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Ungeheure Wucht und Gestaltungskraft

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„Magma 2002“, eine Biennale für zeitgenössische Musik
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Längst steht der Dirigent vor dem kleinen Kammerorchester, einem Streichquartett, ergänzt durch Bassklarinette, Flöte und Percussion. Der Saal verdunkelt sich, Stille kehrt ein. Neben dem Flügel auf einem kleinen Pult ruht ein flacher Laptop, dessen Logo, der angebissene Apfel, grünlich schimmert. Das Publikum wartet, der Dirigent wartet – der Cellist ist noch beschäftigt: er versucht einen Tonabnehmer in der Nähe des Steges zu befestigen. Als er endlich fertig ist, gibt er kopfnickend ein Zeichen. Nicht dem Dirigenten oder seinen Mitspielern, sondern einem Mann, der sich auf den oberen Zuschauerplätzen des Kammermusiksaales der Berliner Philharmonie eingerichtet hat. Er ist der Herr über all die Regler für die Mikrofone und Tonabnehmer und er ist es, der jetzt den ersten Ton auf die Reise schickt…

Diese kleine Szene zu Beginn eines Konzerts im Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie war symptomatisch für ein Festival, das in seiner Besonderheit durchaus ein Novum für die Musiklandschaft Berlins war: „Magma 2002“, eine Biennale zeitgenössischer Musik der fünf nordischen Länder Dänemark, Finnland, Island, Norwegen und Schweden.
Zum ersten Mal in der 114-jährigen Geschichte der Nordischen Musiktage fanden diese nicht in der angestammten Heimat statt. Sie zeigten sich sprichwörtlich weltoffen und kamen nach Berlin, wo sie an verschiedensten Adressen, darunter so vorzüglichen wie der Philharmonie mit ihrem Großen und dem Kammermusiksaal, Station machten. Veranstalter, Organisatoren und nicht zuletzt die Musiker selbst boten viel auf, um dem Mitteleuropäer einen umfassenden Beweis dafür anzutreten, dass der Norden außer atemberaubend schöner Landschaft und Musik von Nielsen und Sibelius mehr zu bieten hat. Gleichwohl stehen die beiden Namen für eine Tradition, die Generationen von Komponisten nach ihnen aufnahmen und weiterentwickelten. So sind denn hierzulande natürlich auch Namen wie Kaija Saariaho, Esa Pekka Salonen oder Fartein Valen bekannt. Weniger hingegen weiß man darüber, in welchem Verhältnis diese zu der jüngeren Generation der Komponisten stehen, die, wie sollte es angesichts einer zunehmenden „Vernetzung“ der Welt auch anders sein, vielfältigsten akustischen und optischen Einflüssen ausgesetzt sind und zugleich auf ganz individuelle Weise versuchen, sich der Welt mitzuteilen.

Zu den zentralen Veranstaltungen, die durch ihre klugen Konzeptionen zugleich exemplarisch das Anliegen des Festivals verdeutlichten, gehörten zweifelsfrei die Konzerte im Großen Saal der Philharmonie, etwa das zur Eröffnung des Festivals. Carl Nielsens 5. Sinfonie (1922), die seinerzeit gleichfalls ein kühner Entwurf im Umgang mit musikalischen Mitteln war, wurde an diesem Abend ergänzt durch das 15-minütige Stück „Time and the bell“ (1988) von Anders Hultquist aus Schweden sowie durch die 6. Sinfonie des dänischen Komponisten Per Norgård aus dem Jahre 1999. Das Stück mit dem Titel „At the End of the Day“ bot sich dar als ein Ensemble der Extreme. Ein Phänomen, das viele der Kompositionsbeiträge dieses Festivals charakterisierte: Vom Grundanliegen des Stückes über seinen musikdramaturgischen Aufbau und die Instrumentierung gehen die Schöpfer oft bis an die Grenzen dessen, was Musikinstrumente und ihre Spieler zu leisten vermochten – um sie dann mit modernen Hilfsmitteln zu überwinden.

Dass die Suche nach neuen Ausdrucksmitteln über das traditionelle Instrumentarium hinaus auch für die nordische Moderne charakteristisch ist, demonstrierten zum Beispiel die „Nordischen Nachspiele“ im Berliner Tränenpalast, wo das 1997 gegründete dänische Ensemble „Contemporánea“ mit seinem audiovisuellen Clubkonzert dem künstlerischen Zusammenhang von Klang, Raum, Bewegung und Bildern eine sinnliche Dimension gab. Auch das Ensemble wie „Cikada Chamber“ aus Norwegen stellte sich mit dem Versuch einer Synthese aus Tradition und Moderne vor, etwa bei dem Stück „Ur“ von Markus Lindberg. Dieser hatte eine eigens für diese Komposition geschriebene Software verwendet, um zu zeigen, dass der Computer der handschriftlichen (sprich: traditionellen) Kompositionsarbeit durchaus erweiterte Dimensionen hinzufügen kann. Ganz in diesem Sinne arbeiten auch Lasse Thorensen, dem der Computer als Werkzeug bei seiner Beschäftigung mit der Mikrotonalität dient oder Kaija Saariahio, deren in Berlin aufgeführtes Stück „Nymphea“ für Streichquartett und Elektronik einst als Auftragswerk für das KRONOS-Quartett entstand.

Geradezu augenscheinlich war der Umgang der jüngeren Komponisten mit einem Instrumentarium, das sich aus den Mitteln heutiger Unterhaltungselektronik und verschiedener Medien zusammensetzt. Ihr Publikum, und das stellt diese Komponistengeneration meines Erachtens vor eine besondere Herausforderung, ist im Umgang mit eben diesen Mitteln nicht minder versiert, sie sind inzwischen längst für jedermann zum alltäglichen Gebrauchsgegenstand geworden. Insofern treffen die Komponisten heute ganz im Unterschied zu den anfänglichen Versuchen etwa durch Pierre Boulez auf ein Publikum, dessen Hörerfahrung im Bereich der elektronischen Medien durchaus geschult ist, wohingegen es den Bereich der klassischen Formen der Musik immer weiter in den Hintergrund treten lässt.

Umso verdienstvoller war das Bemühen des Festivals, den Nimbus des Elitären zu zerstreuen, wie er gerade um die zeitgenössische Musik häufig vermutet wird. Gleichwohl zeigte sich, dass dies Bestreben andauern muss, denn gar zu oft hatte man, speziell bei den kammermusikalischen Veranstaltungen den Eindruck, bei einem typischen Insidertreffen zu stören, weil der ausbleibende Publikumszulauf zu viele freie Plätze ließ.

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