Wolfgang Rihm, Peter Konwitschny und Ingo Metzmacher – sie stemmen die Eingangspremiere in Salzburgs großräumiger Felsenreitschule und besorgen damit den spektakulären Start eines eher schwachen Festspieljahrgangs. Mit starkem Festspielmotto: Herrschen und Dienen, Macht und Ohnmacht, Unterdrückung und Aufbegehren. Das sitzt allen Opern wie angegossen, nur Konwitschnys Inszenierung von Rihms „Eroberung von Mexiko“ wendet die Dynamik dieses Leitspruchs ganz und gar ins Grelle.
Ingo Metzmacher hatte schon 1992 die Hamburger Uraufführung der Oper dirigiert. Er hatte vor ein paar Jahren in der Felsenreitschule mit den Wiener Philharmonikern Luigi Nonos von Katie Mitchell inszeniertes Revolutionsspektakel „Al gran sole carico d’amore“ musiziert, davor in der Salzburger Kollegienkirche Nonos mystisches Oratorium „Prometeo“. Metzmacher steuerte jetzt von Beginn an mit hoher Sensibilität durch die komplexe, mit wuchernden Klangausbrüchen nur so gespickte Rihm-Partitur, die das ORF Radio-Symphonieorchester Wien detailgetreu umsetzte. Es entstand eine voluminöse Klanglandschaft, in der die auf mehreren Podien erzeugten Tonereignisse im Raum wandern konnten –angefangen bei der mystischen Exposition der Oper, leise rhythmisierten Trommelbewegungen, die sich allmählich überlagern, sich obsessiv in farbintensiven Klangflächen steigern. Auf der Bühne: kein folkloristisches Spektakel um die blutige Eroberung Mexikos durch die Europäer des 16. Jahrhundert, sondern nur zwei Protagonisten: der wehrlose, poetisch veranlagte Aztekenkönig Montezuma, fokussiert in einer Frauenstimme, und der barbarische spanische Eroberer Cortez, Bariton.
Rihm ging es nicht um ein Historiendrama aus der Aztekenwelt, vielmehr um ein literarisches Denkmal aus den 1930er-Jahren: Ihn faszinierte der vieraktige Prosaentwurf „Die Eroberung Mexikos“ des französischen Theatervisionärs Antonin Artaud, des Propheten eines „Theaters der Grausamkeit“. Artaud hatte Rihm in den frühen Achtzigern zu dem eruptiven Tanztheater „Tutuguri“ angeregt. Artaud lieferte ihm für die Mexiko-Oper die inneren Bilder von der Konfrontation fremder Kulturen, konzentriert in der Beziehung Montezuma–Cortez, im Geschlechterkampf Mann–Frau. Mit philosophischer Vertiefung: Im Libretto spielt das Gedicht „Urgrund des Menschen“ des mexikanischen Dichters Octavio Paz eine Schlüsselrolle. Ebenso der Artaud-Text zu einem utopischen „Seraphim-Theater“, das in einem rätselhaft mythischen Begriffsdreieck gipfelt: neutral – weiblich – männlich.
Anders als in der statuarischen Zeichen- und Symbolwelt der von Peter Mussbach inszenierten Hamburger Uraufführung steuerte Peter Konwitschny permanent die heiße Bühnen-Action an. Erst mit 70 bekam er, durch die Absage Luc Bondys, sein Salzburg-Debüt. Und Konwitschny durfte mit seinen Pfunden zweifach wuchern: exzellentes Regiehandwerk und die ihm gewohnte Drastik von Handlung und Bildern. Von Johannes Leiacker ließ sich Konwitschny auf die volle Breite der Felsenreitschule einen mit Wracks übersäten Autofriedhof bauen, die desolaten Reste unserer Zivilisation. Mittendrin eine adrett gezimmerte kleine Stube für Reste eines Geschehens. Hier empfängt Montezuma, die großartig intensive Sopranistin Angela Denoke, ihren Galan, den Conquistador Cortez in Gestalt des aggressiv auftrumpfenden Baritons Bo Skovhus, der sie mit einem riesigen Strauß roter Rosen einzunehmen, besser: zu vergewaltigen versucht. Ein höllisches Traumpaar: sie, fast die Karikatur kleinbürgerlicher Ängstlichkeit, er, finsterer Galan ma-chohaft auftrumpfender Präpotenz.
Konwitschny überzieht nun das schrille Spektakel mit einer Vielzahl rasanter, auch gewalttätiger, durchaus gesellschaftspolitisch konnotierter Aktionen, Bilder, Anspielungen auf die zerstörerische Medien- und Konsumwelt unserer Tage. Die Brutalität des Männlichkeitswahns wird ausgestellt, etwa in der Präsentation eines knallroten Sportwagens samt begoldeten Showgirls, oder im Bild einer zynischen Geburt, wo der schwangere Frauenkörper nur Elektroniknachwuchs wie Tablets und Smartphones hervorbringen kann. Konwitschny: „Montezuma gebiert Cortez das virtuelle Zeitalter.“ Die Kultur Mexikos darf in all dem „Müll der patriarchalischen Zivilisation“, wie Konwitschny seine Bühnenmaschinerie nennt, nur durch ein Bild von Frida Kahlo, einen Teppich und eine Tequila-Flasche aufblitzen – es dominieren Rihms gewalttätig packende Musik und ihre schräg apokalyptischen Bühneneruptionen.
Aber die Aufführung will, so scheint es, gar nicht die Gedankenfallhöhe der wilden Visionen des Theaterdichters Artaud nachvollziehen, sie kocht über vor aggressiv ausufernden Bildern und Aktionen – durch das überwältigend spannungsreich geführte Ensemble aus zwei grandiosen Solisten, deren sphärischen Gesangsdoubles (Susanne Andersson und Marie-Ange Todorovitch sowie Stephan Rehm und Peter Pruchniewitz), Chargen und der Armada von Bewegungschorleuten. Der leise verdämmernde Schluss ist umso überraschender – von bezwingender Gewalt des resigniert nach Innen gezogenen Lyrischen.