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Triumph über die komponierenden Widersacher

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Das Pariser Festival „Présences 2003“ präsentierte den Komponisten Hans Werner Henze
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Wenn die Franzosen schon jemanden feiern, dann, bitte, gründlich: Hans Werner Henzes Schaffen war bislang in Frankreich nur punktuell bekannt. Das hat sich jetzt gründlich geändert. Das Festival de Création Musicale von Radio France, unter dem Titel „Présences“ seit dreizehn Jahren der neuen und neuesten Musik verpflichtet, befahl den französischen Musikfreunden einen Nachhilfekurs in Sachen Hans Werner Henze: Im Zentrum der „Présences 2003“ standen Aufführungen der zehn Sinfonien des Komponisten, vorgestellt von sechs verschiedenen Orchestern unter ihren jeweiligen Chefdirigenten. Im Vorfeld des Festivals gab es im Théâtre des Champs-Elysées ein Extra-Konzert des Orchestre National de France unter Kurt Masur, in dem Henzes neunte Sinfonie erklang.

Auch die Musik braucht Feindbilder. Die Erbfeindschaft zwischen Deutschen und Franzosen war zwar nach Weltkrieg Zwei offiziell für beendet erklärt worden, doch dann kamen die angeblich so harmonieseligen Musiker und sorgten für neue Dissonanzen. Der deutsche Komponist Hans Werner Henze hatte es gewagt, den Donaueschinger Musiktagen anno 1957 seine „Nachtstücke und Arien“ auf Gedichte Ingeborg Bachmanns anzutragen. Das Publikum bejubelte die sensiblen Kantabilitäten als Erlösung aus dem Circulus vitiosus der damals aktuellen kompositorischen Techniken aus Darmstadt, doch im inneren Zirkel der Fortschrittler breitete sich Entsetzen aus. Fortan herrschte Kriegsstimmung zwischen den Parteien, neben einem Stockhausen oder Nono konnte sich vor allem Boulez nicht einkriegen vor Abscheu. Noch zehn Jahre später giftete er in seinem berühmten „Sprengt-die-Opernhäuser“-Disput im „Spiegel“ gegen den „Mist“ des Opernkomponisten Henze, und diese Aversion muss sich wohl bis heute erhalten haben: Nur so ist es zu verstehen, dass Henzes Schaffen in Frankreich bislang eher peripher zur Kenntnis genommen wurde – Boulez’ Einfluß im französischen, speziell Pariser Musikleben ist bekannt.

Auf diesem Hintergrund mutete es fast wie eine Provokation an, wenn das „Présences“-Festival in diesem Jahr dem Instrumentalschaffen Hans Werner Henzes den zentralen Platz im Programm einräumte. René Bosc, seit drei Jahren künstlerischer Leiter des vom Französischen Rundfunks getragenen Festivals, bevorzugt für die Programmgestaltung einen möglichst weit gespannten Pluralismus, nicht zuletzt auch deswegen, um einen breiteren Interessentenkreis für die Neue Musik zu gewinnen, wozu für ihn auch der Jazz in allen Spielarten zählt.

Diesbezügliche Erfolge haben sich bereits eingestellt: Die Konzerte in der Salle Messiaen im großen Rundbau der Maison Radio France waren bei freiem Eintritt oft mehr als ausgebucht. Anders als die konzentrierten Weekend-Veranstaltungen in Donaueschingen oder Witten schätzen die Franzosen die Dauer eines Festivals. Wie die konzeptionell ähnlich gestaltete Straßburger „Musica“ erstrecken sich auch die „Présences“ über mehr als zwei Wochen. Dabei steigern sich die Zahlen gern zum Rausch: Diesmal wurden in 17 Konzerten 77 Werke von 44 Komponisten aus 16 Ländern aufgeführt, davon 33 als Uraufführungen und 26 als französische Erstaufführungen. Radio France hatte allein 30 Werke in Auftrag gegeben. In die zehn Henze-Sinfonien, von denen die meisten noch nie in Frankreich aufgeführt worden sind, teilten sich sechs Orchester: Das Orchestre National de France (Nr. 9 und Nr. 4), das Orchestre Philharmonique de Radio France (Nr. 3, Nr. 6, Nr. 7. und Nr. 8), dann die Nationalorchester aus Lille (Nr. 5), Montpellier (Nr. 10), Straßburg (Nr. 1) und das Orchestre d’Ile-de-France (Nr. 2). Die Übertragung auch auf Ensembles in der sogenannten „Provinz“ entbehrte nicht einer gewissen strategischen Raffinesse: Da diese Orchester „ihre“ jeweilige Henze-Sinfonie auch zu Hause präsentierten, verstärkte sich der gewünschte Verbreitungseffekt merklich. Und deutsche Musikfreunde, die eigens wegen Henze nach Paris gekommen waren, durften mehr als einmal feststellen, auf welch hohem technischen und musikalischen Standard die französischen Regionalorchester agieren – in diesem Fall besonders das Ochester aus Lille unter Jean-Claude Casadesus und die Philharmonie aus Straßburg unter Jan Latham-Koenig. Überlegen auch die Gestaltung der im Vorjahr in Luzern uraufgeführten „Zehnten“ durch Friedemann Layer mit dem Orchestre de Montpellier.

Den Gipfel aber bestieg im finalen Konzert das Orchestre Philharmonique de Radio France unter seinem Chefdirigenten Myung-Whun Chung: plastisch und beredt durchartikuliert die sinfonische „Sommernachtstraum“-Anverwandlung der Achten, grandios Henzes Beethoven-Hölderlin-Dialog in der Siebten. Chung und das Orchester leuchteten die Komplexität des Werkes in allen Facettierungen eindringlich aus, erzielten eine ebenso präzis strukturierte wie fast licht und leicht wirkende Darstellung, der gleichwohl die dramatischen Pulsierungen und wuchtigen Klangentfaltungen nicht fehlten. Danach Jubel und langer Beifall. Immer wieder zog der Dirigent den Komponisten auf das Podium. Henze mag in diesem Augenblick Alter und Beschwerden vergessen haben, sein Blick verriet Überraschung, Dank und sicher auch ein wenig Triumph, dass er trotz der einstigen Widersacher schließlich auch die Pariser von sich und seinem Werk überzeugen konnte.

Verwundert mag er auch in den Konzerten, die er fleißig besuchte einschließlich eines Rundfunk-Gesprächs mit Jean-Michel Damian, über das gewesen sein, was junge und jüngste Komponisten aus aller Welt musikalisch so alles zusammentragen, um daraus eigene Stücke zu schmieden. Vor Boulez & Co. fürchtet sich niemand mehr. Erlaubt ist alles, was zumindest einem selbst gefällt: Sinfonisches, Konzertantes, Jazzoides, Folklore, Kammermusik für die apartesten instrumentalen Kombinationen. Patrice Caratini (im Jazzkonzert) etwa schreibt Miniaturen für Tuba und improvisiert über ein Henze-Thema, Graciane Finzi komponiert aparte „Moments pour orchestre“, die niemandem wehtun, Thierry Pécou „schleicht“ sich förmlich in seiner „Symphonie du Jaguar“ wie ein Jäger durch die Weltmusik, speziell die aus Lateinamerika, virtuos und witzig führt Jean-Louis Agobet drei Klarinetten und Orchester in einem Concerto grosso zusammen. Und auch die dramaturgisch erprobte Huldigungsnummer fehlte nicht: Zehn Komponisten schrieben jeweils ein 1-Minuten-Stückchen für Streichquartett als „Kommentar“ zu jeweils einer der Henze-Sinfonien, unter ihnen Lucia Ronchetti, Thierry Machuel, Pierre Farago, Alain Fourchotte und Peter Ruzicka, der sein eigenes Konzert mit dem Orchestre National de France wegen Krankheit abgeben musste. Damit entfiel leider auch die Aufführung seiner Komposition „Nachtstück (-aufgegebenes Werk)“. „Nachtstücke“ haben schließlich schon einmal für Furore in der Neuen Musik gesorgt.

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