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Klarer Blick für Boulez: Pascal Rophé war einer der Hauptdirigenten des Festivals „Acht Brücken – Musik für Köln“. Foto: Katie Vandyck
Klarer Blick für Boulez: Pascal Rophé war einer der Hauptdirigenten des Festivals „Acht Brücken – Musik für Köln“. Foto: Katie Vandyck
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Tiefe Einsichten, gute Aussichten

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„Acht Brücken – Musik für Köln“ feierte seine Premiere mit einer Boulez-Retrospektive
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Aus dem Kölner Stadtbild sind die Rheinbrücken nicht wegzudenken. Da ist die mächtige Hohenzollernbrücke, mit deren preußischem Vorgängerbau einst absichtsvoll der Dom und die ­eisenbahnschnelle Gegenwart zusammengebracht wurden. Nicht weit davon und auf nur einem Pfeiler ruhend überspannt die minimalistische Zoobrücke den Fluss. Ganz anders die Severinsbrücke, deren Pylon wie ein riesiges A hoch aufragt. Wenn sich Kölns neues Festival für die Musik der Gegenwart nun „Acht Brücken – Musik für Köln“ nennt, hat das aber nicht nur mit kölschem Lokalpatriotismus zu tun. Wer die Rheinquerungen im Stadtgebiet abzählt, wird nur auf sieben kommen. Die fiktive achte Brücke soll als Chiffre verstanden werden – für das Überschreiten des Gewohnten und die lustvolle Entdeckung von musikalischem Neuland.

Acht Brücken trat die Nachfolge der noch von Franz Xaver Ohnesorg initiierten Musik-Triennale an. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger soll das von Philharmonie-Intendant Louwrens Langevoort geleitete Festival jährlich stattfinden und sich damit nachdrücklicher als bisher im Gedächtnis festsetzen. „Boulez, Frankreich und die Moderne“ lautete das Motto der ersten, acht dichte Tage währenden Auflage. Nachdem bei den vergangenen Triennalen Luigi Nono und Luciano Berio im Fokus standen, erwartete das Publikum bei Acht Brücken eine umfassende Boulez-Retrospektive.

Das Eröffnungskonzert mit dem Mahler Chamber Orchestra (MCO) in der Philharmonie dirigierte Pierre Boulez selbst. Er tat es mit der bekannten analytischen Wachheit, die ihm auch im Alter von 86 Jahren nicht verloren gegangen ist. Im Zusammenspiel mit der hervorragenden Klangkultur des MCO führte das bei Ravel, Schönberg und Strawinsky zu nicht-alltäglichen Ergebnissen. Bedauerlich einzig, dass der Geehrte nach diesem Abend Köln gleich wieder den Rücken kehrte.

An der Qualität der Aufführungen seiner Werke im Lauf der Festivalwoche hätte Boulez wohl seine Freude gehabt. Unter dem mit verblüffender Übersicht dirigierenden Pascal Rophé entfaltete das Ensemble Intercontemporain im WDR-Funkhaus enorm präsente Deutungen von „Le Marteau sans maître“ und „Sur Incises“. Ebenfalls nachhaltig beeindruckte an gleicher Stelle das junge Quatuor Diotima: mit Boulez’ „Liv­re pour quatuor“, aber auch mit seiner punktgenauen Selbstinszenierung. Diotima, so weiß man jetzt, das sind die mit den roten Socken. Zahlreiche Hauptwerke von Boulez waren zu hören, darunter „Pli selon pli“ mit der musikFabrik und „Répons“ mit dem Ensemble Asko|Schönberg. Bei der heute schon obligatorischen mehrstündigen Musiknacht rundeten lokale Kräfte wie das Thürmchen Ensemble das Bild positiv ab. Die ehrliche Begeisterung des aus Szenemenschen und Kölnern aller Altersgruppen bunt gemischten Publikums trug ihren Teil zu einer lebendigen Atmosphäre bei.

Pierre Boulez ist einmal ein Provokateur erster Güte gewesen. So geisterte auch seine 1967 geäußerte Forderung, die Opernhäuser zu sprengen, vielerorts durch das Festival. Louwrens Langevoort möchte seine Arbeit in Köln gerne ein wenig in dieser Tradition verstanden wissen. Wenn Boulez mit seinem Appell damals keine Kulturrevolution habe anzetteln wollen, sondern darauf drängte, die Institutionen des Musiklebens völlig neu aufzustellen, „dann haben wir die Philharmonie schon oft gesprengt“, erklärte Langevoort selbstbewusst bei einer Podiumsdiskussion.

Völlig haltlos ist diese Behauptung nicht. Dafür sprechen nicht zuletzt die Orte, die sich das Festival erobert hat. Ein echter Coup gelang mit dem Solokonzert des Geigers Michael Barenboim. Das Festival rückte hier aus in die „Lagerstätte für die mobilen Hochwasserschutzelemente“ im Kölner Süden. Von außen schlicht, wähnt man sich im Inneren des Depots mit seinen weit ausschwingenden Umfassungsmauern in einem Museum für moderne Kunst. Barenboim interpretierte in dem weich nachhallenden Raum Bach und beide Fassungen der „Anthèmes“ von Boulez. Die Reihe TripClubbing im „Alten Wartesaal“ am Hauptbahnhof gibt es auch abseits der Festivalwoche. Trotzdem hat es immer noch etwas Erstaunliches, wenn ein hunderte Leute starkes Clubpublikum – zwar mit Bierflaschen in den Händen, aber doch andächtig – den Werken von Komposi­tionsstudenten der Kölner Hochschule für Musik und Tanz lauscht.

Trotzdem sollte man sich in Köln auch in Zukunft bemühen, den Festivaltitel nicht nur metaphorisch zu verstehen. Immerhin gibt es in der Stadt bereits die gut eingeführte Reihe „Brückenmusik“, die im Unterbau der ­Deutzer Brücke seit 1995 Spannendes zuwege bringt. Echtes Neuland könnte außerdem mit Spielorten im gerade im Umbruch befindlichen, kulturell noch wenig erschlossenen rechtsrheinischen Köln betreten werden. Schon im nächs­ten Jahr böte sich Gelegenheit dafür. Das Festival steht dann im Zeichen des 100. Geburtstages von John Cage, der als Leitfigur für Ausweitungen aller Art gar nicht erst zurechtgebogen werden muss. So könnte man, noch stärker als 2011, dem selbst gewählten Anspruch Genüge leisten: Musik für die Stadt zu machen.

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