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Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin mit Vladimir Jurowski. Foto: © Kai Bienert
Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin mit Vladimir Jurowski. Foto: © Kai Bienert
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Versöhnung der Gegensätze im Klang – Das Musikfest Berlin ehrte Isang Yun

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Er war eine zentrale Figur des Westberliner Musiklebens, in der europäischen Avantgarde geachtet und geschätzt. Dennoch sah sich Isang Yun stets den Traditionen seiner koreanischen Heimat verbunden – in unterschiedlichen Ausprägungen, die von seiner jeweiligen Lebenssituation beeinflusst waren. Dabei wurde Yun auf spektakuläre und tragische Weise in politische Konflikte hineingezogen, deren Tragweite er als „Unpolitischer“ – wie er sich selbst sah“ – vielleicht gar nicht einschätzen konnte, denen nicht auszuweichen er aber als seine Menschen- und Friedenspflicht verstand.

Zum 100. Geburtstag des am 17. September 1917 nahe der heute südkoreanischen Hafenstadt Tongyeong geborenen Komponisten widmete ihm das Musikfest Berlin (in Zusammenarbeit mit der Internationalen Isang-Yun-Gesellschaft) einen umfangreichen Programmschwerpunkt; Konzerte für Orchester und Kammerensemble, ein Round-table, eine Ausstellung und ein Gesprächskonzert der Konzerthausreihe „2 x hören“ beleuchteten Leben und Werk komplex und vielschichtig. Ein Wermutstropfen, dass außer dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, in dem Vladimir Jurowski seinen fulminanten Einstand als neuer Orchesterchef mit den monumentalen „Dimensionen“ gab, sich keines der großen Berliner Orchester an der Yun-Hommage beteiligte. Die Berliner Philharmoniker waren es immerhin gewesen, die in den 80er Jahren seine 1. und 5. Sinfonie aus der Taufe hoben; das den Philharmonikern angehörige Scharoun-Ensemble spielte Yuns Oktett von 1978; das Radio-Sinfonie-Orchester Berlin (heute DSO) besorgte 1984 die Uraufführung der 2. Sinfonie.

Orchesterwerke „Réak“ und „Muak“

Umso erfreulicher, dem Geonggi Philharmonic Orchestra zu begegnen, einem sehr jungen, sehr weiblichen Klangkörper, in Asien, den USA und Europa erfolgreich. Unter der souverän-agilen Leitung der Südkoreanerin Shiyeon Sung war noch einmal „Réak“ zu erleben, jenes Orchesterwerk, mit dem Yun bei den Donaueschinger Musiktagen der internationale Durchbruch gelang. Dass er hier betörende, suggestive Klänge schuf und es damit ohne weiteres mit den damals favorisierten „Sonoristen“ à la Ligeti aufnehmen konnte, war ebenso zu spüren wie sein ganz eigener Weg dorthin. Denn hier schon geht es ihm um eine Vereinigung europäischer Avantgarde-Techniken mit koreanischen Traditionen. Mit einem koreanischen Kulturpreis ausgestattet kam Yun 1956 nach Paris, nahm aber bereits ein Jahr später ein Studium bei Boris Blacher in Berlin auf, der ihn zur Einbeziehung seiner koreanischen Wurzeln ermutigte, während er vom Schönberg-Schüler Josef Rufer Unterricht in Zwölftontechnik erhielt. „Réak“ setzt ihr die elftstimmigen Harmonien der ostasiatischen Mundorgel entgegen und verfolgt zugleich schon seine „Hauptton-Technik“, indem der Klangstrom sich stets einheitlich, aber mit winzigen Abweichungen bewegt, in enger Nachbarschaft der Töne eine „Heterophonie“ entsteht statt Polyphonie. „Muak“ – eine „tänzerische Fantasie für großes Orchester von 1978 – hinterließ in der Interpretation der Koreaner womöglich noch einen stärkeren Eindruck: ein humorvoller, sogar witziger Yun ist hier zu entdecken, der darin koreanische und europäische Tanzformen gegenüberstellt. Das Filigrane, sprunghaft Überraschende mündet in bedächtige, langgezogene Linien, kippt sogar um in eine Art Melancholie und führt so wieder zu einem beredten Ausdruck von Schmerz, einer klagenden Klangrede, wie sie sich in vielen Werken Yuns ausmachen lässt.

Isang Yuns Leben

Häufig ist man versucht, die schmerzliche Ausdruckgespanntheit von Yuns Musik aus seinen Lebensumständen herzuleiten: Sie waren von Anfang an durch die politischen Konflikte der Nachkriegszeit geprägt. Der Widerstand gegen die japanische Besatzung seiner damals noch ungeteilten koreanischen Heimat brachte dem 26jährigen zwei Monate Haft und Folter ein – ein fataler „Vorgeschmack“ auf das, was ihm 20 Jahre später geschehen sollte. Zeitlebens litt er unter der Teilung seines Landes, setzte sich für Demokratie und Verständigung ein. 1967 wurde der Komponist vom südkoreanischen Geheimdienst aus entführt und in einem Schauprozess wegen Hochverrats zu lebenslanger Haft verurteilt. Internationale Proteste erzwangen seine Freilassung – Yun konnte nach Berlin zurückkehren, wo er 1971 die deutsche Staatsbürgerschaft annahm. Ein „Round-Table“ der Isang-Yun-Gesellschaft und der Berliner Akademie der Künste versuchte unter dem Motto „Isang Yun heute“ die damaligen Vorfälle einzuordnen – immerhin erschien Yun nach Maßgabe des vorherrschenden Antikommunismus in einem Zwielicht, das sich angesichts der heutigen atomaren Bedrohung durch Nordkorea rechtfertigen ließe. Während Nordkorea ihn ans Herz drückte – fast amüsant angesichts der Tatsache, dass atonale Musik dort „verboten“ war, wie die frühere Botschafterin Doris Hertrampf bemerkte – war seine Musik in Südkorea verpönt, was sich dann auch auf die Rezeption in Deutschland auswirkte. Walter Wolfgang Sparrer von der Internationalen Yun-Gesellschaft wies darauf hin, dass es seinerzeit in Südkorea unter Strafe stand, mit einem Angehörigen des Nordens auch nur zu reden, während in der Bevölkerung der Wunsch nach Wiedervereinigung bestehen blieb.

Zur Kammermusik Isang Yuns

Allzu eindeutigen Klassifizierungen entgegenzuwirken, musikalische Vielschichtigkeit zu zeigen, das gelang auch einem Kammerkonzert, dessen authentische Interpretationen musikalische Weggefährten Yuns verbürgten – die Flötistin Roswitha Staege, der Pianist Holger Groschopp, die Oboistin Birgit Schmieder. Auch in seiner Kammermusik betreibt Yun die Vereinigung einander fremder Welten auf variable, immer neu erstaunende Weise: Im späten Quartett für Flöten (1986) durchpflügt er systematisch die Klangregionen, konfrontiert Hell und Dunkel in unerhörter Schärfe. Ying und Yang manifestieren sich hier. „Glissée“ für Violoncello solo füllt den zwölftönigen Klangraum mehr und mehr mit Glissandi auf, nähert sich so einer stufenlosen, eindringlichen Sprachähnlichkeit. Adele Bitter spielt die sanft appellierenden Glissandi, wispernden Pizzikati, insistierenden Trillerketten hochdifferenziert. Die Einheit der Gegensätze, in der selbständige Teile ein neues verschlungenes Ganzes bilden, beschwört schließlich „Images“ – 1968 im Gefängnis geschrieben, will das Stück ein musikalisches Abbild jener Tiergottheiten zeigenden Fresken sein, zu deren Besichtigung Yun seinerzeit nach Nordkorea gereist war. Was zunächst zwölftönig organisiert ist und mit den unverwechselbaren Klangcharakteren von Flöte, Oboe, Violine und Violoncello trennscharfe Dialoge eingeht, nähert sich in einem ständig von dunklen in hellere Regionen strebenden Prozess immer mehr einander an, bis eine fast völlige Verschmelzung erreicht ist, Klang quasi in Licht umschlägt. Die subtile Kraft dieser Musik bewegt zutiefst – gemäß der Lehre des Tao, der Yun anhing, wonach Bewegung in der Ruhe liegt und umgekehrt.


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