Wer kennt sie nicht, die wohlfeilen Vorverurteilungen Neuer Musik, die in der Regel auf allzu punktuellen oder flüchtigen Einlassungen auf dieses den meisten Menschen unbekannte Terrain beruhen, die zuweilen aber auch als vorwurfsvolle Selbstkritik aus dem Inner Circle derjenigen laut werden, die sich professionell mit Neuer Musik befassen: Neue Musik sei selbstgenügsames ästhetizistisches L’Art pour l’art und jenseits aller drängenden Probleme der Zeit im schalldichten Elfenbeinturm nur mit der Selbstbespiegelung ihrer Materialien und eigenen Geschichte beschäftigt, mit der Folge, dass der gleichermaßen von Komponisten, Veranstaltern, Pädagogen, Journalisten und Wissenschaftlern geprägte Fachdiskurs mit seiner oft technizistisch verklausulierten Hermetik für Außenstehende kaum Einstiegsmöglichkeiten und Zugänge gestatte.
Abgesehen von Musik, die rein innermusikalisch durch strukturelle Brechung und Neubeleuchtung des Materials beim Hörer eine Neujustierung seines durch Erziehung, Bildung und Erfahrung geprägten Wahrnehmungs-, Deutungs- und Wertesystems hervorzurufen vermag, entstehen auch immer wieder Werke, die dezidiert Position zu außermusikalischen Themen beziehen und solche Stellungnahmen auch dem Publikum abverlangen.
Die am 7. Oktober in der Duisburger Mercatorhalle uraufgeführte „Musik für einen Kämpfer“ von Stefan Heucke entstand als Auftragswerk des Bistums Essen und ist ein Oratorium über Leben und Wirken des vor genau zehn Jahren von Papst Johannes Paul II. selig gesprochenen Bergarbeiters und siebenfachen Familienvaters Nikolaus Groß, der im Januar 1945 wegen Kritik am Nazi-Regime zum Tode verurteilt worden war. Unter zwanzig Uraufführungen präsentieren die Donaueschinger Musiktage vom 14. bis 16. Oktober auch ein Stück von Saed Haddad für Klarinette und Orchester mit dem doppeldeutigen Titel „Kontra-Gewalt“. Einzelne Schicksale, Kirchen und Themen übersteigt dagegen das aufs große Ganze zielende Oratorium „Weltethos“ für Sprecher, Chor, Kinderchor und Orchester von Jonathan Harvey. Der 1939 geborene englische Komponist verwendet darin Texte des 1928 geborenen schweizer katholischen Theologen Hans Küng, der wegen Kritik am Unfehlbarkeitsdogma des Papstes 1979 seine Lehrbefugnis als Professor für dogmatische und ökumenische Theologie an der Universität Tübingen verlor und – an seine Mitwirkung beim zweiten vatikanischen Konzil anknüpfend – im Rahmen seines 1990 initiierten Projekts „Weltethos“ zusammen mit Persönlichkeiten nicht-christlicher Religionsgemeinschaften grundsätzliche Fragen nach der Verantwortung von Religionen in der heutigen Welt zu beantworten sucht. Ob Harveys Ode auf das Ethos unseres Globus’ so etwas wie die 9. Symphonie des 21. Jahrhunderts ist, wird bei der Uraufführung am 13. Oktober in der Berliner Philharmonie zu erleben sein.
Weitere Uraufführungen
- 09.10.: Joana Wozny, Neues Orgelwerk, Festival Mixturen, Kunst-Station Sankt Peter Köln
- 14.10.: Márton Illés, Werk für zwei Klaviere zu acht Händen, Festspielhaus Hellerau
- 16.10.: Franz Zebinger, Anselm Schaufler, Gerhard Präsent, neue Klavierwerke, Palais Meran Graz
- 18.10.: Rodrigo López Klingenfuss, Brigitta Muntendorf, neue Stücke für das Ensemble Garage, Alte Feuerwache Köln
- 24.10.: Jan Masanetz, Neues Werk für zwei Klavier und Orchester, Festival Alpenklassik Bad Reichenhall
- 28./29.10.: John Cage, Eighty, Wolfgang von Schweinitz, Plainsound Counterpoint, musica viva, Herkulessaal Residenz München
- 30.10.: Naji Hakim, Augsburger Sinfonie, Deutsche Messe nach Martin Luther, St. Anna Augsburg