Das seit 1994 jährlich in Stuttgart stattfindende Festival Jazzopen hat sich mittlerweile auch über die Region hinaus fest im Veranstaltungskalender etabliert. Das Programm präsentiert regelmäßig Popstars wie in diesem Jahr den als Ex-Boomtown-Rats-Frontmann und Philanthrop bekannten Bob Geldof, die französische Sängerin Zaz oder den deutschen R&B-Rapper Max Herre, Jazz-Größen wie Jamie Cullum, Brad Mehldau, David Sanborn, Marcus Miller und Joashua Redman sowie Soul- und Weltmusik mit Dianne Reeves und Mariza. Zum Auftakt wurde Ralph Towner mit der German Jazz Trophy geehrt.
Mit Auftritten von Marcus Miller, Joshua Redman mit The Bad Plus, dem Brad Mehldau Trio, dem 13-jährigen Pianowunderkind Emily Bear und dem früh erblindeten, von seinem Lehrer und Mentor Clark Terry zu einer Musikkarriere ermutigten Pianisten Justin Kauflin, beide aktuell von Quincy Jones protegiert und produziert, feierte das diesjährige Festival am Dienstagabend sein Bergfest.
Die Kalkulation, mit großen Pop-Acts wie Bob Geldof, der französischen Sängerin Zaz oder dem deutschen R&B-Rapper Max Herre ein hochkarätiges Booking im kleineren Jazz-Segment zu subventionieren, geht besser auf denn je: Mit erwarteten 27.000 Besuchern ist für die diesjährigen Jazzopen im 22. Jahr ihres Bestehens ein Publikumsrekord in Sicht. Die angesichts der Dichte des Programms wohl unvermeidlichen Überschneidungen wären indes weniger unglücklich, würden sie verschiedene Programmschienen betreffen. So aber musste man als Jazzfan eine eigentlich unzumutbare Entscheidung treffen: Wer das Brad Mehldau Trio im Eventcenter Spardawelt erleben wollte, konnte nicht gleichzeitig Marcus Miller und Joshua Redman mit The Bad Plus auf der Open-Air-Bühne vor dem Mercedes-Benz Museum zujubeln.
Das war allerdings auch so nicht uneingeschränkt möglich, hinterließen die Auftritte von Miller sowie Redman mit The Bad Plus doch einen durchwachsenen Eindruck. Die sinnstiftende Klammer, die Gemeinsamkeit beider Acts war durchaus nachvollziehbar: Sowohl das routinierte, sechsköpfige Virtuosen-Ensemble um Miller als auch das US-amerikanische Trio The Bad Plus sind Bands, die eher grooven als im konventionellen Jazz-Sinn swingen. Als kritisch erwies sich insbesondere die Rolle der Soli: Miller ist ein Bassist, der seinem Instrument eine Melodie, ihre Begleitung und einen Basslauf gleichzeitig entlocken kann – in einem Solo über die Harmonien von „I’ll Be There“ zeigte er rasanteste Kombinationen aus gezupften und gepickten Tönen, ließ sein Markenzeichen, die markanten Slaps einfließen. Dennoch blieb sein Spiel limitiert, darauf angelegt zu beeindrucken, nicht zu berühren. Auch seine Mitstreiter verfielen ein ums andere Mal in die Richtungs- und Ziellosigkeit der Fusion der Siebzigerjahre. Analog die Problematik der Kombination von Joshua Redman und The Bad Plus: Statt zu kommunizieren, wechselten sie sich ab.
German Jazz Trophy
Einen der reinsten Jazzmomente erlebte man bislang bei der Preisverleihung der gemeinsam von der Stiftung Kunst und Kultur der Sparda-Bank Baden-Württemberg, dem ConBrio-Verlag /der JazzZeitung und der Kulturgesellschaft Musik+ Wort e. V. Stuttgart verliehenen German Jazz Trophy an Ralph Towner zur Eröffnung des Festivals. Auf die außergewöhnlich informierte Laudatio von Kunststaatssekretär Jürgen Walter, der – dem Künstler seit Jahrzehnten persönlich verbunden – neben der wohlverdienten Würdigung dieses grandiosen Lebenswerks auch mit Fun Facts aufwarten konnte, etwa zum ungeplanten Kauf der ersten Gitarre von Towner, der eigentlich nur Öl für die Ventile seiner Trompete besorgen wollte, oder mit der Tatsache, dass bei einer Apollo-Mission auch ein Tape mit seiner Musik im Orbit war und in der Folge zwei Mondkrater nach Kompositionen von Towner benannt wurden, folgte mit einem kurzen Soloset des Geehrten ein nicht leicht zu überbietendes Highlight des diesjährigen Festivals: Fließende Arpeggien und chromatische Verschiebungen verwob der 75-Jährige auf sechs Saiten zu einem faszinierenden Gespinst zeitloser Schönheit, bevor er mit Wolfgang Muthspiel und Slava Grigoryan als MGT auch im Trio beste Figur machte. Stimmiges Booking kennzeichnete die Eröffnung der Open-Air-Bühne vor dem Mercedes-Benz Museum als Spielstätte des diesjährigen Festivals: Gemessen an der begeisterten Resonanz der 1.000 Zuschauer, bewegten sich die niederländische Sängerin Caro Emerald und der italienische Sänger Mario Biondi nicht nur ungefähr auf gleicher Höhe, die beiden Haupt-Acts des Samstagabends adressierten mit gefälligem Retro-Soul-Jazz auch das gleiche Publikum. Anderntags machte Bob Geldof aus seinem Herzen keine Mördergrube: „I fucking hate jazz!“, eröffnete der auch als Philanthrop bekannte Ex-Boomtown-Rats-Frontmann seinen Auftritt. Mit der portugiesischen Sängerin Mariza und der kubanischen, in Deutschland lebenden Addys Mercedes hatte man für den Montagabend zwei Acts eingeladen, deren Tonträger in den Medienhäusern im Fach Weltmusik zu finden sind.
Clubprogramm
Gerade das Clubprogramm im Stuttgarter Jazzclub Bix ermöglicht immer wieder Entdeckungen wie bei der Weltpremiere des Dana Leong Transatlantic Trios, der kontrollierten Ekstase von GoGo Penguin oder dem Konzert von Lizz Wright, das dem Festival ein weiteres Glanzlicht aufsetzte. Insgesamt 40 Einzelkonzerte – darunter auch die Gewinner des Nachwuchsbandwettbewerbs playground – finden in diesem Jahr in Stuttgart statt; zahlreiche Konzerte waren bereits Wochen im Voraus ausverkauft.
Nachdem die erste Hälfte der Jazzopen von hochsommerlichen Temperaturen geprägt war, wurde dann die größte Festivalbühne auf dem Schlossplatz bespielt. Noch bis Sonntag gastieren dort unter anderem Gregory Porter mit dem Metropole Orkest, Dianne Reeves (09.07.), Max Herre & Friends mit Kahedi Radio Orchestra, Fetsum (10.07. – ausverkauft), Zaz & SWR Big Band, Rhiannon Giddens, Emily Bear (11.07. – ausverkauft) und zum Finale Jamie Cullum mit Big Band sowie Sarah McKenzie (12.07.), im Bix treten noch Magnus Öström (09.07.), das Ruthie Foster Quartett (10.07.) und Hailey Tuck (11.07.) auf.