Hauptrubrik
Banner Full-Size

Trauma der Erinnerung

Untertitel
Peter Ruzickas erste Oper „Celan“ in Dresden
Publikationsdatum
Body

An der Sächsischen Staatsoper in Dresden wurde Peter Ruzickas erste Oper, die als Titel den Namen des Dichters Celan trägt, uraufgeführt. „Celan“ entstand in den Jahren 1997 bis 1999 in Zusammenarbeit mit dem Opernregisseur Peter Mussbach, der das Libretto verfasste. Regie führte Claus Guth, dessen Salzburger Festspielinszenierungen von Berios „Cronica del luogo“ und Glucks „Iphigenie auf Tauris“ Aufsehen erregten. Dirigent der Uraufführung war der Darmstädter Generalmusikdirektor Marc Albrecht. Die denkbar besten Köpfe also hatten sich für die „Création“ zusammengefunden. Das Ereignis dieser Aufführung aber präsentierte sich weniger nach außen als vielmehr ins Innere unserer Empfindungen, unseres Denkens und Fühlens, unserer Erinnerungen: eine Aufforderung zum Nachdenken.

Diese biografische Einführung ist deshalb notwendig, weil Peter Ruzicka und Peter Mussbach mit ihrer „Celan“-Oper keine tönende Biografie verfassten, vielmehr die Stationen des Lebens von Celan in eine Vielzahl von Reflexions- und Erinnerungsmomenten gleichsam auflösten. Es entstand dabei auch nicht jener stets etwas wohlfeile Typus des Vergangenheitsbewältigungsdramas, sondern ein komplexes System von Erinnerungen, die quasi in Röhren aus der Vergangenheit wieder in das Licht der – unserer – Gegenwart zurückgeholt werden. Celans Existenz, künstlerisch überhöht und konzentriert in sieben großen Lyrikbänden, ist ohne den historisch-biografischen Hintergrund kaum zu begreifen. Es sind diese ständigen Bedrängungen, die die Seele des Menschen zu verletzen vermögen. Der Druck, den die rücksichtslose Außenwelt auf den Einzelnen ausübt, dringt ins Innere der Psyche und richtet dort furchtbare, oft tödliche Zerstörungen an. Nicht nur für Paul Celan gilt das, aber er darf als ein besonders eindringliches Beispiel für diese existentielle Not gelten.
Und seine Sprache? Sind diese traumatischen Bilder, die surrealistischen Visionen, die Celan in Sprache übersetzt, nicht ein zugleich verzweifelter wie oft auch grandios gelungener Versuch, das Unmögliche, das Unvorstellbare zu formulieren, oder besser: zu sagen? Bekannt ist Adornos Satz, dass sich „nach Auschwitz keine Gedichte mehr schreiben ließen“. Mit seiner „Todesfuge“ widerlegte Celan Adornos Behauptung, die gleichwohl ihre Richtigkeit im Rein-Ästhetischen behält. Kunst aber kann auch das Furchbarste erfassen, wenn das über sie hinausgehende Wissen, wenn Sensibilität und persönlich erlittener Schmerz, wenn die Erfahrung von Licht und tiefem Schatten des Lebens die künstlerische Form bestimmen und sinnstiftend erfüllen. Celans „Todesfuge“ ist ein Beispiel dafür.

Der Komponist Peter Ruzicka, 1948 in Düsseldorf geboren, in einer Stadt also, die wie kaum eine andere nach dem Krieg neuen, äußeren Glanz entfaltete, der oft genug den Blick zurück zu verstellen vermochte, entwickelte –sozusagen in einem inneren Kontrastbild – ein feines Sensorium für Celans Sprache und Poesie. Ruzicka begriff den dunklen Grund, auf den Celans Dichtungen zurückverweisen: „Todesfuge“ (1968/69), „...fragment...“ (1970), „Gestalt und Abbruch“ (1979), „...der die Gesänge zerschlug“ (1985) – so heißen die Werktitel, letzterer als „Stele für Paul Celan“ komponiert, nach Gedichten aus „Zeitgehöft“.

„Celan“ bedeutet, in gewissen Maßen, Zusammenfassung der Auseinandersetzung von Komponist und Dichter, zugleich aber auch Erweiterung und Darüber-hinaus-Gehen. „Celan“ ist nicht nur eine szenische und musikalische Reflexion über Existenz und Wirkung des Schriftstellers, vielmehr auch eine über ein aktuell verstandenes Musik-Theater. Welche ästhetischen Möglichkeiten, welche Chancen einer avancierten Musikdramaturgie und Musik-Sprache bestehen, einen so komplexen und komplizierten Gegenstand wie Person, Schaffen und Weiterwirken Paul Celans auf einer doch gern zur Simplifizierung neigenden Opern-Szene zu erfassen? Ruzicka und Mussbach sichern sich im Vorfeld der Arbeiten vorsichtshalber ab, damit gar nicht erst der Eindruck entsteht, es könnte sich hier um eine Literaturoper oder um ein persönliches Dichterschicksal handeln. Sie gliedern das Libretto in sogenannte „Entwürfe“, sieben an der Zahl, die jeweils in zahlreiche kleine und wenige größere Szenen unterteilt werden, die vorweg jeweils, wie in einem wissenschaftlichen Werk, Nummern tragen, also: 1.1 Paris. Eine Metrostation. Oder: 2.4 Ein Wartesaal in Deutschland, oder: 3.2 In einem Kaffeehaus in Bukarest (siehe auch unser Bild auf ), eine groß angelegte Simultanszene für sechs Gruppen, die in ihrer Struktur ein wenig an das komplettierte Pariser Gesellschaftsbild in Alban Bergs „Lulu“ erinnert.

Die einzelnen Örtlichkeiten – außer den genannten noch eine Brücke über einem Fluss, immer wieder leere Zimmer, ein alter Kinosaal, Straßen – kehren häufig wieder, wie in einem Reigen, meist mit denselben Personen „besetzt“, die sich jedoch gern anders verhalten und äußern: Wie in der Palimpsest-Forschung werden so die Zeitschichten vorsichtig nacheinander abgelöst, die sich über die Figur des Dichters Celan gelegt haben. Zum Vorschein kommen Erinnerungen an alles Geschehene, Erinnerungen, die weiterzuwirken scheinen, in denen auch wieder Gespenster auftauchen, die man schon im Horrorfundus für ewig und alle Zeiten verwahrt glaubte. Ruzickas „Celan“ ist gerade in diesem Augenblick ein hochaktuelles Werk.
Diesem Einkreisen, Ablösen, Aufdecken des Textes und dessen Strukturierung folgt die Musik. Sie wirkt in ihren leisen Klängen, subtilen Tonsetzungen, verästelten Strukturierungen wie das hochkomplexe Funktionieren eines menschlichen Gehirns: Im Kopf entstehen albtraumhaft die Erinnerungen an eine Vergangenheit, von der sich der Mensch nicht zu lösen vermag. Die Erinnerungen drängen nach außen, in die Gegenwart, sie suchen nach einem Ausdruck: Dann bersten fast die Klänge, mit harten Schlägen markieren die Pauken (sechs Stück mit vier Spielern) dramatische Verknotungen, dann drängt auch die Musik in den unmittelbaren Ausdruck – so als wollte sie mit dem Zuhörer einen erregten Diskurs beginnen, ihn befragen, ihn zu Stellungnahme und Antwort förmlich zwingen. Ruzickas Komponieren schätzt solche oft sehr raschen Wechsel zwischen Distanziertheit und unmitelbarer „Attacke“, sie will mit ihren Zuhörern aktiv dialogisieren.

Dann aber weicht sie auch ebenso plötzlich wieder zurück, implodiert gleichsam ins Leise, kaum noch Hörbare, in die Stille: Auch Nonos Geist weht wie von fern in Ruzickas „Celan“-Musik. Sie beeindruckt immer wieder auch durch ihre plastische Gestik, ihre feine Linearität, ihren Mut zu langgezogenen melodiösen Lineaments, die sich nicht-endend-wollend fortspinnen. Das Klangbild ist stets perfekt durchgehört, von genauester Formung des intendierten Ausdrucks, dabei von großer Farbigkeit in den instrumentalen Kombinationen, die mit der Besetzung des üblichen Sinfonieorchesters „hergestellt“ wird.

Im szenischen und musikalischen Zentrum steht der „Vierte Entwurf“, betitelt „Das Grauen – Bildlose Welten Ferner Gewissheit“. Das Trauma des Holocaust wird als zentrales Moment im Leben und im Werk Paul Celans deutlich. Der große Chor schiebt sich von seitlich hinten in unendlich langsamen schreitenden Bewegungen allmählich auf die Bühne, die durch eine metallisch graue, perforierte Wand hinten abgeschlossen ist. Die Männer und Frauen tragen vornehmlich Unterkleider, sie erscheinen gleichsam schon „nackt“, ausgezogen für das Ende, aber in hellem Weiß: Die Trauer trägt auch diese Farbe. Celan schreitet durch die langsam sich über die ganze Spielfläche verteilende Menge – genauer: es sind zwei Dichter, Celan I und Celan II, in die Mussbach und Ruzicka die Figur aufteilen. Wenn der Narr aus dem Souffleurkasten hervorschlüpft, wendet sich der Chor ab, schreitet wieder zur Guppe sich schließend nach hinten in die Dunkelheit, die hinter der täuschenden Wand liegt.
Dem Regisseur Claus Guth gelingt hier ein suggestives, großes und tiefes Bild, nicht realistisch verzerrt – das würde auf dem Theater bei diesem Anlass immer miss-lingen, da könnte man zu Recht Adorno analog zitieren –, sondern von einer scheinbaren Schönheit, die nur noch schmerzt, weil man weiß, was sich dahinter verbirgt. So hat Guth auch in Salzburg die Schrecken in Glucks „Iphigenie“ erfahrbar werden lassen.

Guth gelingen auch in den vielen kurzen Szenen, für die Christian Schmidt karge, suggestive, sinnfällige Räume entwarf, präzis gefasste Bilder, Belichtungen von Figuren und Situationen, gestische Signale und Verweise, Körperhaltungen, auch groteske Pointierungen, die zugleich in dichter Korrespondenz zur musikalischen Textur stehen. Eine eindringliche, oft faszinierende Regiearbeit, die uneitel dem Werk dient. Überzeugend werden auch filmische Sequenzen (CineNomad mit Nicolas Humbert & Werner Pezel) mit den theatralischen Aktionen verwoben, die Filmaktionen werden zum integralen Bestandteil der gesamten Szene.

Perfekt, glanzvoll, manchmal fast zu „schön“ spielt die Sächsische Staatskapelle Dresden unter Marc Albrechts souveräner Direktion. Albrecht versteht es, aus der Musik deren gestische Plastizität, aus dem Klang die Transparenz zu „entbinden“, die Strukturen der Kompositionen zu verdeutlichen. Andreas Schmidt als Celan I, Urban Malmberg als Celan II, Sabine Bohm als Celans Gefährtin Christine, Ulrike Staudel als Rachel, Friederike Meinel als Hilde, die hinreißende Figur des „Obers“, die Rolf Tomaszewski in vielen Szenen variationsreich vorführt – sie alle und die vielen anderen solistisch Auftretenden demonstrieren wahrhaften Ensemblegeist, den auch der von Matthias Brauer einstudierte Chor offenbart. Die Dresdner Oper darf sich rühmen, eines der wichtigsten Musiktheaterschöpfungen der Gegenwart auf die Bühne gebracht zu haben. Die Operntheater in Mainz (2002) und Köln (2003) werden Ruzickas „Celan“ in eigenen Inszenierungen nachspielen. Auch dieses Engagement ist höchst lobenswert.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!