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Lázaro Calderón, Opernchor des Mecklenburgischen Staatstheaters · Foto © Silke Winkler
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Vernutzung des Schrecklichen – Gounods „Margarethe“ in Schwerin

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Mit der vierten Arbeit des neuen Hausregisseurs Toni Burkhardt (38) beendet das Mecklenburgische Staatstheater Schwerin seine Indoor-Musiktheater-Saison, mit Charles Gounods Opéra lyrique „Margarethe“ (1869), eine große Ausstattungsoper, entlehnt aus Goethes „Faust“. Das sieht aus wie ein riesiges Arbeitspensum, täuscht aber, denn drei dieser Arbeiten sind Übernahmen aus dem Theater Nordhausen, dem vorherigen Wirkungsort des Regisseurs; so ungeniert ist das nicht üblich.

Auch die „Margarethe“ ist die punktgenaue Wiederaufnahme einer Nordhäuser Produktion vom September 2015, bis in die Besetzung der Hauptrollen. Das muss nicht schlecht sein, wenn die Sache von so exzellenter Qualität wäre, dass sie auch dem Schweriner Publikum, das in den letzten Jahren innovative und solide Opernkunst erleben konnte, gezeigt werden muss.

Ist sie aber nicht. Im Gegenteil: Sie ist die schwächste Leistung der Saison, durchgängig geprägt von einer gewissen Ärmlichkeit: in der Szenerie, im geistigen Konzept bis in die gesanglichen Leistungen hinein. Burkhardt verzichtet darauf, eine große Ausstattungsoper vorzuführen, platziert sie natürlich in der Gegenwart, lässt aber darin die gefühlsweiche Liebestragödie „Gretchens“ in den Verhaltensmustern und psychologischen Abläufen des 19. Jahrhunderts agieren, meist in opernhaften Darstellungsklischees, im permanenten Rampensingen. Auch hier ist Faust (Lázaro Calderón) wie schon bei Gounod nicht einer, der erkennen will, „was die Welt im Innersten zusammen hält“, sondern der nur ins Innerste Marguerites dringen will, verbrämt durch die poetische Prüderie des vorvorigen Jahrhunderts, bis er endlich vor dem begehrten Bett – lächerlicherweise – die Hosenträger fallen lässt.

Marguerite bleibt das bekannte naive, verführbare und erzkatholische „Blondchen“, wie es gar nicht in unsere Zeit passt. Die alte Geschichte bleibt alt, das Moderne ist ein aufgestülptes Kostüm, das nur weniger Aufwand (geistig und finanziell) erfordert als das ursprüngliche.

Dies gilt auch für das abstrakt-symbolische Bühnenbild von Wolfgang Kurima Rauschning, steril und glatt weiß und eckig, bis in die letzte Requisite, auch die Kostümierung des Chors (mit weißen Stahlhelmen!). Gewiss ein Einfall, der aber nicht ausgespielt wird. Ein zweiter isolierter Einfall solch billiger Aktualisierung ist der Versuch, in der „Walpurgisnacht“, die von Gounod als erotisierendes Bacchanale entworfen ist, Mephisto (Florian Kontschak), der sonst hier ein ziemlich dämonieloser Kerl ist, zum Urprinzip des Bösen hochzustilisieren, das durch Projektionen von Holocaust-Bildern, von Atomexplosionen und abgeschnittenen Köpfen repräsentiert wird – eine schon fast verantwortungslose Vernutzung des Schrecklichen, dazu wird auch noch eine Bücherverbrennung zelebriert, obwohl Bücher schon in der ersten Szene vom Thron der Weisheit gestürzt worden waren. Es gibt noch zwei, drei solcher Einfälle, die sich aber alle nicht zum stimmigen Ganzen fügen. Aus dieser Oper lässt sich eben kein Musikdrama machen, jedenfalls nicht eines, das in die Kernfragen unserer Zeit zielt, jedenfalls nicht mit dem, was hier geistig investiert wurde.

Bleibt die Musik, die die enorme Wirkung der Oper garantiert hat, ihr Wille zur lyrischen Entfaltung, die Sinnfälligkeit der melodischen Gebärde, elegant und auch ein wenig sentimental. Aber auch sie bleibt, infiziert von der Larmoyanz der Inszenierung, bestenfalls im mittelmäßigen Standard, von der Staatskapelle unter Kapellmeister Gregor Rot sehr direkt musiziert, von den Sängern überzeugt am meisten Tijana Grujic als Marguerite, die zumindest in der Schlussszene zu künstlerischer Dichte findet. Dort gibt es auch den letzten rätselhaften „Einfall“: Nachdem die wahnsinnige Marguerite sich den Dolch in den Bauch gerammt hat, mit dem Faust ihren Bruder Valentin (Yoontaek Rhim) getötet hatte, dann fromme Chorgesänge ihre Erlösung feiern, baut sich ein enttäuschter Schülerknabe Fausts, den man schon aus dem ersten Bild kennt, auf wie eine kleine Freiheitsstatue, den Dolch wie eine Fackel gereckt – ein Bild der Zukunft?

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