Wenn man mit den Programmverantwortlichen des Nürnberger Musikfests ION spricht, ist man schnell beim Grundsätzlichen: „Ein Festival zu leiten, bedeutet ein Bekenntnis zu dem Ort, zu den Menschen, zu Kooperationen. Es geht darum, sich zu fragen: Warum bist du in der Stadt, welche Verfasstheit triffst du an, wo gibt es lokale Akteure mit überregionaler Relevanz?“
Moritz Puschke, seit diesem Jahr vom Künstlerischen Leiter zum Geschäftsführenden Intendanten aufgestiegen, hat trotz oder gerade wegen der aktuellen Unwägbarkeiten eine klare Vorstellung davon, was ein Festival wie die ION leisten kann, ja leisten muss: „Gerade jetzt, wo die Gesellschaft so gespalten, so wund ist, können unsere Konzerte eine Plattform des Nachdenkens darüber sein, was ‚Musica sacra‘ heute bedeutet, wo sie für Trost und Zuversicht, also für urchristliche Attribute stehen kann.“
Für den 70. Jahrgang des traditionsreichen Festivals, der vor Corona einmal als klassische Jubiläumsausgabe mit großen, repräsentativen Formaten geplant war, bedeutet das, dass sich der „Transformationsprozess“, den die Macher mit den Worten des Dramaturgen Oliver Geisler „schon lange im Herzen getragen“ haben, nun sichtbar im Programm niederschlagen wird: „Unser Anspruch ist es, Impulsgeber zu sein, nicht eine Karawane, die weiterzieht. Wir schielen nicht auf die fünf Prozent Kulturtouristen aus dem fernen Ausland, was sonst gerne als die Königsdisziplin des Festivalmachens angesehen wird, sondern pflanzen uns in die Stadt. Wir vertrauen darauf, was vor Ort wächst, wollen Spuren hinterlassen.“ Statt der Pandemie mit „Schnelltests und Lüftungsanlagen hinterherzulaufen“, wolle man sie als „Möglichkeitsraum“ wahrnehmen und die ION entsprechend mehrdimensional und „im Flow“ statt statisch denken.
Was Geisler damit meint, wenn er von „exklusiven Produktionen“ und einer „längeren Verweildauer der Künstler vor Ort“ spricht, zeigt sich gleich im ersten Konzert, einem von zunächst sieben fest geplanten programmatischen Pflöcken, die das Musikfest ION unter dem Motto „heimkehren“ ab dem 25. Juni einschlägt: Die Sopranistin Anna Prohaska wird ihr Programm „Erlösung“ mit Werken von Johann Sebastian Bach zusammen mit der Lautten Compagney Berlin live exklusiv in Nürnberg präsentieren. Zu einer „aufwühlenden Erzählung verknüpft“ sollen „das Psychogramm eines isolierten Menschen“ entstehen und Wege aufgezeigt werden, „die aus diesem Zustand hinausführen“, so die Ankündigung.
Eine Eigenproduktion ist auch die Verknüpfung einer rein instrumentalen Streichquartett-Fassung des Mozart-Requiems aus dem 19. Jahrhundert mit dem „visual piano“ des Stuttgarter Lichtkünstlers Laurenz Theinert. Der Orgel – Instrument des Jahres 2021– widmet die ION einen stilistisch mehrdimensionalen Abend mit dem jungen Organisten Maximilian Schnaus, dem Duo ZIA (Orgel und Jazz-Trompete), das gemeinsam mit dem syrischen Ney-Spieler Mohamad Fityan „grenzüberschreitende Klänge auf der Suche nach Orten der Beheimatung“ entwickeln will, und dem Hammond-gestützten Trio „Organ Explosion“. Des Weiteren sind unter anderem Konzerte mit dem Windsbacher Knabenchor und dem Vokalensemble „Sjealla“ sowie eine Aufführung von Wilfried Hillers Oratorium „Schöpfung“ von 2017 geplant.
Wie genau die „Ausspielwege“ des Festivals neben den vielleicht möglichen Präsenzveranstaltungen aussehen werden, steht noch nicht endgültig fest. In jedem Fall wird aber der Bayerische Rundfunk wieder für eine Multiplikation sorgen, mit der die ION aus eigener Kraft nicht rechnen könnte. Außerdem werden die Macher erneut den virtuellen Dialog mit dem Publikum suchen, diese in den Konzerten selbst aber nicht so stark moderierend an die Hand nehmen wie im vergangenen Jahr, so Oliver Geisler, der wegen voraussichtlich nahezu tagesaktuellen Entscheidungen ausdrücklich auf die Homepage als verlässliche Informationsquelle verweist: https://musikfest-ion.de