Ende September 2021 feierte die pyramidale mit Konzerten und Performances in- und outdoor im Berliner Bezirk Marzahn-Hellersdorf ihr 20-jähriges Bestehen. Unter dem übergeordneten Thema TRANSITION erkundeten die beteiligten Komponist*innen und Interpret*innen – dem interdisziplinären Konzept des Festivals folgend – die Durchlässigkeit der Grenzen und Genres im Bereich der zeitgenössischen Musik und Kunst, wobei das vielseitige Programm unter anderem insgesamt 17 Uraufführungen und eine deutsche Erstaufführung beinhaltete.
Zudem bot sich den Besucher*innen auch in diesem Jahr die Gelegenheit, neben dem Ausstellungszentrum Pyramide, das seit der Gründung des Festivals 2002 als Stammhaus der pyramidale fungiert, neue und innovative Veranstaltungsorte im Bezirk – wie das Bezirkliche Informationszentrum BIZ und die Gondelbahn über den Gärten der Welt – kennenzulernen. 2002 von Susanne Stelzenbach und Ralf Hoyer ins Leben gerufen und bis 2008 gemeinsam geleitet, liegt das Festival seit 2009 inhaltlich und konzeptionell in den Händen von Susanne Stelzenbach.
Von Jahr zu Jahr hat sich die pyramidale entwickelt und verändert, oft mit dem Ziel, sich inhaltlich von den vielen großartigen Festivals aktueller Musik und Kunst in Berlin zu unterscheiden. Je nach finanzieller Förderung ist sie lediglich größer oder kleiner geraten, musste aber in den zwanzig Jahren kein einziges Mal ausfallen, was Susanne Stelzenbach im Vorfeld des Jubiläums, als „kleines Wunder“ bezeichnete. Tatsächlich fanden im Laufe der Festivalgeschichte Konzerte und Performances an 16 verschiedenen Orten in Berlin Marzahn-Hellersdorf statt. Es wurden 436 Werke aufgeführt, davon 170 Uraufführungen. Darüber hinaus gab es 11 Konzerte mit improvisierter Musik. Seit 2008 ist auch die TRAMOPHONIE – eine 45-minütige Straßenbahn-Sonderfahrt vom Hackeschen Markt bis zum Ausstellungszentrum Pyramide – fester Bestandteil des Festivalprogramms und für die Besucher*innen aus der Innenstadt ein Anreiz, den gefühlt langen Weg in den – was musikkulturelle Angebote betrifft – weitgehend unerschlossenen Bezirk anzutreten.
Zur diesjährigen Jubiläumsausgabe des Festivals gab es ein Wiedersehen mit den vielen Musiker*innen und Komponist*innen, die der pyramidale seit vielen Jahren verbunden sind. Aber auch neue Ensembles stellten sich vor, etwa die Interpret*innen des Ensembles Broken Frames Syndicate aus Offenbach a.M., die mit einer außergewöhnlichen Energie und einem multidisziplinären Blick ihr Programm präsentierten.
Das Eröffnungskonzert der pyramidale#20 „Change I“ fand in „Berlins lautester Platte“ – dem ORWOhaus – statt, das sich bereits im Rahmen der pyramidale#11 als Veranstaltungsort bewährt hatte. Nach einem von Katarina Vowinkel interpretierten Prolog für Trompete von Helmut Zapf und anschließenden persönlichen Begrüßungen durch die Kulturstadträtin Juliane Witt und durch die Festivalleiterin Susanne Stelzenbach, musizierten im voll besetzten Saal des ORWOhauses unter der Leitung von Jobst Liebrecht das Jugendsinfonieorchester der Hans-Werner-Henze-Musikschule Marzahn-Hellersdorf und Solist*innen. Damit setzte das Festival – wie schon in vergangenen Jahren – die Zusammenarbeit mit Jugendlichen aus dem Bezirk fort. Auf dem Programm standen neben einer Komposition für Jugendorchester von Charlotte Seither vier neue Werke von Katia Guedes, Jobst Liebrecht, Susanne Stelzenbach und Moritz Eggert, wobei der Solopart unter anderen von den professionellen Sopranist*innen Irene Kurka und Katia Guedes, die sowohl als Komponistin als auch als Interpretin an dem Konzert mitwirkte, übernommen wurde.
Der zweite Festivaltag startete, der Tradition entsprechend, mit der „Tramophonie“. Unter dem Titel „Stille Post aus Lauten Archiven“ hatte Andrea Tralles eigens für die diesjährige Straßenbahn-Sonderfahrt die Kontaktaufnahme „Wer sind Sie?“ konzipiert, eine performative Interaktion mit den Fahrgästen, unter Mitwirkung von Studierenden der Universität der Künste und der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ Berlin. Den auditiven Kontext bot die Text-Klang-Komposition „Eigentlich wollte ich mir nur ein wenig die Stadt ansehen“ von Susanne Stelzenbach. Im Ausstellungszentrum Pyramide angekommen, präsentierte das renommierte Dresdner Ensemble AuditivVokal unter der Leitung von Olaf Katzer das Stück „Stimmen bestimmt“, aktuelle, teilweise von literarischen Vorlagen inspirierte Kompositionen aus Rumänien, Südkorea und Deutschland, darunter vier Uraufführungen, die 2022 im Rahmen der Biennale Cluj-Modern in Klausenburg, Rumänien erneut aufgeführt werden.
Das inszenierte Konzert „Nightmare“ gab dem jungen, international besetzte Ensemble Broken Frames Syndicate aus Offenbach am Main ein Podium. Auf dem Programm standen unter anderem Uraufführungen von Johannes K. Hildebrandt, Max E. Keller und Yongbom Lee, der als Mitglied des Ensembles auch für Live-Elektronik und -Video verantwortlich war.
Der dritte Festivaltag begann mit einer außergewöhnlichen Einladung zum „Einsteigen und Abheben“ – Solo-Performances mit der Sopranistin Irene Kurka und Mitgliedern des sonic.art Saxophonquartetts Berlin, erstmals in den Gondeln der Seilbahn über den Gärten der Welt. Für jeweils drei Zuhörer*innen, die – in Einhaltung der coronabedingten Abstandsregeln – zeitgleich in alternierender Folge in den Gondeln mitfahren konnten, bot sich ein besonders intimes Klangerlebnis mit atemberaubendem Blick auf die vorbeigleitenden Baumwipfel der Gärten der Welt und die Silhouette der fernen Stadt. Die dargebotenen Kompositionen von Giordano Bruno do Nascimento waren eigens für diesen Anlass entstanden. Im finalen Konzert der pyramidale#20 CHANGE II im Bezirklichen Informationszentrum, das sich direkt neben der Seilbahn-Station Kienbergpark befindet, präsentierten Irene Kurka und das sonic.art Saxophonquartett zeitgenössische Kompositionen für Sopran solo und Saxophonquartett, darunter Uraufführungen von Thomas Gerwin, Stefan Hakenberg, Samuel Tramin und Artur Kroschel, der extra aus Polen angereist war, um dem Konzert beizuwohnen, sowie eine deutsche Erstaufführung der lettisch-australischen Komponistin Ella Macens. Nach zwanzig Jahren abwechslungsreicher Festivalgeschichte stellte das Programm der Jubiläumsausgabe der pyramidale wieder einmal unter Beweis, dass es sich lohnt, aus Berlin-Mitte in den Bezirk Marzahn-Hellersdorf zu fahren. Und nicht nur von dort.
- Retrospektive zum Jubiläum: www.pyramidale-berlin.de