Eine Idylle, könnte man auf den ersten Blick meinen. Ein Dörfchen wie aus einem Märchen hat Bühnenbildner Nikolaus Webern für „Jenůfa“ gebaut. Mit einer Kirche, ein paar pittoresken Häusern und einem zentralen Mühlrad. Nur das Pferd auf dem Dach irritiert. Leoš Janáčeks Ouvertüre „Zárvilost“ (Eifersucht) ist am Freiburger Theater der Oper vorangestellt. Regisseurin Kateryna Sokolova, die am Haus bereits „Rusalka“ und „Hänsel und Gretel“ bildstark inszenierte, erzählt gleich zu Beginn von den Rissen in der glatten Fassade, von den Abgründen der Figuren. Und von ihrer Vorgeschichte.

Die beigesternde Inga Schäfer und der spielstarke Opernchor, bevor die „Jenůfa“-Gemeinschaft endgültig zerbrochen ist. Foto: Laura Nickel
Unter schrecklichem Dur in eine ungewisse Zukunft – Janáčeks „Jenůfa“ am Theater Freiburg
Der verstorbene Mann der Küsterin Buryia (Johannes Kaffner) tritt hier im Prolog erstmals auf und wird im weiteren Verlauf der Oper als stummer Zeuge immer wieder auf die Bühne zurückkehren. Er steckt noch im grünen Hochzeitsanzug mit Nelke im Knopfloch (Kostüme: Constanza Meza-Lopehandia). Und erinnert die Küsterin (Eliška Weissová) an ihre eigenen Gewalterfahrungen in der Ehe. Ihr Trauma wird sichtbar.
Dann erst startet Janáčeks Oper mit den Tonrepetitionen im Xylophon, die das Klappern der Mühle suggerieren, aber auch eine nervöse Unruhe schaffen. Von Beginn an lässt das Philharmonische Orchester Freiburg unter der Leitung von Generalmusikdirektor André de Ridder eine Sogwirkung entstehen, der man sich nicht entziehen kann. Die lyrischen Passagen haben Wärme und Leuchtkraft, die kleinteiligen rhythmischen Motive Präzision und Plastizität. Der Streicherklang ist griffig und gut artikuliert, die Bläser fädeln sich perfekt in den musikalischen Fluss ein. Und wenn mal das Gewusel stoppt und eine der Schrecksekunden entstehen, die für die genaue musikalische Psychologie des tschechischen Komponisten so typisch sind, dann werden sie durch Lichtwechsel szenisch unterstützt.
Wie überhaupt Szene und Musik bei dieser herausragenden Produktion Hand in Hand gehen. Kurz bevor die Küsterin Jenufas Kind ertränkt, verschiebt das Volk die Wand des Zimmers, in der sie sich befindet. Der immer kleiner werdende Raum erzählt von ihrer inneren Bedrängnis, die schon vor der Tat in der Musik zu hören ist. Eliška Weissová verleiht der Küsterin mit ihrem voluminösen dramatischen Sopran enorme Präsenz. Selbst im Fortissimo liegt die Tschechin mühelos über dem Orchesterklang. Nur manches Mal, wenn ein zarter Streicherteppich ausgelegt wird, wünscht man sich von ihr eine etwas subtilere Gestaltung.

Das Ergebnis der innerlich zerfressenen Gesellschaft: Die Wassermühle brennt. Foto: Laura Nickel
Inga Schäfer hat als der Küsterin Ziehtochter Jenufa nicht nur Fragilität und Durchschlagskraft – sondern auch alles dazwischen. Darstellerisch erzielt die Freiburger Mezzosopranistin in jedem Moment Dringlichkeit. Ihr Gebet an die Mutter Gottes am Ende des zweiten Akts hat Weite, ihre Zusammenbrüche erschüttern. Der geliebte Stevra, Vater des Kindes, lässt Jenufa sitzen. Roberto Gionfriddo singt und spielt ihn als selbstbewussten, übergriffigen Geck mit Tenorglanz, Matte und grenzwertig langen Koteletten. Dem Stiefbruder Laca, der Jenufa aus Eifersucht mit einem Messer die Wange aufschlitzt, gibt die Regie ein lahmes Bein. Junbum Lee zeichnet Laca mit leuchtenden Farben und lyrischem Schmelz. Nur ganz am Ende fehlen dem Tenor ein paar Prozent an Intensität. Charis Peden als dunkel timbrierte alte Buryia, Mingyu Ahn als kraftvoller Altgesell und Cassandra Wright als glockenhell singender Hirtenjunge setzen in den gut besetzten Nebenrollen die stärksten Akzente. Im astrein singenden Chor (Leitung: Norbert Kleinschmidt) wird jedes Mitglied der Dorfgemeinschaft ganz individuell gezeichnet.
Im dritten Akt spitzt sich das Geschehen nochmals zu, als auf der Hochzeit von Jenufa und Laca das tote Kind im See gefunden wird. Hier lässt André de Ridder die Motive panisch aufeinanderprallen und die Dissonanzen schärfen. Zu den strahlenden Durakkorden am Ende bricht Jenufa zusammen. Die Mühle brennt. Und doch findet die versehrte Frau die Kraft, um mit Laca den Ort des Schreckens zu verlassen und mit zögernden Schritten einer ungewissen Zukunft entgegenzugehen.
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