Die Initiative Fonds Experimentelles Musiktheater (FeXm) schlägt in Bremen als letzte Musiktheaterpremiere dieser Spielzeit wieder zu: nach den „Obsessions“ durch die finnische Truppe „Oblivia“ war nun „Kitesh“ zu hören, zu sehen, nein, zu erleben. Und man war gut beraten, sich dem Erleben zu überlassen, denn alles, was angekündigt war, verwirrte nur.
„Die Legende der unsichtbaren Stadt Kitesh und von der Jungfrau Fewronija “, eine 1907 uraufgeführte Oper von Nikolai Rimski-Korsakov war eine Grundlage. Der Komponist Alexander Chernyshkov lieferte mit originalen Musik Nikolai Rimski-Korsakovs, mit Popmusikelementen, Neue Musik Sounds und Elementen aus der russischen Volksmusik so eine Art Neukomposition, die man wohl am ehesten mit „Überschreibung“ charakterisieren kann. Das Sujet, die Überflutung und der Untergang der russischen Stadt Kitesh im Jahr 1237, hat einerseits Weltgeltung wie andere versunkene Städte auch, gerät aber durch den Überfall der Tartaren auf die Stadt in eine Zwickmühle durch die Aktualität des heutigen Überfalls der Russen auf die Ukraine. Diesem Dilemma musste sich das Produktionsteam „Hauen und Stechen“ mit der Regisseurin Franziska Kronfoth stellen. Im Oktober 2020 fand die Uraufführung in Zusammenarbeit mit der Oper Halle und der Oper Wuppertal in Halle statt (unser Bericht).
Die Aufführung war in drei – wirklich innovative – Teile geteilt: der erste Teil spielte in den Wallanlagen neben dem Theater, hier war die Stadt versunken. Hier lernen wir die Prinzessin Fewronia mit Patricia Andress, Angela Braun und Gina-Lisa Maywald gleich dreimal kennen, hier tobt der Trunkenbold Grishenka (Emil Borgeest) und beschimft alles als Lüge und hier prophezeit eine Guslarin – mit leidenschaftlicher Intensität Ulrike Mayer – den kommenden Angriff der Tartaren. Und zeitgleich wurde auf dem Theaterplatz mehr oder weniger komisch das Leben in einer Jurte gezeigt, ein absurd-beschauliches Leben der Einheit zwischen Pflanzen, Tieren und Menschen und Honig-Ritualen.
Im zweiten Teil muss wieder gewandert werden – diesmal in allen Räumen und Foyers des Theaters: Überall treffen wir die BürgerInnen der Stadt Kitesh in weißen Fantasiekostümen und begegnen in zehn Stationen ihrem Leben: einer Gebetsrunde, einem kleinen Film, der „Feuerpferde“ heißt, auf dem Bienendach dem „Untergang eines Heiligen“ einem verzweifelten Christoph Heinrich und Trommeln. Überall gibt es Geschichten aus der Stadt: ein Tartarenroulette, das mit ZuschauerInnen veranstaltet wird, ein kleines hinreißendes Santur-Konzert. Im dritten Teil endlich gibt’s die Bühne, da darf man dann sitzen. Aber auch hier – Kitesh ist versunken – ist das Publikum mittendrin, denn es gibt wiederum Szenen auf dem Rang. Was sich vorne abspielt, als der Todesvogel Alkonost erscheint und mit wilder Aktivität die erschöpfte Fewronia in Jenseits, bzw. in die unter Wasser weiterlebende Stadt Kitesh einlädt, ist dann leider viel zu lang geraten und eine „Utopie zukünftiger Gemeinschaftlichkeit“ kommt nicht zustande – zumindest ist es nicht zu erkennnen und gerät nicht selten an den Rand des Kitsches. Trotzdem wird alles in allem die experimentelle Idee einer neu und anders zu schauenden Oper erfüllt und hilft zu vielen Ideen erweiternder Rezeption.