Im Rahmen des hauseigenen Festivals „Aus den Fugen“ gastierte die britisch-iranische Komponistin und Turntablistin Shiva Feshareki am vergangenen Freitag im Konzerthaus Berlin und kreierte gemeinsam mit dem Konzerthausorchester unter Leitung von Titus Engel einen außergewöhnlichen Abend, in dem sich Stimmen, Instrumente, Geräusche und Raumklänge auf immer neue Art mischten.
Unterwegs in Ätherwelten – Berliner Konzerthaus: Deutsche Erstaufführung von „Still Point“ von Daphne Oram
Der pausenlos gestaltete Abend vereinte insgesamt drei Kompositionen, auf die Shiva Feshareki mit einer Solo-Improvisation einstimmte – das tat gut, um erst einmal die Ohren zu spitzen und sich auf die sich nun stetig verändernde Klangarchitektur im Konzerthaus einzulassen. Die Turntable-Künstlerin tritt mit eigenen Kompositionen und Improvisationen auf, ist aber auch als Interpretin und Kuratorin anderer Künstler beteiligt. Feshareki ist weniger in der Clubszene zu verorten denn an den Übergängen zur klassisch-komponierten Musik (die Grenzen sind heute eh fließend), somit auch bei den Elektro-Pionieren des 20. Jahrhunderts, die sie selbst auch erforscht und zum Klingen bringt.
Zu ihrem Interesse gelangte die Britin Daphne Oram (1925-2003), deren Werk und Wirken überhaupt erst einmal eine posthume Öffentlichkeit finden muss, denn sie stieß als Klangtechnikerin bei der BBC in den 50er und 60er-Jahren auf wenig Verständnis für ihre Experimente und gründete schließlich ein unabhängiges eigenes Studio, in dem sie – immer noch fernab von ihr gebührender Wahrnehmung – eigene Geräte („The Oramics Machine“), Synthesizer und Klangsysteme entwickelte.
Zu dieser Zeit war ihr großes Werk „Still Point“ für Orchester, Plattenspieler und Mikrofone, das am Freitag mit Feshareki als Solistin in deutscher Erstaufführung in Berlin erklang, schon zwanzig Jahre alt. Denn bereits 1948 dachte Oram über Live-Elektronik nach und bezog (man bedenke den damaligen technischen Aufwand) vorproduzierte Orchesteraufnahmen in das Stück mit ein, die live manipuliert werden sollten.
Feshareki rekonstruierte in Archiven die Materialien zu „Still Point“, richtete die Aufnahmen historisch korrekt ein und besorgte die Uraufführung 2018 in London. Das vierzigminütige Stück weist ein Doppelorchester auf, damit schon einen ersten Live-Stereo-Effekt, und durch die Aufnahmen des Gespielten und die Verteilung auf Lautsprecher im Raum kommt es quasi zur Bildung eines neuen Orchesterinstruments mit genauen Anweisungen von Oram zu Echos und Loops.
„Es ist ein Werk, das in seiner Nutzung von Raum, Akustik und Technologie so viele bahnbrechende Ideen vorweggenommen hat, ebenso wie eine Form der elektronischen Live-Manipulation mit Schallplatten und Plattenspielern, die es in der Konzertmusik nie wirklich gab – oder nicht einmal jetzt gibt.“ Shiva Feshareki über „Still Point“
Auch wenn der Ansatz der geschriebenen Komposition manchmal in den Stilen wild umherspringt (Oram war kompositorische Autodidaktin), kommt es zu einigen überraschenden Effekten und Brüchen in der Musik, die eben nicht mehr normal erklärbar scheinen, sondern Raum und Zeit in ganz eigenwilliger Weise betrachten. Insofern war der Ansatz von Shiva Feshareki, Daphne Oram ein eigenes Stück voranzustellen, das den (musikalisch-räumlichen) Äther in den Mittelpunkt des Geschehens rückt, sehr plausibel. Dieser medial wirkende, höchst lebendige Raum wurde von Obertongesängen und glissandierenden Stimmen ausgefüllt, die das Vocalconsort Berlin stimmstark von der Empore beisteuerte, während Sebastian Heindl an der Orgel eine Art galaktisch-aufwühlend Part hatte, weiterer Klangstoff kam von Fesharekis Pult hinzu.
Titus Engel steuerte mit ruhigem Dirigat dieses Werk in Josquin Desprez’ Motette „Qui habitat in adiutorio altissimi“ hinein, auf den sich „Aetherworld“ bereits bezogen hatte. Einzig an diesem Punkt hätte ich mir statt einer klassisch-frontalen Darbietung auch ein Desprez-Raumerlebnis gewünscht, doch hier waren auch natürliche Grenzen des Abends gesetzt, so wie man aus der Box des Konzerthauses eben auch akustischen Widerhall bekommt, der architektonisch und aus dem Material bestimmt ist. Beim Weiterspinnen würde man unweigerlich bei Xenakis landen, was ja auch die Bedeutung von Orams Pionierarbeit unterstreicht.
Insofern war das Gesamterlebnis packend, das auch in einer gespannten, durchaus spürbaren Konzentration im Konzerthausrund bestand, bei welcher man aufgrund der Neuartigkeit des Raum-Klangerlebnisses darauf bedacht war, ja nichts zu verpassen. Aber alle drei Stücke widmeten sich auch dem ruhigen, unabänderlichen Fluss der Zeit, insofern war trotz des Festivalmottos hier gar nichts aus den Fugen, sondern in wundersamer Weise entspannt-organisch in Raum und Zeit platziert.
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