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Anna Prohaska (Ilia), Movement Group. Foto: Bernd Uhlig
Anna Prohaska (Ilia), Movement Group. Foto: Bernd Uhlig
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Tolles Orchester, matte Regie: Simon Rattles schöner „Idomeneo“ an der Lindenoper

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An der Deutschen Oper Berlin am Samstag eine gender-utopische „Arabella“-Premiere, am Tag darauf an der Lindenoper eine geschlechternormative und durch die Pandemie-Verzögerungen etwas an Glanz verlierende Premiere von Mozarts Münchner Geniestreich „Idomeneo“ (1781). Sir Simon Rattle zeigte mit der Staatskapelle Berlin, wie sich aus dem Weichfluss von Traditionen des 20. Jahrhunderts und Expertisen der historistisch informierten Aufführungspraxis ein souveräner Mozartklang entwickeln lässt. Im Gesangsensemble führen beeindruckend Magdalena Kožená (Idamante) und Linard Vrielink (Arbace).

Bei den Berliner Barocktagen 2021 gelangte das Vorgänger-Stück „Idomenée“, André Campras Tragédie en musique aus dem Jahr 1731, in einer musikalisch hervorragenden Produktion zur Aufführung. Bekanntermaßen hatte der Salzburger Hofkaplan Giambattista Varesco dessen Textbuch von Antoine Danchet für Mozart übersetzt und nach den Vorstellungen des Münchner Hofes für die Uraufführung im Alten Residenztheater am 29. Januar 1781 eingerichtet. Ursprünglich hätten sich zeitlich ziemlich nahe Vergleichsoptionen zwischen Campras französischer Oper und Mozarts furiosem Relaunch der um 1780 sich im Niedergang befindenden Gattung der Opera seria ergeben sollen. Die von Kurfürst Carl Theodor nach München mitgebrachte Mannheimer Hofkapelle war ein weiteres beflügelndes Inspirationsmoment für Mozart. Bei der „Idomeneo“-Premiere hörte man das von Sir Simon Rattle und der Staatskapelle Berlin.

Bereits zu Mozarts „Mitridate“ im Dezember 2022 offenbarte die Lindenoper-Leitung asiatische Dekorationsbegehrlichkeiten. Das tat jetzt sie jetzt ebenfalls bei der „Idomeneo“-Neuinszenierung des sich nicht verbeugenden David McVicar. Die Kostüme Gabrielle Daltons wiesen mindestens nach Zentralasien, wenn nicht in einen noch ferneren Osten. Der Chor (Leitung: Martin Wright) hatte spätestens ab den sehr dem späten Verdi ähnelnden Strophen in der Opferszene hohe musikalische Grandezza – war meistens zu ornamentalen Gruppierungen und gemessenen Wandelgängen angehalten. Ein herabhängender Gesichtshelm mit leeren Augen ist Mittelpunkt von Vicki Mortimers Bühnenbild, ein Symbol drohender Mächte und Gottwesen. Affektive Bewegung und wirkungsmächtiges Pathos kommen in das Geschehen erst bei der letzten Umarmung Idomeneos, der dann seinen Sohn Idamante doch nicht opfern muss.

Zur dramatischen Intensivierung tut die Schauplatzeigenmächtigkeit als Alternative zum Mittelmeerinsel-Königreich aus der griechischen Mythologie aber wenig. Colm Seerys Choreografie war von der leichten, unverbindlichen und gut anzusehende Art. Man spielte die Münchner Fassung und verzichtete leider auf das große Schlussballett KV 367. Das war desto bedauerlicher, weil die Staatskapelle Berlin und Sir Simon Rattle die Stars des Abends waren. Man erlebte einen weichen und dabei intensiven Mozart mit Finessen der historisch informierten Aufführungspraxis. Rattle steigert das dramatische Farben-Reservoir im hochdramatischen dritten Akt zudem beträchtlich.

Nur zwei Mitwirkende ließen sich kongenial auf Rattles hochklassigen Mozart ein. Das sind Magdalena Kožená und Linard Vrielink, der beide Arien von Idomeneos Vertrauten Arbace mit kultiviertem Schönheitssinn gestaltet und ein politisch undurchsichtiges Manöver spielt. Magdalena Koženás heller Mezzo besitzt auch das richtige Gespür für Mozarts rhetorische Energie, nimmt diese immer auf der Inhaltsspur von Ausdruck und logischem Antrieb. Eine meisterhafte Leistung, mit der sie in dieser Hosenrolle den beiden großen Frauenpartien weitaus überlegen ist.

Anna Prohaska ist seit ihrer „Titus“-Vitellia bei den Salzburger Pfingstfestspielen 2021 dem rein lyrischen Spektrum entwachsen. Sie zeigt Sensibilität und Wärme, doch die Stimme widersetzt sich inzwischen dem sanften Bachlauf von Ilias Kantilenen und verrät Sehnsucht nach dramatischeren Partien. Olga Peretyatko bleibt der abgründigen Elettra mit den aus ihrem Donizetti-Repertoire übernommenen Koloratur-Routinen vieles schuldig. In der lyrischen zweiten Arie richtet sie sich bestens ein, verkriecht sich später in einem Schneckenhaus aus Piano-Tönen vor Mozarts furiosen Noten-Gewittern. Andrew Staples fängt nach dem Seesturm und Idomeneos Ankunft am Heimatstrand imponierend stark an. Die Rezitative haben innere Kraft auch in leiseren Dimensionen, die erste Arie packt. Später, wenn die Hürde von „Fuor del mar“ genommen ist, büßt Staples ein wenig an dramatischer Energie ein, was angesichts der von Rattle mit starker, aber leiser Emotion gefüllten Begleitung schade ist. Florian Hoffmann als Oberpriester, Jan Martinek als die das Schicksalsblatt wendende Götterstimme und das feine Quartett der Kreterinnen und Trojaner setzen schöne staatsopernwürdige Akzente. Für das Dirigat Rattles wäre allerdings eine weitaus aufregendere Inszenierung angemessen gewesen.

 

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