Die deutsche Erstaufführung der Oper „Breaking the waves“ von Missy Mazzoli nach dem gleichnamigen Film von Lars von Trier sorgte am Stadttheater Bremerhaven für Begeisterungsstürme. Die Oper wurde 2016 an der Philadelphia Opera uraufgeführt und basiert auf Lars von Triers gleichnamigen Erfolgsfilm aus dem Jahre 1996.
Die Handlung spielt in den 1970er Jahren in einem einsamen Küstendorf in Schottlands Norden. Dort herrscht eine so erbarmungslose puritanische Frömmigkeit, dass man sogar Kirchenglocken als irdisch-eitel ablehnt und als letzten Abschiedsgruß jedem Verstorbenen, wenn man den Sarg in die Grube lässt, nachruft: „Fahr zur Hölle!“ Im Mittelpunkt steht die junge, naive, streng gläubige Bess. Sie heiratet einen Arbeiter einer nahen Bohrinsel. Sie ist kein Kind von Traurigkeit. Gleich nach der Trauung zerrt sie ihren Jan in die Toilette und drängt ihn zu einer heftigen ersten Umarmung samt Defloration. Als ihr Mann durch einen Unfall bei der Arbeit gelähmt wird, fordert er seine Frau auf, mit anderen Männern ins Bett zu gehen. Er behauptet, es halte ihn am Leben, wenn sie ihm im Anschluss alles detailliert erzähle. Aus Liebe kommt sie der Forderung nach. Ihre Gemeinde straft sie als Sünderin. Am Ende stirbt sie infolge einer Massenvergewaltigung.
Abgrund mit Platz für Hoffnung
Das Libretto von Royce Vavrek verknüpft geschickt diese Melange von Dummheit, sexueller Unterdrückung, Verlogenheit und Bigotterie. Bess, die offensichtlich die einzig wirklich Glaubende ist, wirkt in diesem Umfeld suspekt. So ist es nur logisch, dass sie sterben muss, während Jan auf wundersame Weise wieder gesundet. Dabei beschleicht ihn zuletzt eine Ahnung von der bedingungslosen Liebe seiner verstorbenen Bess zu ihm. Er hält ihr die Treue und rettet den Leichnam seiner Frau aus den Fängen der engstirnigen Gemeinde – am Ende hört man ein fernes Glockenläuten. Natürlich ist der Plot dieser Geschichte ein zutiefst unappetitliches Konglomerat von Fremdenfeindlichkeit, Fanatismus und Doppelmoral. Aber aus all den szenischen Sarkasmen und sprachlichen Bruitismen sprießt am Ende auf wunderbare Weise jene blaue Blume der Hoffnung – und sei es auf ein besseres Jenseits –, die durch die Musik erst richtig zum Blühen gebracht wird.
Die Komposition: Zugänglich und Originell
Missy Mazzoli, hat zu diesem Stoff eine Vertonung geliefert, die – irgendwo zwischen Britten und Andrew Lloyd Weber angesiedelt – in ihrer gemäßigten, weitgehend der Tonalität verpflichteten Moderne hauptsächlich auf atmosphärische Wirkungen setzt, etwa im Stil von Filmmusik. Sie ist unkompliziert zu hören, aber trotz aller Traditionsbezogenheit wirkt Missy Mazzolis Klangwelt nie banal oder abgedroschen, sondern besitzt eine wahrnehmbare Eigenständigkeit. Die in der Musik fast ständig spürbare Atmosphäre eines schleichenden Bangens übertragen der Regisseur Toni Burkhardt und Wolfgang Kurima Rauschning (Bühne) sowie Adriana Mortelli (Kostüme) mit großem Geschick und viel Fingerspitzengefühl ins Optische. Eine offene Stahlkonstruktion mit drei ineinander verschobenen christlichen Kreuzen auf der Drehbühne, erlaubt unterschiedliche Schauplätze und zeigt ducrh das Fehlen von Wänden an, dass es hier nichts Privates mehr gibt. Die Videoeffekte, zumeist wunderschöne Aufnahmen von Meereswellen, sind integriert ins szenische Geschehen, nicht als aufdringlich eingesetztes Zusatzmedium gesetzt.
Theater Bremerhaven präsentiert hochklassiges Ensemble
In der Personalführung werden die Beweggründe der Personen anschaulich herausgearbeitet: Das vokale Zentrum in dem durchweg starken Ensemble ist Victoria Kunze als Bess, die darstellerisch wie vokal ohne Abstriche die Tiefendimensionen ihrer Rolle auslotet. Sie verfügt über eine fabelhafte Wärme und Fülle der Stimme, die sich in ihrer Pein zwischen einer sie quälenden Umwelt und der Liebe zu Jan in tief empfundenen Seelentönen aussingt. Ihr gelingt es phänomenal mit charakteristisch höhengeschärftem Sopran in den Ausbrüchen, einen religiös fanatisierten, verklemmten Menschen zu verkörpern, der des Zuspruchs und der Hilfe bedarf.
Ihr Ehemann Jan findet in Marcin Hutek mit seinem ins Heldische tendierenden Bassbariton eine vor allem stimmlich imponierende Verkörperung. Boshana Milkov formt die einfühlsame Schwägerin Dodo als starke Persönlichkeit mit durchsetzungskräftigem, höhen- und tiefensicherem dramatischem Mezzo, gleiches gilt auch für die Sopranistin Signe Heiberg als verstockte Mutter. Auch die restlichen Partien sind hervorragend besetzt.
Das Philharmonische Orchester und der Herrenchor (Mario El Fakih Hernández) folgen Marc Niemann durch alle Nuancen der subtilen und komplexen Partitur.
Wahrlich ein großer Opernabend, der eine Reise nach Bremerhaven lohnend macht.