Am Theater Regensburg wurde Stefan Heuckes „Michael Kohlhaas“ als drastisches Körpertheater in Szene gesetzt. Der sprachlichen Wucht der Vorlage wurde die neue Oper dabei nur teilweise gerecht.
Unter Dauerdruck: Stefan Heuckes „Michael Kohlhaas“ in Regensburg uraufgeführt
Jeder könnte Kohlhaas werden, Kohlhaas sein. Aus der in Einheitsanzügen steckenden Gruppe schält einer sich heraus, wächst in die Rolle hinein, die er nicht gewählt hat. Sie hat auf ihn gewartet. Regisseur Philipp Westerbarkei macht aus Kleists berühmter, im 16. Jahrhundert angesiedelter Novelle weder einen Historienschinken noch eine heutige Bestandsaufnahme. Wie im Libretto angelegt, das Komponist Stefan Heucke und Chefdramaturg Ronny Scholz nach einer Theaterfassung von Franziska Steiof (mit erheblichen Kürzungen) erstellt haben, wird diese Kohlhaas-Oper zu einer zeitlosen Studie über einen brutal aus dem Ruder laufenden Akt der Selbstjustiz.
Das besondere an Steiofs und nun auch Heuckes Zugriff ist die Reduktion des Personals. Von den drei „Spielern“ ist nur einer auf eine Rolle festgelegt – die Titelfigur –, die anderen verkörpern im fliegenden Wechsel sämtliche anderen Personen. Für die Regensburger Uraufführung wurde dann aber wieder aufgestockt: Jene Abschnitte, die eigentlich von den drei Spielern (Tenor, Bariton, Mezzosopran) gemeinsam zu sprechen wären, übernimmt ein permanent sich um- und vor allem ausziehender Sprech- und Bewegungschor.
Dadurch ist szenisch dann doch einiges los: Da landen die übergroßen Pferdeköpfe ohne ihre Träger kurzerhand am Boden, nachdem die Kohlhaasischen Rappen vom Junker Tronka zugrunde gerichtet wurden, oder es stapeln sich, als des Rosskamms Rachefeldzug beginnt, immer mehr Leichensäcke auf der sehr schiefen Ebene, die die ansonsten leere Bühne beherrscht (Ausstattung: Kristopher Kempf). Vor allem aber sind die Choristen – die Studierenden der Akademie für Darstellende Kunst Bayern machen das ausgezeichnet – dafür zuständig, eine ironisch bittere, distanzierende Position zu Kohlhaas einzunehmen. Sein Schicksal wird in Westerbarkeis auf drastisch-blutige Effekte zielender Inszenierung zu groteskem Puppen- und Körpertheater.
Gleichwohl müsste der Fokus einer Kleist-Adaption wohl darauf liegen, auch etwas von der Sprachgewalt des Originals zu vermitteln. Das gelingt in den deklamierten Passagen, wird aber dort zum Problem, wo gesungen wird. Stefan Heucke ist ein Komponist, der sich als Fortschreiber der klassisch-romantischen Tradition in die Gegenwart versteht. In seiner musikalischen Sprache bleibt er trotz mancher Schroffheit der Konturen tonal geprägt und hat sich vorgenommen, das Drama durch wiederkehrende Motive (von einem anfangs vorgestellten Kohlhaas-Thema abgeleitet) und rhythmische Gesten voranzutreiben. Vor allem im ersten Teil ist es ein auf die Pferde als Ausgangspunkt des Ganzen anspielender, gleichsam galoppierender Rhythmus, der beinahe omnipräsent ist.
Ein Gegengewicht bildet ein an das Finale von Mozarts Prager Symphonie erinnerndes Motiv, das für das Räderwerk der Justiz steht, an dem Kohlhaas mehr und mehr (ver)zweifelt. Die auf eine fortschreitende Eskalation angelegte Dramaturgie funktioniert aber nicht so recht, weil die Dichte der Instrumentierung und damit die Lautstärke viel zu schnell zu hoch wird. Heucke beschäftigt das in klassischer Stärke an der Entstehungszeit der Vorlage orientierte Orchester fast permanent. Weil Tom Woods das Philharmonische Orchester außerdem nicht genügend zügelt, ist der Kleist’sche Text trotz hohen sängerischen Einsatzes oft nur in den Übertiteln präsent.
Nach der Pause funktioniert Heuckes Ansatz etwas besser. Nachdem die erste „Ballade“ (Herses Bericht über seine Misshandlung auf der Tronkenburg) im Dauerhochdruck fast untergegangen war, funktioniert die zweite erzählende Passage rund um die geheimnisvolle, in einer Kapsel um Kohlhaas’ Kopf baumelnde Weissagung als retardierendes Moment. Auch Luthers Auftritt – Heucke charakterisiert ihn naheliegend mit einem Zitat des Kirchenliedes „Wir glauben alle an einen Gott“ – bringt eine Beruhigung, die sich dann aber bald als trügerisch erweist. Atmosphärisch gelungen ist das Zwiegespräch mit der Wahrsagerin, weil diese entgegen der Partitur in doppelter Besetzung gesungen und geheimnisvoll verstärkt wird. Außerdem bringt hier der heruntergelassene Eiserne Vorhang mit einer Projektion zweier Gesichtshälften ein neues visuelles Element.
Dass der am Ende einhellig bejubelte Premierenabend trotz musikalischer Defizite einen beachtlichen Sog entwickelte, lag an dem mit unermüdlicher vokaler und darstellerischer Intensität agierenden Sängertrio: Paul Kmetsch als entsetzlicher Kohlhaas mit Zwischentönen sowie Benedikt Eder und Patrizia Häusermann mit aberwitziger Virtuosität im Jonglieren ihrer diversen Rollen leisteten Überragendes.
Ohne den in der Partitur vorgesehenen leisen Epilog endet die Regensburger Uraufführungsproduktion mit einem Knalleffekt: Den berühmten Satz aus Kleists letztem Brief vor seinem Selbstmord auf den Lippen wird Kohlhaas nicht hingerichtet, sondern stürzt sich in den Tod, nicht ohne vorher die letzten verbliebenen Menschen auf der Bühne gemeuchelt zu haben. Ihm war auf Erden nicht zu helfen.
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