdatum
Body

Peter Brooks Opern-Anverwandlungen sind mehr als bloße Inzenierungen, sie gleichen eigenen Kreationen. Nachdem der 86-jährige Meister des „leeren Raums“ in seiner „Tragödie der Carmen“, den „Pelléas-Impressionen“ und einem für Das Festival von Aix-en-Provence erdachten „Don Giovanni“ durch augenscheinliche Sparsamkeit und nicht zuletzt auch durch musikalische Verknappung immer wieder das Wesentliche der Werke neu aufspürte, hat er sich jetzt Mozarts „Die Zauberflöte“ angenommen. Für den intimen Rahmen des Pariser Théâtre des Bouffes du Nord in Szene gesetzt, geht „Eine Zauberflöte“ jetzt auf Tournee. Die Deutsche Erstaufführung seiner Adaption ging im Rahmen des Musikfestes Bremen über die Bühne.

Barfuß wie alle Darsteller des Abends betritt ein Schwarzer stumm die Bühne, auf der er einige Bambusstäbe in eine scheinbar zufällige Ordnung bringt. Dazu tupft ein Pianist vielsagende Relikte der Ouvertüre aus Mozarts „Die Zauberflöte“ in die Tasten. Waren es wirklich nur schlichte Dominantseptakkorde, die hier sogleich für eine subkutane Hochspannung sorgen? Ein zweiter Schwarzer kommt hinzu. Sind das die Spielmacher, die Zeremonienmeister oder gar die Mozarts Geist beschwörenden Genien, die im BLG-Forum der Überseestadt in Bremen gerade „Eine Zauberflöte“ des Theatermagiers Peter Brook behutsam in Gang setzen? Bevor wir darüber nachdenken können, mutieren die beiden von Natur aus farbigen Schauspieler in jene schreckliche Schlange, die Prinz Tamino die zutiefst  erschrockenen ersten Worte des Stücks entlockt: „Zu Hilfe, zu Hilfe, sonst bin ich verloren!“ Statt das Ungeheuer hier mit der sonst üblichen jugendlich heldentenoralen Attacke zu besingen, flüstert Adrian Strooper seinen Ruf gleichsam in den Saal. Seine Angst vermittelt sich uns mit einer pianissimofeinen Reinheit gleichsam als ein Uraffekt des Menschseins, unverstellt und keusch. Der Auftritt der Koloraturen spuckenden Königin der Nacht ist dann nicht minder unheroisch, er hat eine mädchenhafte Mütterlichkeit. Ohne auftrumpfende Dramatik, dafür mit zerbrechlicher Soubrettenzartheit führt Malia Bendi-Merad die angeblich böse sternflammende Hexe zurück auf ihren menschlichen Kern einer im Herzen tief getroffenen, immer noch jungen Frau, der ein Mann namens Sarastro ihr Kind genommen hat.

Peter Brooks Mozart-Adaption, die er gemeinsam mit dem Komponisten und Pianisten Franck Krawczyk (als musikalich hoch sensiblem Dekonstruktivisten) und der Autorin Marie-Hélène Estienne (die Schikaneders gesprochene Texte ins Französische übertrug und dabei allgemeingültig entschlackte) für den zauberhaft intimen Rahmen seines Pariser Théâtre des Bouffes du Nord ersonnen hat, gastiert jetzt beim Musikfest Bremen. Und erweist sich als ein Theaterwunder: Schlicht und ergreifend hat Brook, der nach eigenem Bekunden „voller Hass auf diese erstarrte Form“ namens Oper ist, darin herausgeschält und dabei auf die Hälfte der normalen Spieldauer gebracht, was Mozart der Welt einst sagen wollte. Ohne Orchester, Chor, Dirigent und Nebenrollen, ohne altväterlich freimaurerischen oder postmodern trashigen Ausstattungspomp stellt er einfach – und in einer Mozart verpflichteten, höchst verantwortlichen Freiheit – sieben junge Sänger auf die fast leere Bühne, um mit ihnen, die so gänzlich unvorbelastet durch die Verkleisterungen und Entstellungen der Traditionen, Konventionen und Modernismen des Operngeschäfts sind, ein Stück zu spielen, das mit ihnen selbst genau so viel und direkt zu tun hat wie mit dem schalkhaft lächelnden und bitterlich weinenden Mozart und dem auf einmal ganz neu und offenohrig lauschenden Publikum der Gegenwart. Das nimmt berührt zur Kenntnis, welche existenzielle Botschaft in den tausendfach abgenudelten Arien und Liedern des Salzburgers doch stecken kann. Man muss sie nur leise und behutsam singen und so deren ungekünstelte Natürlichkeit wieder aufspüren.

In idealer Weise gelingt eben dies dem Papageno von Thomas Dolié, der das Wesen des Vogelfängers auch ohne Federkostüm und Zotenreißen als das eines grundsympathischen, ehrlichen Kerls sängerdarstellerisch beglaubigt. Zu welch allergrößter Empfindung gerade der lustige Naturbursche fähig ist, kommt in der mollgefärbten Verzweiflung seines Arioso „Nun, wohlan, es bleibt dabei“ umso stärker, ja weltabschiedstrauriger zum Ausdruck. Für seinen geplanten Freitod wird der Zauberflöten-Wald aus Bambus auf einmal lebendig: Einer der schwarzen Schauspieler formt zwei der Stelen zum Kreuz, an dem sich Papageno aufhängen will. Rettung naht hier nun nicht wie gewohnt durch drei götternahe Knaben, sondern durch die beiden Schauspieler, denen es auch obliegt, Tamino seine Flöte und Papageno – statt eines Glockenspiels – eine Triangel als erlösende Zauberdinge zu überreichen.

Brook findet immer wieder verblüffend einfache Lösungen, die das Wesentliche freilegen und zum Vorschein bringen. Und uns dabei zwingen, wirklich und neu hinzuhören. Zum Beispiel auf Paminas G-moll-Arie „Ach, ich fühl’s, es ist verschwunden“, die Aylin Sezer bezaubernd schön und mit schwebenden Pianissimi anstimmt. Oder auf die Rachearie der Königin als einzigem in echtem Forte gesungenen Part der Oper: Nur der wirklich außer sich geratende Affekt erlaubt genau und nur hier das dynamische Extrem. Auf Händen getragen – und durch klug interpolierte Klaviermusik sowie das Papagena gewitzt angediente Mozartlied „Die Alte“ bereichert – werden die Sänger von Franck Krawszyk am Flügel, Peter Brooks genialischem musikalischem Partner. So entsteht eine wunderbare, eine weise, eine von freier Mozart-Liebe durchdrungene Neuerfindung der „Zauberflöte“.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!