„In Basel gibt es keine Farben, keine Wunder, keine Vögel, keine Frömmigkeit und keinen Glauben. Benedikt von Peter hat die Geschichte vom Italien des 13. Jahrhunderts in eine düstere Zukunft verlegt,“ stellt Georg Rudiger in seiner Kritik der Basler Premiere fest.
Mit religiösen Stoffen hat Benedikt von Peter Schwierigkeiten. Francis Poulencs Bekenntniswerk „Dialogues des Carmélites“ ließ er in einer frühen Regiearbeit am Theater Basel mit der hochdramatischen Schlussszene beginnen, ehe er an den Anfang zurücksprang und die vom Komponisten erzählte Geschichte aus der Zeit der französischen Revolution pulverisierte. Auch sein „Parsifal“ aus dem Jahr 2011 scheute am gleichen Haus jede weihevolle Atmosphäre. Dekonstruktion als Heilmittel? Für seinen Saisonstart als neuer Intendant des Theater Basel hat Benedikt von Peter nun mit Olivier Messiaens einziger Oper „Saint François d‘Assise“ nun ein weiteres dezidiert religiöses Werk gewählt, das laut Komponist nur das Ziel verfolgt, „die fortschreitenden Stadien der Gnade in der Seele des heiligen Franziskus zu schildern. Alles, was keine Farben, keine Wunder, keine Vögel, keine Frömmigkeit und keinen Glauben enthielt, habe ich ausgespart.“
In Basel gibt es keine Farben, keine Wunder, keine Vögel, keine Frömmigkeit und keinen Glauben. Benedikt von Peter hat die Geschichte vom Italien des 13. Jahrhunderts in eine düstere Zukunft verlegt. Márton Ághs Bühnenbild umfasst den gesamten Theaterraum. Drei Strommasten mit schlaffen Kabeln sind Relikte der Zivilisation. Eine Supermarkt-Baracke und zerfetzte Plakatwände erinnern an vergangene Normalität. Alles ist kaputt und unbehaust. Selbst die Vögel, von denen so viele in der Partitur zu hören sind, haben nicht überlebt, sondern müssen von Franziskus aus Papier gefaltet werden. Einige Sitze sind im Parkett herausgerissen, viele Bereiche mit Flatterband abgesperrt. Die Isolation des Publikums, die bereits Bestandteil der vor zwei Jahren konzipierten Bühnenkonzeption war, hat durch die coronabedingten Auflagen eine neue Bedeutung erhalten. Szenisch musste deshalb gar nichts verändert werden. Nur das Orchester wurde auf ein Drittel der Besetzung reduziert. Diese reduzierte Orchesterfassung fertigte der argentinische Komponist Oscar Strasnoy innerhalb weniger Monate an, indem er gerade bei den Bläsern die Zahl der Instrumente minimierte und beispielsweise statt sieben Flöten und Klarinetten jeweils nur zwei verwendete. Die instrumentalen Farben dagegen blieben weitgehend unverändert, so dass das auf der Bühne postierte Sinfonieorchester Basel unter der Leitung von Clemens Heil dem vielschichtigen Messiaenschen Klangkosmos sensibel nachspüren konnte. Die insgesamt transparentere Orchesterstimme hilft auch den Solisten. Die Schweizer Erstaufführung des Werkes wird so auch zur Uraufführung der reduzierten Orchesterfassung.
Zu Beginn des knapp vierstündigen, mit einer Pause gespielten Abends dominiert die Elektronik bei einigen Passagen zu stark den Orchesterklang. Aber die Balance wird besser. Die Streicher entfalten trotz ihrer kleinen Besetzung seidigen Glanz. Die Blechbläser verlieren nichts von ihrer Schärfe. Der ständige Wechsel zwischen weichen, lyrischen und nervösen, scharf akzentuierten Passagen gelingt kontrastreich. Vor allem aber tut es dem szenisch problematischen Abend gut, dass man die Musik auch sehen kann. Vor allem die drei extrem geforderten Mallet-Spieler an Marimba, Xylophon und Vibraphon sind ein belebendes Element.
Benedikt von Peter bricht die allmähliche innere Erleuchtung des heiligen Franziskus auf eine freudlose und spannungsarme Geschichte im Obdachlosenmilieu herunter. Selbst der Engel, den Olivier Messiaen musikalisch entrückt, kocht sich seine Tomatensuppe auf dem Gaskocher. Zumindest musikalisch kann Alfheiour Erla Guomundsdóttir mit ihrem schlackenlosen Sopran und dem wunderbaren Legato ein wenig Licht verbreiten und für einen Moment die Zeit stehen lassen. Nathan Berg ist als heiliger Franziskus in seinem blutgetränkten Oberteil (Kostüme: Márton Ágh) ein echter Schmerzensmann, dem jedes Lachen aus dem schmutzigen Gesicht verschwunden ist. Benedikt von Peter erzählt an der Hauptfigur eine Geschichte des Niedergangs, bis Franziskus am Ende im Müll verreckt. Die Wärme, die die Regie negiert, liegt in Bergs Stimme, wenn er etwa im sechsten Bild die im Orchester gespielten Vogelstimmen beschwört. Erlösung findet nur in der Musik statt durch das vom unsichtbaren, in der Galerie des Theaterturms aufgestellten Basler Opernchor (Chorleitung: Michael Clark) homogen intonierte, schwebende Halleluja. Den Leprakranken verkörpert Rolf Romei mit kraftvollen, hellen Schmerzensschreien. Die Mönche sind in Benedikt von Peters Inszenierung heruntergekommene Saufbrüder, die ihre Zeit totschlagen, Dosenbier trinken und zusammen abhängen. Bruder Massée verleiht Paul Curievici dennoch Sehnsucht nach etwas Höherem. Jason Cox ist ein sonor klingender Bruder Léon. Bruder Elie (Karl-Heinz Brandt) dreht mit dem Fahrrad ein paar Runden, Bruder Bernard (Andrew Murphy) schiebt einen Einkaufswagen. Am Ende ist Franziskus tot. Und die Welt bleibt so trostlos, wie sie war.