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DON QUICHOTTE, Regie: Jakop Ahlbom, Premiere 30. Mai 2019, Deutsche Oper Berlin, copyright:Thomas Aurin
DON QUICHOTTE, Regie: Jakop Ahlbom, Premiere 30. Mai 2019, Deutsche Oper Berlin, copyright:Thomas Aurin
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Unentschieden – Massenets „Don Quichotte“ an der Deutschen Oper Berlin

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Jules Massenets knapp dreißig Opern erfreuen sich unterschiedlicher Beliebtheit. Sein letztes großes Bühnenwerk „Don Quichotte“, 1910 in Monte Carlo uraufgeführt, wurde im vergangenen Dezennium in Braunschweig sowie an mehreren Bühnen in Nordrhein-Westfalen realisiert. Die Bregenzer Festspiele haben es für diesen Sommer im Rahmen ihrer Opernraritäten im Großen Festspielhaus angekündigt. Rar hatte sich Massenets Oper jedoch in Berlin gemacht, wo zuletzt Götz Friedrich im Jahre 1971 an der Komischen Oper eine bahnbrechende Interpretation geschaffen hatte.

An jenes Haus scheint die Comédie-héroique in fünf Akten denn auch besser zu passen als auf die große Bühne der Deutschen Oper Berlin, die sich nun zum ersten Mal dieser koloristischen, dem spanischen Idiom entsprechend mit Gitarren, Kastagnetten und baskischem Tambour angereicherten Partitur annimmt.

Die Opernhandlung basiert auf Jacques Le Lorrains Theaterstück „Le Chevalier de la Longue Figure“, welches Cervantes’ berühmtem Roman eine eigene Note abgewinnt, indem die sonst nur imaginäre Dulcinea hier eine allgemein begehrte junge Person ist, die mit Don Quichotte dialogisiert. Außerdem hat der Dichter eine Episode hinzufügt, in welcher Don Quichotte den Räubern eine der schönen Dulcinea geraubte Perlenkette wieder abgewinnt.

Bereits der Roman von Miguel Cervantes Saavedra lebt von der Konfrontation zweier Zeiten und Welten: der unvereinbaren Geisteshaltung des in der Welt seiner Ritter- Romane lebenden Don Quichotte und der ihn verlachenden Gesellschaft des 17. Jahrhunderts. Wie auf dem berühmten Cervantes-Denkmal in Madrid, wird der Ritter von der traurigen Gestalt oder eben von der „langen Figur“ auf seinem klapprigen Gaul Rosinante, von seinem kleinen, rundlichen Diener Sancho Panza auf einem Esel begleitet. Diese unveränderte Personenkonstellation begegnet dem Betrachter in allen Dramatisierungen von Schauspiel, Oper, Ballett und Film.

Exakt umgekehrt verhält es sich nun jedoch in der Berliner Neuinszenierung durch die Besetzung der beiden im Bassbariton-Bereich angesiedelten Rollen – mit dem hoch gewachsenen, sich obendrein auf Koturnen bewegenden Seth Carico als Sancho Pansa und mit Alex Esposito in der Titelrolle.  

Vermutlich als Ersatz für die nun nicht mehr anzutreffenden charakteristischen Figuren liefert Regisseur Jakop Ahlbom, als stumme Beigaben zwischen René Magritte und Grand Guignol, einen kleinen, ausgestopften Dickwanst und einen Überlangen Kopflosen, im zweiten Teil auch noch eine verwachsene Figur mit Frauenkopf und überlangen Armen ohne Hände.

Die der Gegenwart angenäherte Handlung spielt, statt in einem heruntergekommenen Gasthof in einer mondänen Großlounge (Bühnenbild: Katrin Bombe) mit einer unisex als Herren in Grau gewandeten Gesellschaft (Kostüme: Katrin Wolferman). Windmühlenflügel als Projektion ergänzen die beleuchteten Miniatur-Tischdekoration der Lounge. Seth Carico singt nicht nur den Diener Sancho sondern agiert auch, mit einem abnehmbaren Pferdekopf,  als das Reittier seines Herrn.

Alex Esposito als Ritter von der traurigen Gestalt tritt keineswegs mit verrosteter Rüstung, in zerschlissenen Hosen und mit schmutzigen Schuhen auf, sondern in modischem Outfit, mit reflektierend prachtvollen Silberstiefeln in Erscheinung – also kein Fremder in Zeit und Raum, sondern einer, der dieser Gesellschaft mit ihren bunten Karnevals-Spitzhütchen durchaus adäquat ist. Die von Don Quichotte als hohe Frau Dulcinea del Toboso verehrte Dulcinea, in der Oper zur permanent von einem gemischten Quartett von vier männlichen Liebhabern umworbenen, lebenslustigen Wirtin Dulcinée mutiert, ist in der Berliner Inszenierung eine wiederholt durch Doubles vervielfachte, trampelige Bedienung.

Jakop Ahlbom, der 2014 in der Tischlerei der Deutschen Oper Berlin eine originelle Pocket-Version von „Hoffmanns Erzählungen“ inszeniert hatte, arbeitet gerne mit Zaubertricks. Die Titelfigur wird mit einem Salto schlagenden Artisten gedoubelt. Ein begehbarer, sich öffnender Männermund, dem eine endlos lange Zunge entquillt, über welche dann Hirschkäfer kriechen, betont das Surreale der Sichtweise des Zauberers und Performers. Der schönste Moment ist die Verwandlung von Dulcinés Kleid von Weiß nach Rot, nachdem Quichotte die Angebetete mit Rosenblättern überschüttet hat.

Doch farbige Stofffetzen, die aus dem Schnürboden segeln oder sich hebende und senkende Tische erscheinen im Zeitalter der perfekten Illusionisten denn doch als etwas zu wenig für eine Neudeutung dieser Oper.

Unentschieden ist das Publikum, wer mit dem großen Schwellkopf mit den beweglichen Augen und Augenlidern gemeint sein soll: der Darsteller der Titelrolle (aber der hat nicht so viel Nasenfalten) oder der alte Massenet; am ehesten besteht Ähnlichkeit zum Dirigenten Emmanuel Villaume – doch die großen, von zwei weiteren Personen getragenen Hände würden in ihrer Unbeweglichkeit geradezu einer Diskriminierung des musikalischen Leiters gleichkommen.

Das Orchester der Deutschen Oper erweist sich als gut disponiert, musiziert aber wenig nuanciert. Besonders stimmungsvoll gelingt Villaume die Einleitung zum dritten Akt. Nach Sanchos enthusiastischem Bekenntnis und dem Verklingen dieses Aktes bleibt der Dirigent allerdings unentschieden, ob er – entgegen dem optisch pausenlosen Ablauf – den Applaus forcieren oder nahtlos mit dem epilogischen Schlussakt fortfahren soll – und er entschied sich dabei offensichtlich falsch, denn ein überaus verhaltener Applaus brach den Stimmungsbogen und erwies sich keineswegs als erfolgsfördernd.

Neben dem diesmal nicht sonderlich geforderten Chor (einstudiert von Jeremy Bines) und dem sauber, doch insgesamt wenig nuancenreich aufspielenden Orchester der Deutschen Oper Berlin stehen musikalisch vor allem die drei Hauptrollen im Vordergrund. Sie sind durchaus hochwertig, wenn auch nicht wirklich rollendeckend besetzt. Alex Esposito und Seth Carico warten mit prachtvoller Stimmgebung auf, Carico obendrein mit ungewöhnlichen Karikierungen. Doch fehlt dem Interpreten der Titelrolle, die im Libretto von Henri Cain zu einer Jesus-Figur apostrophiert ist das hierfür erforderliche Charisma. Clémentine Margaine singt kraftvoll, klingt aber häufig travestierend; das vom Komponisten für den 4. Akt ausdrücklich geforderte eigene Begleiten Dulcinées auf der Gitarre übernimmt hier Gonzalo Celis in einem Torero-Kostüm.

Nach der Pause wiesen die Reihen der Zuschauer deutliche Lücken auf. Gleichwohl gab es am Ende des Feiertag-Premierenabends viel Applaus und auch für das Regieteam nur wenig Widerspruch.

  • Weitere Vorstellungen: 2.., 7., 13. und 18. Juni 2019

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