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Anna Prohaska (Susanna). Fotos: Clärchen und Matthias Baus © CMB
Anna Prohaska (Susanna). Fotos: Clärchen und Matthias Baus © CMB
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Turbulente Show – Jürgen Flimms Inszenierung von Mozarts „Le nozze di Figaro“ an der Berliner Staatsoper

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Die Neuinszenierung von Mozarts „Commedia per musica in vier Akten“ spielt in der Berliner Staatsoper nicht in Sevilla, sondern in einem nahen Badeort. Zwischen Strandkorb, Liegestühlen und Transportkoffern hofft Graf Almaviva dem Objekt seiner Begierde, der Kammerzofe Susanna, schneller näher zu kommen als im heimischen Schloss. Staatsopernhausherr Jürgen Flimm macht da Pontes im 18. Jahrhundert angesiedelte Gegenwartshandlung zu einem „Tollen Tag“ des frühen 20. Jahrhunderts.

Während der Ouvertüre betritt aus dem noch hellen Zuschauerraum die mit Koffern und Hutschachteln bepackte gräfliche Gesellschaft über den Laufsteg vor dem Orchester die von Antonio verwaltete, heruntergekommene Dependance, mit fahrbarer Rückwand und verschiebbarem Einbauschrank. Da kümmert es nicht, dass das Kabinett mal ein mitgebrachter Reisekoffer auf Rollen, mal der Einbauschrank ist, der auch über einen Hinterausgang verfügt (Bühnenbild: Magdalena Gut). Jürgen Flimms Inszenierung mit Passarelle um den Orchestergraben setzt voll auf Show. Handwerklich perfekt gemacht, ist sie erfrischend turbulent, bisweilen ungewöhnlich in ihren Mitteln und oft auch drastisch.

Diese Neuinszenierung lebt von einem hinreißenden Sänger-Ensemble, das sich mit großartigen vokalen Leistungen und merklich mit viel Spielfreude auf diese Lesart eingelassen hat.

Allen voran Ildebrando D’Arcangelo, der den Grafen als skurril irrlichternden Draufgänger verkörpert und auch in Szenen mitagiert, in denen der Conte gewöhnlich nicht auf der Bühne ist. Er verfolgt Susanna noch durch die Lücke zwischen den Leisten und dem Stoffbehang eines Liegstuhls, raucht bei der Verhandlung mit dem Notar nervös oder löst die Idee des ihm von Figaro angedrohten Tanzes in Ensembles realiter tänzelnd ein. Ob im Outfit des Großwildjägers oder eines Papagallo im Seiden-Bademantel (Kostüme: Ursula Kudrna), beherrscht D’Arcangelo das Bühnengeschehen. Seinem facettenreichen Gesang kommt zu Gute, dass auch der Figaro und der Don Giovanni zu seinen Paraderollen gehören.

Dorothea Röschmann als Gräfin hängt nur kurz ihren Depressionen nach, schmust dann mit Cherubino im Bett und ist unverkennbar die kaum gealterte Rosina, wie man sie aus dem Vorabend dieser Handlung, dem „Barbier von Sevilla“ kennt; dessen von Mozart geschätzte Vertonung durch Giovanni Paisiello war ja unlängst auch in Berlin zu erleben. Bei der Arie im 3. Akt zieht die Gräfin ihr Tagebuch zu Rate, und man glaubt ihr am Ende, dass auch die finale Verzeihung zu den Spielmitteln ihrer Palette an weiblichen Reizen gehört.

Anna Prohaska als Rotschopf Susanna hat es faustdick hinter den Ohren: ihre Verführung des im dritten Akt frustrierten Grafen ist hochprofessionell. Das mädchenhafte Spiel mit einem Schwanenhals-Schwimmreifen nimmt man ihr ebenso ab, wie ihr erotisches Reiten auf Figaro als vorgebliche Gräfin. Publikumsliebling Prohaska singt diese Partie, dass es eine Wonne ist, ihr zuzuhören.

Da hat es Figaro vergleichsweise schwer, an Profil zu gewinnen, obgleich der mit einem Vergleich der Teile des Bettes und der Maße seiner Braut das mehr als doppelbödige Spiel im Badeort an der Mittelmeerküste begonnen hat. Gleichwohl lässt Lauri Vasar in der Titelpartie stimmlich facettenreich und spielerisch überzeugend keine Wünsche offen.

Marianne Crebassa als belcantistischer Cherubino steht dem Grafen an Draufgängertum kaum nach. Selbst wenn sie mit bezopftem Hut als Mädchen verkleidet ist, nervt sie permanent ihre Umwelt. Mit staksigen Schritten und zielgerechtem Fingerspiel ist sie immer da zu Gange, wo sie einerseits die Anderen stört, gleichzeitig Frauen zielstrebig zum Orgasmus zu kitzeln vermag. Das gelingt ihr sogar bei Figaros Mutter Marzellina, die hier Katharina Kammerloher, aufgewertet durch die häufig gestrichene Arie im vierten Akt, durchaus noch voll im Leben stehend verkörpert. Otto Katzameier gestaltet Figaros Vater Dr. Bartolo so skurril, dass man zu verstehen vermag, von wem der Sohn seine Winkelzüge geerbt hat.

Sónia Grané gibt Barbarina als ein permanent geiles Dummchen. Ihrem Vater Antonio als Verwalter der gräflichen Dependance leiht Olaf Bär Profil und Tiefgang – auch dann noch mit Grandezza, wenn er den gesamten Blumentopf-Vorrat des Hauses per Schubkarre auskippt.

Mit Slapstick agiert Florian Hoffmann als langmähniger Musiklehrer Basilo, und Peter Maus schafft, es dass selbst die Miniaturrolle des Don Curzio plastisch im Gedächtnis bleibt.

Gustavo Dudamel interpretiert Mozarts Partitur ungewöhnlich leicht und transparent, die bestens disponierte Staatskapelle, der von Frank Flade einstudierte Chor und die Solistenriege folgen dem Dirigenten im halbhoch gefahrenen, vom turbulenten Geschehen umringten Graben wie selbstverständlich.

Nachdem bereits das Nachspiel von Susannas Arie des 4. Aktes im beigeisterten Applaus beinahe untergegangen war, herrschte am Ende der Oper eitel Jubel für alle Beteiligten, das Regieteam inbegriffen.

So gesehen ist es ein Glücksfall, dass Arte diese Produktion bei der nächsten Aufführung am 13. November live übertragen wird.

  • Weitere Aufführungen: 11., 13., 15., 19. und 21. 11. 2015.
  • In ARTE TV am 13. November, um 20.15 Uhr, live, anschließend 90 Tage online abrufbar auf der Musik-Plattform ARTE Concert (concert.arte.tv).

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