1817, nach den Napoleonischen – letztlich aber nach allen Kriegen bis heute: noch sitzen in den entscheidenden Positionen rigide Machtmenschen, willfährige Richter wenden das Kriegsrecht an und da es wenig gibt, ist selbst der kleine Diebstahl ein „Verbrechen“ – da schreien sogar „normale“ Bürger nach harter Strafe und nach Eilverfahren wird halt der oder die „Schuldige“ erschossen.
Es ist eine alte Geschichte … von Hochhuths Filbinger-Entlarvung rückwärts bis ins Jahr 1817: nichts mehr von den Errungenschaften der Französischen Revolution - inmitten der damaligen Restauration und Zensur haben Gioacchino Rossini und Rechtsanwalt(!) Giovanni Gherardini als Librettist den künstlerischen Ausweg der Farce gewählt, um all diese Missstände zu entlarven. Eine „diebische Elster“ klaut Silberlöffel. Prompt wird die als Dienstmädchen tätige Halbwaise Ninetta beschuldigt: ihr zum „Kriegshelden“ verklärter, aber nur „davon gekommener“ Verlobter ist schwach – speziell gegenüber der dominanten, vermeintlich bestohlenen Mutter; Ninettas Vater hat im Krieg gegen Vorgesetzte aufbegehrt, wird gesucht und soll erschossen werden; der Podestà des Ortes begehrt Ninetta, erpresst sie bis fast zur Vergewaltigung und liefert sie nach Abweisung der Unrechtsjustiz aus – bis hin zum Todesurteil mitsamt dem Vater. Doch der Diebstahl der Elster wird aufgedeckt und eine Amnestie des Königs lässt die Soldaten statt der exakt komponierten Todesschüsse ihre Gewehre freudig in die Luft abfeuern … alles nur eine Farce!?
Die Form der „Opera semi-seria“ hat Rossini gewählt und so gibt es die klassischen Gesangsformen und vielfältige Ensembles, auch Ziergesang und die sich scheinbar in den Wahnsinn steigernden Walzeneffekte – doch immer, wenn das Elend ernst und echt ist, bekommt die Musik über allen Rossini-Tonfall hinaus anrührende Qualität und humane Tiefe. All das gelang – mit Sommerzeit bedingten Verspätungen und wohl daraus resultierenden Ungenauigkeiten – Dirigent Henrik Nánási und dem Frankfurter Museumsorchester auch nur „semi“, sprich: halb – so sehr immer wieder der harte Marsch- und Militärrhythmus betont wurde. Die „tod-ernsten“ Ensembles überzeugten. Das aus der ganzen Opernwelt – von der Ukraine bis Samoa – exquisit ausgesuchte Ensemble gestaltete immer wieder gute Momente, voran der Scarpia-Züge bietende Podestà des nur leider in einem faschistoiden Triaden-Kostüm agierenden koreanischen Bassbaritons Kihwan Sim, dann die eher im Jammer als im Liebesglück überzeugende Britin Sophie Bevan als Ninetta, auch der mit Piano-Balsam anrührende Vater vom samoanischen Bariton Jonathan Lemalu und das herrische „Muttertier“ der schwedischen Altistin Katarina Leason. Doch alles „zündete“ nicht so recht …
Das lag zentral an David Aldens Inszenierung. Eben wurde allenthalben berichtet, wie sehr er mit seinem Bühnenbildner Charles Edwards in Hamburg damit überzeugen konnte, drei Frühwerke Verdis in nur einem, jeweils minimal veränderten Bühnenbild zu realisieren. In Frankfurt forderte er „dies und das und alles“ – prompt kaprizierte er sich vor allem auf viele, viele nebensächliche Details, siedelte alles in einem seltsam klassizistischen Architekturrund wie aus einer Palladio-Villa an, ließ ein aufgeschnittenes Haus hereinschieben und herumdrehen und beklettern, auch eine Podestà-Kutsche herumfahren und drehen und Stühle und Schreibtische und wieder Stühle und Krankenbahren … Auch die als „Choreographie“ apostrophierten Armexerzitien der von Alden erwünschten Maxine Braham für den gut singenden Chor blieben nur befremdliche Oberflächenzutat. Aus all der Fülle erwuchs zunächst eher banaler Aktionismus, dann unerfüllte Leere - ja die Idee, ob nicht Bibi Abels Video-Raffinessen von Elster und Baum-Versteck auf dem - zusätzlich aufwändigen - Zwischenvorhang auch überzeugendere Szenerien im Rundhorizont geliefert hätten …
Das nächste Mal sollte Alden sich also beschränken müssen, beispielsweise mit den Mitteln des „armen Theaters“ zu zaubern gezwungen sein. Jetzt hat er Rossinis „diebischer Elster“ jedenfalls kein überzeugendes Bühnenleben eingehaucht.