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Fünf Rollen in ausschließlich weißer Kleidung werfen einen Schatten an das weiße Rechteck der sonst ausschließlich schwarzen und freien Bühnengestaltung

Junggeun Choi, Wonjun Kim (liegend links), David Heimbucher,Tomohiro Takada, Changdai Park (liegend rechts). Foto: Olaf Struck

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Ungewollt brandaktuell: Saint-Saëns „Samson und Dalila“ wird in Kiel sinnreich inszeniert

Vorspann / Teaser

„Samson und Dalila“, Camille Saint-Saëns Oper mit alttestamentarischer Vorlage, wirkt bedrückend und zeitgemäßer denn je. Denn Gaza, wo ihre Handlung spielt, ist ein Ort, an dem seit mehr als drei Jahrtausenden Unfriede herrscht. Es ist so, als sei das im „Buch der Richter“ Beschriebene eine Blaupause dafür, was sich erschreckend am 7. Oktober 2023 wiederholte. Es war zugleich der Tag der neuesten Kieler Opernpremiere, an dem sich die Nachrichten von dem Beschuss Israels durch Raketen der Hamas und von barbarischer militärischer Gewalt, auch von dem Leid vieler mit den Eindrücken dieses Bühnenereignisses vermischten. Samson, der Hebräer, nutzte damals noch die Kraft seiner Arme, um sich an den Philistern zu rächen, heute erfüllt das perfide Technik.

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Als Zuschauer kann man sich nicht davon befreien, das mitzudenken, was draußen geschieht, wo die sich Verteidigenden und die Angreifer heute wie früher ihr Tun damit rechtfertigen, sie kämpften für Gott. Die Hebräer nennen ihn so. Für die Philister war es einst Dagon, der heute durch Allah zu ersetzen ist. Aber damals wie heute ist es eine Tragödie, die den Irrsinn von Gewalt und ebenso brutaler Gegengewalt vorführt.

Keine Grauzone

Ohne von der Aktualität wissen zu können, hatten Immo Karaman (Regie und Bühnenbild) und Fabian Posca (Choreografie und Kostüme) eine auch bei dem aktuellen Hintergrund überzeugenden, zudem erträglichen Zugang gefunden. Sie vermieden alles Realistische, es wäre wie andernorts nur böses Duplikat geworden. So wirkten die Bühne und das Geschehen darauf eher abstrakt oder symbolisch, zugleich dennoch ergreifend. Durch dunkles Schwarz und reines Weiß waren die Hebräer von den Philistern getrennt, selbst die Bühne und die Kostüme waren dem Muster unterworfen. Eine weiße Fläche wurde anfangs mittig auf dem schwarzen Bühnenkasten vom Boden weit hinaufgezogen. Sie wurde für Frank Böttchers Videos immer wieder optischer Handlungspartner. Im zweiten Bild verengte sich die Fläche zu einer Haussilhouette, im Inneren nicht mehr glatt, sondern zerknittert und dadurch verschieden grau getönt, während im Schlussakt das Weiß eine mehrstöckige schwarze Fensterfront überdeckte, ein Gefängnis für die Hebräer, ein Tempel für die Philister.

Die Kostüme machten keine Andeutungen auf irgendeine Zeit oder Mode. Schwarze oder weiße Anzüge trugen die Männer wie Frauen, ohne Hemd oder Weste darunter, alle dazu barfuß. Einzig die Gruppe, die tanzte, trat anders auf. Es waren Philister, die weiße, weich fließende und tief ausgeschnittene Kleider trugen, Männer wie Frauen. Dieser Unisex-Auftritt störte, weil er nur die Männer verweiblichte. Auf Nachfrage bei Fabian Posca, dem Choreografen, ergab sich, dass die Idee dazu dem verfilmten Roman „Richter und Narr“ von Vladimir Jabotinsky (über Samson und Dalila, 1927) geschuldet war. Ein Zitat aus dem Vorbild für das Drehbuch von Cecil B. DeMille mag das verdeutlichen, aber nicht das plakative Verweiblichen begründen: „Wie auf dem Platz vor dem Tempel Tausende junge Männer und Mädchen standen, alle in den gleichen weißen Gewändern, alle im gleichen Abstand zueinander, … die Augen fest auf den Zeremonienmeister gerichtet; wie ... [sie] im selben Augenblick die Hand hoben, sich vorbeugten, nach rechts und links ausschritten, sich um die eigene Achse drehten …!“ Das bestimmte die Choreografie bei allen Tanzauftritten, die faltenfrei in die Handlung eingefügt und nicht ein zusätzliches Amüsement waren. Auch für die Chorauftritte hatte die Regie wunderbar geschlossene Formen gefunden, gestisch oder pantomimisch Seelisches ausmalend und gleichzeitig einen Kontrapunkt zu Musik und Text setzend.

Intensiv die Musik

Erstaunlich aber, wie intensiv die Musik Saint-Saëns ausgedeutet wurde. Oft ist zu lesen, dass die rahmenden Akte dem mittleren unterlegen seien, diese Inszenierung lässt das verneinen. Ihre innere Konsequenz ist hier dicht, denn schlüssig verbinden sich Musik und Geschehen. Das aber kommt mit wenigen Requisiten aus. Stühle und ein Tisch sind da, unter dem Samson Schutz sucht und womit seine Angst vor der Weiblichkeit Dalilas bildlich umgesetzt wird, oder geheimnisvolle Schränke, in denen die Weiblichkeit der Philisterinnen klaustrophobisch eingeschlossen ist, um dann doch als Waffe eingesetzt zu werden. All das war am Abend weit entfernt von der Lebenswahrheit in Gaza, verwies dennoch darauf.

feines Solistenensemble

Bei allem bedrohlichen Hintergrund war die Oper rundum zu genießen, zumal die Sänger ihren Aufgaben allzeit voll gewachsen waren. Vor allem galt das für die zentrale Figur, für Dalila. Für Tatia Jibladze ist die Partie ein Novum, dennoch gestaltete sie sie mit ihrem sehr farbigen Mezzo außerordentlich fein. Ihr Gesang und ihr Spiel machte die Absicht der Regie deutlich, die Hauptrollen als zerbrochene Charaktere zu zeigen. Dalila muss einerseits die sich in Liebe Verzehrende sein, die andererseits ihre Weiblichkeit einsetzt, persönlich begründete Rache zu üben. Perfide getönt ist alles dadurch, dass ihr Handeln von außen gesteuert wird, kalter Verrat wird und darin kulminiert, dass sie den Geliebten körperlich zerstört. Es gibt für einen Alt wohl kaum eine vielseitigere Aufgabe, die mit dem „Mon cœur s’ouvre à ta voix“ dennoch jeder Aufführung einen musikalischen Höhepunkt setzt. Wie sie alle Nuancen dieses Charakters durchscheinen ließ, brachte Tatia Jibladze großen Beifall ein.

Und für Samson war es ähnlich. Die Partie fordert den Gast Andeka Gorrotxategi stimmlich als lyrischen Tenor heraus, der sich mit Dalila zwischen tiefer Zuneigung und innerem Widerstand, vermischt mit Pflichtgefühl auseinander zu setzen hat. Daneben musste er mit Heroenton sein Volk in die von Gott gewollte Richtung führen. Auch ihm gelang dieses Doppelspiel fesselnd.

Ein wichtiger Helfer im Spiel wurde Tomohiro Takada, der mit seinem kraftvollen Bass als Oberpriester des Dagon Dalila heftig zusetzte. Abimélech, Satrap von Gaza, gesungen von Changdai Park, hatte nur ein kurzes Bühnenleben, weil er Samsons Stärke spüren musste. Schließlich sei noch der immer wieder zuverlässige Bass Jörg Sabrowski genannt, der als ‚Alter Hebräer‘ Samson ins Gewissen zu reden hatte.

Zentral ist in diesem Werk der Chor. Er wird im Spiel wie im Gesang gefordert und hat viele Partien zu bewältigen. Ihn hatte Gerald Krammer wohlklingend einstudiert, wie auch Daniel Carlberg, der musikalische Leiter des Abends, das Philharmonische Orchester. In den Solopartien stachen die Klarinetten hervor wie auch die Blechbläser und die rauschhaften Harfen. So wurde Saint-Saëns vielschichtige Partitur differenziert und mit viel Ruhe und Klangschönheit umgesetzt.

Es wurde eine der geschlossensten Leistungen des Hauses seit langer Zeit und vom Publikum mit langem Applaus bedacht.

Ein weiteres Fazit

Ein Schriftzug verkündete zum Schluss auf dem Vorhang: „3000 Tote, darunter der Attentäter“. Das passte zu dem schwarzen Leichentuch, das alle Philister auf der Bühne begrub. Es sollen laut altem Testament 3000 gewesen sein. Ebenso passte es dazu, dass Samson als der erste Selbstmordattentäter gilt. Aber es passte auch zu den bösen Anschlägen 9/11 in den USA, bei denen 3000 Opfer gezählt wurden. Was diesmal zu befürchten ist, mag man nicht vorausdenken.

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