Wie modern war die Romantik? Immerhin war in der literarischen Romantik nicht alles nur Gefühl, Herzergießung, Schwärmen, Lieben, Ahnen, Sehnen…, sondern sprengten Dichter wie Ludwig Tieck, Novalis und die Gebrüder August Wilhelm und Friedrich Schlegel schon in den 1790er Jahren den klassischen Formenkanon, indem sie Epik, Lyrik und Dramatik verschränkten, mit Poesie zugleich Poetik und Philosophie betrieben, und durch ironische Brechungen für Selbstreferenzen des Materials und Mediums von Sprache, Kunst und Philosophie sorgten. Nicht weniger neuartig waren in den 1830er Jahren Robert Schumanns schnelle Folgen kontrastierender Miniaturen und formale Hybridbildungen wie Sonaten-Phantasie oder Kantaten-Konzert, sowie seine offenen Schlüsse, metrischen Ambivalenzen, harmonischen Schwebungen, übersteigerten Tempi, verrätselten Titel, Motti und Tonsymbole, Selbst- und Fremdzitate et cetera.
Und wie romantisch ist heute die Moderne? Auffallend ist immerhin, dass nach möglichst rigoroser Reinigung des Materials von historischen Besetzungen durch totale Durchkonstruktion sämtlicher Klangeigenschaften und spieltechnische Erweiterungen während der 1950er- und 60er-Jahre seit den 70er-Jahren immer mehr Komponisten wieder die ausdrückliche Nähe zu romantischen Traditionen suchen. Nachdem zunächst nur Künstler wie Aribert Reimann oder Wolfgang Rihm schon damals wieder Lieder oder gar Klavierlieder zu schreiben begannen, widmen sich seit geraumer Zeit immer mehr Komponisten der mittleren und jüngeren Generation dieser zuvor als reaktionär verschrienen, weil allzu stark mit Schubert, Löwe, Schumann, Wolf, Brahms und dem eingefahrenen Liederabend-Ritual identifizierten Gattung. In welcher Weise wohl diese neuen Lieder die Moderne romantisieren oder die Romantik modernisieren?
Beginnend am 1. September in Roggenburg (Baselland) gehen die Sopranistin Christine Simoka und der Pianist und Bariton René Wohlhauser mit ihrer dritten Ausgabe von „Neue Gesänge aus Europa“ auf Tournee durch sechs Städte in der Schweiz, Frankreich und Deutschland, unter anderem mit neuen Solo- und Klavierliedern von Wohlhauser, Max E. Keller und Jakub Sarwas.
Unter dem Motto „Auf Spuren der Romantik“ präsentiert am 8. September die Alte Oper Frankfurt neue Klavierlieder von Jay Schwartz, Nina Šenk, Amir Shpilman, Fabián Panisello, Dai Fujikura, David Fulmer und Keur Moussa. Schließlich werden beim ARD-Wettbewerb in München zwischen dem 6. und 21. September Manfred Trojahns „Vier Gesänge des Kaspar Hauser“ mit dem Titel „Ich will ein Reiter sein“ nach Texten von Rilke, Klabund, Verlaine und Trakl uraufgeführt.
Weitere Uraufführungen
- 05.09.: Charlotte Seither, Fünf Stücke um den Fluss zu queren für Orchester, Wilhelms-Gymnasium Kassel
- 13.–29.09.: Klangspuren Schwaz mit sechzehn neuen Werken von Komponisten aus Südkorea und vor allem Österreich
- 14.09.: Thomas Witzmann, Einfallswinkel/Brechung, Video-Musik-Theater über den Bau des Museums für Angewandte Kunst Köln
- 16.09.: Helmut Schmiedinger, … für den der heimlich lauschet, Kammermusik für Klavier und Orchester, Brucknerhaus Linz
- 17. und 19.09.: Salvatore Sciarrino, L’ideale lucente e le pagine rubate für Kammerorchester, und Mehmet Erhan Tanman, The Traffic für Orchester, Beethovenfest Bonn
- 25.09.: Jörg Widmann, Klavierkonzert, Auftakt-Fest Alte Oper Frankfurt
- 26.09.: Carlo Ciceri, ASPRA, Internationale Ensemble Modern Akademie, Musikhochschule Detmold