Am Freitagabend wurde das seit März 2020 gründlich sanierte Theater Hof in Anwesenheit von Gästen aus Politik und Society wiedereröffnet. Die Summe von 22 Millionen Euro kam vor allem einer Erneuerung der Bühnenmaschinerie, der Trocknung des feuchten Daches, dem Einbau einer Drehbühne auf der großen Bühne und einer technischen Aufrüstung des Studios zugute. Am Pult stand der neue Musikdirektor Ivo Hentschel und gestaltete Cherubinis „Medea“ in Lothar Krauses überlegter Inszenierung als intimes, zupackendes Musiktheater. Gänsehaut-Oper mit subtilen Tönen und überregionaler Qualität.
Es gibt einfachere Feststücke als Luigi Cherubinis Dialogoper über die Bruder- und Kindermörderin „Médée“. Das Produktionsteam hatte sich also viel vorgenommen: Eine erste theatrale Präsentation der renovierten Bühne des Theaters Hof mit musikalischer Signalwirkung in französischer Originalsprache und deutschen Sprechtexten. Dabei ist Luigi Cherubinis „Medea“ in vielen Szenen eine Fast-Kammeroper, über die noch immer Vorurteile betreffend monumentale Drastik und pathetische Übergröße im Umlauf sind. Demzufolge gelingen nicht allzu viele Produktionen mit einem solchen künstlerischem Erfolg wie dieser Premierenabend. Das Theater Hof zeigt ein erregendes Drama mit Gänsehaut-Momenten und einem Spannungspotenzial, das auch der umsichtigen musikalischen Einstudierung zu danken ist.
Einmal fahren die Hubpodien hoch, das von Jason mit Hilfe Médées entwendete Goldene Vlies prunkt in der Vitrine. Das Blau des Zuschauerraums findet sich auch auf Kleidern der Chorfrauen, die wie Médée Säuglinge Richtung Himmel stemmen. Die in Hof zu Recht beliebte Bühnen- und Kostümbildnerin Annette Mahlendorf heuchelt edle Einfalt und stille Größe. Aber mit solchen Kategorien ist es allerspätestens zum Auftritt der hochschwangeren Médée aus und vorbei. Schon mit den eher gekonnt bitteren als lieblichen Seufzern Dircés (kein Opferlamm: Yvonne Prentki) beginnt das messerscharfe Drama in packender Einheit von Szene und Musik. Das einzige Handicap sind die elektrisch verstärkten Sprechchöre, weil die sich nur schwerlich mit dem Rückgriff auf den Klanggeist vor 1800 vereinbaren lassen.
Aber dafür hat Regisseur Lothar Krause eine eigene Dialogfassung erarbeitet und François-Benoît Hoffmans Textbuch weitgehend mit Splittern aus Euripides, Grillparzer und Gotters Melodram verdichtet. Schon in einer Generalpause der Ouvertüre menetekelt der Chor, das Dircé ein ähnliches Schicksal wie der verbannten Medée bevorstehen könnte. Nur 110 Minuten später bereitet der machtversessene Jason (gute Stimme zum bösen Spiel: Minseok Kim) dem Leid seiner Verflossenen Médeé und dem eigenen mit Pistolenschüssen das jähe Ende. In ‚Videographien‘ (Kristoffer Keudel) sieht man Médées vom Wehen- und Entbindungskampf verzerrtes Gesicht, später entschlossen zum Mord an der durchaus ernstzunehmenden Konkurrentin. Aber was da auf der Bühne passiert, ist trotz der vom Mythos abweichenden Kurbelei kein bemühtes Auf-Thrillern aus Angst vor Partitur-Tücken, sondern genauestens überlegt. Krause bringt Créon nicht als zweiten Männer-Schuft ins Spiel. So wird James Tolksdorf als König von Korinth neben der milden Néris der zweite ruhende Fels in den emotional aufgepeitschten Sturmwogen. Stefanie Rhaue singt Néris’ berühmte Kavatine mit sympathischer Empathie.
Nicht einmal die immer intensivere, klarstimmigere und ab der ersten Sekunde voll präsente Susanne Serfling verwechselt in der anspruchsvollen Titel- und Maria-Callas-Partie Kraft mit Brüllen. Serfling vereint Finessen der Belcanto-Grammatik und Töne einer gequälten Seele. Innen- und Außendruck sind auf der Bühne und im – wie es scheint – besonders tief gefahrenen Orchestergraben dramatisch, aber nicht forciert ausbalanciert. Dieses Gleichmaß beflügelt das ganze Ensemble zu Spannung und Hochdruck.
Die reduzierte Orchesterfassung für die 150 Zuschauer im ausverkauften Saal mit eigentlich 587 Plätzen ist eigentlich eine Konzentration auf die im Pariser Théâtre Feydeau, wo die Oper 1797 uraufgeführt wurde, übliche Besetzungsstärke. Hier hört man, wie viel sich seit Glucks „Orpheus“ vor genau zwei Jahren bei den Hofer Symphonikern in Sachen historisch informierte Aufführungspraxis an Bemerkens- und Bewundernswertem getan hat. Ivo Hentschel hebt sich überraschende Klangfarben und Schärfen immer bis zum richtigen szenischen Moment auf. Kein einziger Takt erleidet Leichtgewichtsverluste. Der ganz große Schlussauftritt Medées – extrem schwierig auch im Wechsel von Sprechtext und Fernwirkungen – enerviert trotz mozarthafter Bläser-Eleganz, der Chor artikuliert Grauen in prägnanter Exaktheit. Da ziehen Hentschel und Chordirektor Roman David Rothenaicher am gleichen Strang. Alle Beteiligten stellen bei diesem musikdramatischen Härtetest unter Beweis, dass es außer Rot für Blutvergießen und Schwarz für Seelendämmerungen noch so viele andere Theaterfarben gibt. Mit energischer Eindringlichkeit, dazu auf höchstem musikalischem Niveau bohren Susanne Serfling und alle anderen die kolchisch-korinthische Katastrophe in Gehörgänge und Eingeweide des Publikums. Dieses feierte eine zutiefst beeindruckende Leistung aus kaltem Feuer.
- Theater Hof - Fr 24.09.2021, 19.30 Uhr (besuchte Vorstellung) - So 26.09., 19.30 Uhr - Sa 02.10., 19.30 Uhr - Mi 06.10., 19.30 Uhr - Fr 15.10., 19.30 Uhr - So 17.10., 18.00 Uhr - So 24.10., 19.30 Uhr UND Do 30.09., 19.30 Uhr (Selb Rosenthal Theater)