Berlin hätte im Richard Strauss-Jahr durchaus die für und gemeinsam mit Max Reinhardt und seinem Berliner Ensemble realisierte Urfassung von Richard Strauss’ sechster Oper verdient. Gerade wenn aufgrund der noch nicht abgeschlossenen Arbeiten an der Obermaschinerie der Deutschen Oper Berlin eine Ausweichspielstätte gefunden werden musste, wäre eine Aufführung der Ur-„Ariadne“ denkbar gewesen. Aber in der Philharmonie erklang die gängige Zweitfassung aus dem Jahre 1916.
Mit ihrer vorangegangenen Opernproduktion in der Philharmonie, Meyerbeers „Dinorah“, hatte die Deutsche Oper Berlin die Latte für die halbszenische Umsetzung einer konzertant dargebotenen Oper hoch gelegt. Für „Ariadne auf Naxos“ schien eine derartige Lösung besonders gut möglich, spielt doch der erste Teil, das szenische Vorspiel, im Off-Bereich einer Bühne. Ein Aspekt, mit Auf- und Abgängen rund um das auf die originale Größe von 37 Instrumentalisten geschrumpfte Orchester ist eben so gut denkbar, wie in dieser chorlosen Oper der verlassen wirkende Bereich der Chorstufen als Topos der verlassenen Insel.
Während im Vorspiel trotz Pulten halbwegs nachvollziehbar die räumliche Grundkonstellation übersetzt wurde, erwies sich der Hauptakt in dieser Hinsicht als fragwürdig – zumal etwa die Darstellerin der Ariadne abging und Zerbinetta ihre lange Arie an die „großmächtige Prinzessin“ an deren verlassenen Platz auf der Vorbühne zu richten hatte. Das Schlussduett, bei dem sich das Autorengespann Hofmannsthal und Strauss ein langsames Verschwinden des umgebenden Theaterambientes zugunsten einer Konzentration auf die in Liebe entbrennenden Protagonisten gedacht hatte, ließ allerdings, verstärkt noch durch fehlende Interaktionen von Ariadne und Bachus, das Unatmosphärische des Konzertraumes dominieren.
Dabei musizierte das Orchester unter der musikalischen Leitung von Ulf Schirmer durchaus theatral, sehr schön differenziert und transparent, wenn auch anfangs mit Tempoverschiebungen gegenüber den vor dem Dirigenten positionierten und dort weniger oder mehr agierenden Solisten.
Wegen Erkrankung von Anja Harteros war Meagan Miller in der Titelpartie eingesprungen. Die amerikanerische Sopranistin meisterte dies beachtlich, wenn auch wenig textverständlich. Als ihr knabenhaft apostrophierter Partner erntete Stefan Vinke am Ende auch einige Buhrufe, meines Erachtens zu Unrecht, denn er bewältigt die mörderische Tenorpartie souverän und ohne Abstriche in der Intonation, wenn auch selbstredend weit entfernt von der Leistung eines Jonas Kaufmann in Salzburg.
Als Zerbinetta becircte Susanne Elmark das Publikum ringsum, indem sie nämlich auch nach hinten sang; sie intonierte leicht und sicher, aber die Durchgänge in den hohen Lagen gerieten zumeist arg flach. Unter den der Zerbinetta zugehörigen Komödianten gefiel insbesondere Carlton Ford als Harlekin. Viel Zuspruch erntete auch Daniela Sindram in der zwar nicht optimal textverständlichen, aber emotional beherzten Hosenrolle des Komponisten – allerdings habe ich in dieser Partie noch nie eine Mezzosopranistin erlebt, die Missfallen ausgelöst hätte; offenbar ist diese Rolle in ihrer Knappheit und als Octavian-Aufguss von dem zwillingshaft gender-mitfühlenden Komponisten einfach brillant geschrieben.
Großartig in seiner überbordenden Spielfreude und mit der bei diesem Bariton merklich hieraus resultierenden Stimmgebung gestaltete Markus Brück den Freund und Musiklehrer des Komponisten. Die weitaus schönste Stimme des Abends bot die Interpretin des Echo, die russische Sopranistin Elena Tsallagova.
Die einsamen musikdramatischen Höhepunkte des Abends jedoch lagen – bei der einzigen Sprechrolle. Die melodramatischen Auftritte des Haushofmeisters verkörperte der früher gefeierte Wotan und langjährigste Bayreuther Klingsor, Franz Mazura. Mit jugendlicher Beweglichkeit, hintergründig differenzierender, wienerisch angehauchter Deklamation ließ der inzwischen neunzigjährige Heldenbariton durchblicken, dass diese geheime graue Eminenz auch als skurriler Ideengeber einer gleichzeitigen Aufführung von Komödie und Tragödie im Hause des reichen Bürgers, des in der Zweitfassung stummen Monsieur Jourdain, verantwortlich ist.