Konzerte mit neuer Musik gab es davor zwar auch, aber nicht in so konzentrierter Weise und in einem übergreifenden, das Verstehen fördernden Zusammenhang. Dazu galt es eine Menge Überzeugungsarbeit zu leisten und die Mauern in den Köpfen aufzubrechen. Eine im Zürcher Konzertleben so zentrale Institution wie die traditionsbewusste Tonhalle, die sich mit nichtakademischen Zeitgenossen stets äußerst schwer tat, brauchte einige Jahre, um den Wandel zu begreifen und sich den neuen Ideen zu öffnen. Heute führt das Festival mehrere der rund zehn Konzerte in ihren Räumen durch, und der goldene Stuck ist deswegen nicht von den Wänden gefallen.
Innerhalb eines Jahrzehnts haben sich die Tage für Neue Musik in Zürich einen festen Platz in der internationalen Festivallandschaft geschaffen. Ein Finanzierungsmix öffentlicher und privater Gelder und eine zuverlässige Kooperation mit dem Radio sorgten für die stabile Basis eine Programms, das unspektakulär, aber in wohldurchdachter Weise wichtige Strömungen der Gegenwartsmusik zur Darstellung brachte und damit die Defizite des schweizerischen Musikbetriebs zumindest partiell auszugleichen vermochte. Konzerte mit neuer Musik gab es davor zwar auch, aber nicht in so konzentrierter Weise und in einem übergreifenden, das Verstehen fördernden Zusammenhang. Dazu galt es eine Menge Überzeugungsarbeit zu leisten und die Mauern in den Köpfen aufzubrechen. Eine im Zürcher Konzertleben so zentrale Institution wie die traditionsbewusste Tonhalle, die sich mit nichtakademischen Zeitgenossen stets äußerst schwer tat, brauchte einige Jahre, um den Wandel zu begreifen und sich den neuen Ideen zu öffnen. Heute führt das Festival mehrere der rund zehn Konzerte in ihren Räumen durch, und der goldene Stuck ist deswegen nicht von den Wänden gefallen. Der Komponist Gérard Zinsstag hatte das Festival 1989 aus eigener Initiative heraus gegründet. Er setzte, mit Unterstützung seines Basler Kollegen Thomas Kessler und mit wechselnden Beratern, Schwerpunkte auf die Musik der französischen Spektralisten oder die Anfang der 90er-Jahre zugänglich gewordene russische Musik, porträtierte Komponisten wie Scelsi, Xenakis, Klaus Huber und Nono und schuf dem instrumentalen Theater eines Mauricio Kagel und Georges Aperghis eine Bühne.Mit kontinuierlicher Arbeit konnte er viele Informationslücken schließen und ein interessiertes und kritisches Publikum heranziehen. Das internationale Finanzzentrum Zürich hatte nun auch im marginalen Gebiet der Neuen Musik seinen Anschluss an die Welt gefunden. 1995 übergab Zinsstag die Leitung an den Zürcher Komponisten Walter Feldmann.
Dessen Konzept basiert weniger auf einer pluralistischen Vorstellung als auf der vertieften Information über einzelne, ihm wichtig erscheinende Entwicklungslinien, und das ist vor allem die des sogenannten Komplexismus.
Diese ästhetische Beschränkung geht natürlich auf Kosten anderer Richtungen und ist Feldmann in den vergangenen Jahren gelegentlich angekreidet worden. Doch die Konsequenz, mit der diese Ausrichtung geschieht, verleiht dem Festival ein Gesicht, auch wenn das eine oder andere, was da unter dem Schlagwort „komplex“ aufgetischt wird, sich eher als aufgekochter Rest postserieller Knäckebrotmahlzeiten der siebziger Jahre erweist denn als Fanfare einer aus den Ruinen des Fortschritts auferstandenen Moderne. Für Hörerfahrungen gegen den Zeitgeist eines leichteren Musikkonsums ist jedenfalls dieses Festival, das antizyklisch und hartnäckig an der Idee einer strukturell orientierten Moderne festhält, immer wieder gut. Werke der jüngeren Vergangenheit, die in den Augen der Veranstalter beispielhaft sind, werden in den Konzerten mit heutigen konfrontiert.
Diese Rolle war diesmal etwa den „Time and Motion Studies Nr. I–III“, drei Schlüsselwerken Ferneyhoughs aus den 70er-Jahren, zugedacht. Aus den 80er-Jahren erklangen die mehr klangschön als komplex wirkenden „Arie dissolute“ von Klaus K. Hübler – auch er wurde vor zwei Jahren ausgiebig porträtiert – und das am Rande der Selbstauflösung angesiedelte Orchesterstück „Staub“ von Helmut Lachenmann.
Ganz anders dagegen Lachenmanns jüngstes Klavierstück „Serynade“, dessen vielfältige Schichtungs- und Nachhallprozesse von Yukiko Sugawara zu fast greifbarer Körperlichkeit erweckt wurden. Ein Schwerpunkt mit fünf Werken galt dem 62-jährigen Schweizer Hans Ulrich Lehmann. Sein nun uraufgeführtes „Book of Songs“ bezieht die Inspiration vom experimentellen Sprachduktus des Textautors E.E. Cummings und führt die Vokaltechniken der Nachkriegsavantgarde weiter. Die Singstimme ist eingebettet in einen Instrumentalsatz, der mit seinen subtilen Liniengeflechten und auratisch verhallten Farbklängen Verbindlichkeit und atmosphärischen Reiz verströmt.
Die jüngere Generation war vertreten mit Namen wie Marco Stroppa, Andreas Dohmen und Gerald Eckert, bei der jüngsten fiel die 1968 geborene Schweizerin Annette Schmucki auf, die bei Spahlinger in Freiburg studiert hat. „knicken; dreiundvierzig scharniere zur beweglichen befestigung des unbekleideten sprachzustands für fünf frauenstimmen“ heißt ihr von den Neuen Vocalsolisten Stuttgart uraufgeführtes Werk. Auf ernsthaft-schräge Weise, mit reduziertem Vokabular und geschärftem Sinn für Sprache eröffnet es eine ganz eigene Klang- und Geisteswelt.
Den vielleicht stärksten Eindruck des Festivals hinterließen jedoch die „Quatre chants pour franchir le seuil“ (Vier Gesänge zum Überschreiten der Schwelle) für Sopran und fünfzehn Instrumente von Gérard Grisey. Es handelt sich um sein letztes Werk vor seinem überraschenden Tod Ende 1998. Die rund 40-minütige Komposition basiert auf Texten, die um das Thema des Todes kreisen und mythologische Dimensionen aufreißen. Grisey erfand dazu eine Musik von der Weite eines Mahlerschen Adagios, ohne den Anspruch auf konstruktive Strenge preiszugeben.
Magisch-rituelle Schlagzeugpassagen und dunkel eingefärbte Bläsersätze bilden den gespenstischen Klangraum für eine Sopranstimme, die mit ihrer geheimnisvollen Zeichenhaftigkeit die Gräberhieroglyphen nachzubilden scheint, auf die sich unter anderem bezieht – tönende Botschaften aus einer anderen Welt.