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Les Vêpres siciliennes: Erwin Schrott (Procida), SOL Dance Company. Foto: Wilfried Hösl.
Les Vêpres siciliennes: Erwin Schrott (Procida), SOL Dance Company. Foto: Wilfried Hösl.
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Verdi muss schon verbessert werden – „Les Vêpres siciliennes“ in München

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„Die Geschichte ist ein Schlachthaus“ hat Heiner Müller festgestellt. Das trifft auch auf die historische „Sizilianische Vesper“ von 1282, den blutigen Aufstand der Sizilianer gegen die französische Fremdherrschaft, zu. Daraus in der kritischen Rückschau einen Totentanz zu machen, könnte ein theatralisch fesselnder Kunstgriff sein, denn Giuseppe Verdi hat dazu 1855 eine mehrfach brachiale Musik komponiert, aus der Humanes wie eine Utopie melodiös aufleuchtet.

Mangelnde Sensibilität für differenzierte Musik

Dazu müsste sich das Produktionsteam nur auf das Werk einlassen. Davon war im Nationaltheater fast nichts zu erleben. Regisseur Antú Romero Nunes, dessen mangelnde Sensibilität für differenzierte Musik schon 2014 Rossinis „Guillaume Tell“ verunstaltete (vgl. nmz.de/online vom 29.06.2014), inszenierte das, was ihm anscheinend derzeit so in den Kopf kommt, unter Verwendung von Verdis Musik und auch anderem; der Dirigent machte alles mit; viel Geld für aufwändige Nebensächlichkeiten hat die Bayerische Staatsoper und die handwerklich fabulöse Technik des Hauses lieferte auch alles, was dem Nunes-Team da so einfiel – das gipfelte in einem Glasschrein, in dem die einst vergewaltigte Mutter der männlichen Hauptfigur von ihrem Gewalttäter wie eine Sternenkranz-Madonna in Formaldehyd „lebendig“ gehalten wurde; ihr Atem blubberte regelmäßig; dann lief das Konservierungsmittel nach unten ab – und die junge Frau wollte panisch aus ihrem Glaskäfig ausbrechen – weg vom Vergewaltiger? Oder hin zum Sohn? Hiermit wie auch sonst mehrfach war einem mitunter als „zweitrangig“ eingestuften Verdi eben mal so richtig Pep verliehen...

Zum zweiten Teil der Ouvertüre hob sich der dünne, stürmisch flatternde Zwischenvorhang. Vor einer im schwarzen Bühnenraum wabernden schwarzen Plastikfolie und sich in sie wie in ein schwarzes Meer hineinwerfend tanzte ein Junge mit heutiger roter Schwimmweste – sollte das die junge Waise Henri sein, der später entdecken muss, dass der bluttriefende französische Gouverneur Montfort sein Vergewaltiger-Vater ist? Oder soll das eine Stellungnahme zu den heutzutage an Siziliens Küsten ertrinkenden Flüchtlingskindern sein? Unklar. Alle Figuren bis auf den zwischen Vater und seiner Liebe schwankenden Henri, eben diese geliebte sizilianische Fürstin Hélène und der dogmatische Aufständische Procida tragen halbe bis ganze Totenköpfe, kommen in abgerissenen Klamotten wie Untote aus dem Bühnendunkel nach vorne.

Schlamassel von Gartenzwergen

Doch einen stilistisch irgendwie eindeutig geformten Totentanz bringen Regisseur Nunes und sein Jungchoreograph Dustin Klein prompt nicht zustande – wiederum gipfelnd in einem „innovativen“ Umgang mit der damals an der Pariser Oper auch für Verdi unumgänglichen Ballettmusik „Die vier Jahreszeiten“: in einer modernistischen Kümmer-Version der verfremdenden Kostüme des „Triadischen Balletts“ wurde da von acht vorher Untoten getanz-turnt. Dem folgte der absolute Kunst-Gipfel des Abends: eben weil die extra angeführte kritische Werkausgabe „modern“ sein musste, wummerte in Restfloskeln von Verdis Ballett-Komposition eine Techno-Synthesizer-„Sound Interference“ herein, Dirigent Omer Meir Wellber setzte dazu einen – schützenden oder Steuerkommandos empfangenden? - Kopfhörer auf… doch nur ein Pfiff kommentierte diesen Schlamassel von Gartenzwergen, die Verdi verbessern zu müssen sich anmaßten. War der Fakt, dass das mal beeindruckend brutal aufspielende, mal herrlich melodiös wärmende Bayerische Staatsorchester nach einmaligem Aufstehen am Ende sofort den Graben verließ, ein Kommentar zu all dem?

Keine erkennbare Personenregie

Die in von keiner erkennbaren Personenregie geführten Sänger besaßen Staatsopernniveau: voran Erwin Schrott (Procida), George Petean (Montfort) und Rachel Willis-Sørensen bis hin zu den kleinen Nebenpartien; Tenorheld Bryan Hymel begann ohne Ansage von Anfang an eng und bemüht, musste im 4.Akt aufgeben, spielte weiter und ließ sein Cover vom Pult am Bühnenportal weitersingen. Sie wurden zu Recht gefeiert, das Team um Regisseur Nunes kräftig angebuht, aber nicht von der Bühne gefegt – was signalisiert: das ach so kunstsinnige Gros des Münchner Premierenpublikums wird demnächst bejubeln, wenn in ein Streichquartett ein bisschen „Hot Chili Pepper“ eingelegt wird und das Team der Staatsgalerie die Bilder von Paul Klee mit Pinsel und Acryl-Pistole „aufbessert“…

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