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Young Euro Classic. Foto: Kai Bienert
Young Euro Classic. Foto: Kai Bienert
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Vertrauen in die künftigen Generationen – Eindrücke von Young Euro Classic 2015

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Seit seiner Gründung vor sechzehn Jahren hat das Festival Young Euro Classic einige Änderungen erfahren. Der Kreis der eingeladenen Jugendorchester sprengte bald die europäischen Grenzen. Auch die zunächst sehr niedrigen einheitlichen Eintrittspreise stiegen kontinuierlich an und sind mittlerweile in drei Kategorien unterteilt. Unverändert ist dagegen das Grundkonzept, das weiterhin künstlerisch von Dieter Rexroth und organisatorisch von Gabriele Minz verantwortet wird. Zu den Konstanten gehören das Konzerthaus Berlin als Schauplatz, die zu Beginn gespielte Festival-Hymne, die Begrüßung durch wechselnde Paten und die Künstlern und Sponsoren als Dank überreichten Sonnenblumen.

Die Paten sind in der Regel keine Musikfachleute, sondern bekannte Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Medien und Kultur. So führten im Jahr 2000 der Architekt Daniel Liebeskind und der Politiker Heiner Geißler in die Konzerte der internationalen Jugendorchester ein. In diesem Jahr war Steffen Seibert, der Sprecher der Bundesregierung, Pate beim Auftritt der Nationalen Jugendphilharmonie der Türkei. Die Filmproduzentin Regina Ziegler eröffnete das Konzert des Moritzburg Festival Orchesters und Dagmar Rein, die Intendantin des Rundfunks Berlin-Brandenburg, den Abend mit dem Nationaal Jeugd Orkest Symphony Orchestra.

Jugendphilharmonie der Türkei

Vertrauen in die Zukunft des Musiklebens und in die künftigen Generationen insgesamt – das ist für Gabriele Minz die wesentliche Botschaft dieses Festivals. Auch die Paten folgen dieser optimistischen Grundtendenz, weshalb Steffen Seibert bei seinem Grußwort jede Anspielung auf aktuelle politische Probleme mit der Türkei mied. Kein Wort war zu hören zur Syrien- oder Kurdenfrage. Obwohl im Saal keine Kopftuchträger zu entdecken waren, erwähnte er ein an diesem Abend besonders gemischtes Publikum. Direkt sprach Merkels Kommunikationschef die deutsch-türkische Komponistin Sinem Altan an, die seit Jahren zum Dialog der Kulturen beitrage und deren neues Werk er mit Spannung erwarte. Tatsächlich vermittelt die in Ankara geborene und in Berlin aufgewachsene Komponistin schon lange zwischen beiden Ländern. Elfjährig wurde sie Jungstudentin an der Berliner Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ und verknüpft seitdem in ihren Werken wie auch ihrem Ensemble „Olivinn“ Elemente der europäischen Klassik mit türkischer Volksmusik und Jazz. Solche Verbindungen gab es auch in Sinem Altans neuem Orchesterstück „Hafriyat – Earthwork“, das an diesem Abend zur Uraufführung kam.

Perkussive Ostinati des dunklen Blechs bildeten den Anfang. Was zunächst an Strawinskys „Sacre“ anzuklingen schien, gewann in Melos und Rhythmus allmählich türkisches Kolorit, bis das massive Orchestertutti plötzlich einer einstimmigen orientalischen Bläsermelodie wich. Diese Melodie wurde von dicken Blechbläserschwaden brutal zerquetscht, lebte aber in einem vielstimmigen Orchestergeflecht dennoch weiter. Die Komponistin deutete dies so: „Zum Ende hin scheint die ornamentale Einstimmigkeit über die vielfältigen kleinteiligen Figuren sich durchzusetzen, macht noch mehr Krach und schreit in die Höhe.“ In diesem orchestralen Schrei, mit dem das wirkungsvoll instrumentierte Stück endete, deutete sich dann doch die aktuellen Konflikte an, die Steffen Seibert so sorgfältig ausgespart hatte. Dazu Sinem Altan: „Dieser Schrei verkörpert einerseits die Kraft, die die Natur dem Menschen schenkt. Andererseits kann er aber auch ihr Hilferuf an die Menschen sein.“ Wenn auch das nur sieben Minuten dauernde Werk programmatisch nicht überfrachtet werden sollte, so erhielt die Komponistin doch ausgiebigen Beifall.

Die 2007 gegründete Jugendphilharmonie der Türkei, die seit 2008 schon mehrfach bei Young Euro Classic zu Gast war, wurde wieder von dem erfahrenen Dirigenten Cem Mansur geleitet. Bei Mussorgskis idyllischem Vorspiel zu „Der Jahrmarkt von Sorotschinzy“ erzielte er eine schöne Klangbalance des Orchesters, die dann allerdings Claude Debussys „Ibéria“ fehlte. Trotz klanglicher Vergröberungen beeindruckte die rhythmische Sicherheit der jungen Musiker und Musikerinnen im Alter von 16 bis 22 Jahren. Dies und die Beweglichkeit der Holz- und Blechbläser (nicht zuletzt der Trompeter!) kam Strawinskys „Petruschka“ zugute, während in den beiden Dvoƙák-Zugaben sich das überschäumende Temperament allzu ungehemmt auslebte.

Moritzburg Festival Orchester

Regina Ziegler machte auf das nachfolgende Konzert des Moritzburg Festival Orchesters neugierig, indem sie die Entstehung dieser Festspiele nach Art eines Märchens erzählte. Tatsächlich gehört das Schicksal des Cellisten Jan Vogler, der auf Initiative von Siegfried Palm schon 1988 zum Marlboro Festival in die USA eingeladen wurde, zu den glücklichsten Episoden der deutschen Wende. Das amerikanische Vorbild übertrug er auf sein eigenes Festival, das er 1996 in dem großen Barockschloss Moritzburg bei Dresden ins Leben rief. Regina Ziegler erwähnte die hier hängenden riesigen Jagdtrophäen und die 2006 eingerichtete Moritzburg Festival Akademie, für die jedes Jahr etwa 40 Musikstudenten aus aller Welt im Alter von 16 bis 26 Jahren ausgewählt werden.

Der im Unterschied zur türkischen Jugendphilharmonie höhere Altersdurchschnitt war der verbesserten Klangkultur anzumerken. Das Programm des Moritzburger Orchesters widmete sich der Wiener Klassik. Nach Jörg Widmanns Konzertouvertüre „Con brio“ stand Beethovens Klavierkonzert Nr. 4 G-Dur im Zentrum. Die Solistin Lise de la Salle hatte 2004 sechzehnjährig bei Young Euro Classic debütiert und schon damals mit ihrer klaren Artikulation eines Mozart-Konzerts auf sich aufmerksam gemacht hatte. Inzwischen ist die 1988 geborene Französin weiter gereift, wie schon der konzentriert und verinnerlicht gespielte Beginn von Beethovens op. 58 offenbarte, ebenso die große Solokadenz, in der sich die Tonrepetitionen des Themas zu Akkordrepetitionen zusammenballten. Im langsamen Satz antwortete die Pianistin zart und verhalten auf die groben Orchesterschläge, die hier die Unterwelt des Orpheus-Mythos symbolisierten und in der Schluß-Kadenz wiederkehrten. Den starken Beifall beantwortete Lise de la Salle mit dem subtil hingezauberten Debussy-Prélude „La fille aux cheveux de lin“.

Dass diese in klassischer Besetzung gespielte Beethoven-Interpretation in ihren Charakteren so plastisch geriet, war neben der Pianistin dem Dirigenten Milan Turkovic zu verdanken. Der ehemalige Fagottist in Nikolaus Harnoncourts Concentus Musicus übertrug hier wie abschließend bei Mozarts Jupiter-Symphonie seine langjährige Erfahrung mit historischer Aufführungspraxis auf die jungen Mitglieder des Orchesters.

Nationaal Jeugd Orkest Symphony Orchestra

Als Patin für den Auftritt des Nationaal Jeugd Orkest Symphony Orchestra hatte sich Dagmar Rein zur Verfügung gestellt. Da dieses internationale Jugendorchester aus den Niederlanden angereist kam, hob sie an zu einem Lob dieser Nation, die ihre kleine geographische Ausdehnung zu Größerem anspornte. Die Begrenztheit ihrer Heimat machte die Niederländer zu weltgewandten und sprachkundigen Seefahrern mit einer Kultur, um die sie auch größere Nationen beneiden. Mit dem Concertgebouw Orkest besitzen sie einen der weltbesten Klangkörper. Diesem Orchester hatte Richard Strauss einst seine Tondichtung „Ein Heldenleben“ gewidmet, ein opulentes Selbstporträt, das unsere Nachbarn – so Dagmar Rein schmunzelnd – in seiner auftrumpfenden Geste als typisch deutsch empfinden mögen.

Das Nationaal Jeugd Orkest Symphony Orchestra gehört zur NJO Summer Academy, die seit 2001 jährlich etwa 140 Studenten aus aller Welt zu verschiedenen Projekten einlädt. Diese Akademie war bereits mehrfach in Berlin zu Gast, 2004 mit einem Orchesterkonzert unter Leitung des Komponisten Thomas Adès, 2011 mit einer Produktion der Rossini-Oper „Il signor Bruschino“, 2012 mit Musik von Johann Sebastian Bach auf historischen Instrumenten und 2014 mit der Broadway-Operette „Die stumme Serenade“ von Erich Wolfgang Korngold. In diesem Jahr gastierte dieses durch Reinbert de Leeuw begründete Jugendprojekt, das inzwischen durch die chinesisch-amerikanische Dirigentin Xian Zhang geleitet wird, mit dem vollbesetzen Symphonieorchester.

In der ersten Programmhälfte stand mit Leonard Bernstein eine Persönlichkeit im Mittelpunkt, die sich besonders erfolgreich der Jugendarbeit und der Verbindung von Klassik und populärer Musik gewidmet hat. Bernsteins dreiteilige Tanzsuite aus dem Musical „On the Town“ (1945) ist in ihrem rhythmischen Elan eine wunderbare Herausforderung für anspruchsvolle Jugendorchester. Beweglich wie eine Gliederpuppe hielt der niederländische Dirigent Antony Hermus den Riesenapparat im Griff und sorgte dafür, dass die Blechbläser bei allem Temperament nie ins Knallige verfielen. Ein ganz anderes Bild bot sich danach im Posaunenkonzert, das Christopher Rouse 1991 dem eben verstorbenen Leonard Bernstein widmete. Bei diesem halbstündigen Werk, in dem zwei Adagio-Sätze ein lebhaftes Scherzo umrahmen, hatte der Komponist wohl eher den Mahler-Dirigenten Bernstein im Blick. Das Konzert begann aus der Stille und erweiterte die Phrasen des Solisten (sehr überzeugend: Sebastian Kemmer) allmählich zu großen Bögen, die dann in die Katastrophe einmündeten. Diese wirkte mit lärmenden Schlägen von Hammer und großer Trommel ebenso drastisch wie der rasch folgende choralhaft-süßliche Trost, was den starken Gesamteindruck aber kaum schmälerte.

Wie auch in anderen Jugendorchestern waren die Blechblasinstrumente fest in männlicher Hand, während bei den Streichern, vor allem den Violinen, Frauen dominierten. Im „Heldenleben“ brillierte die schlanke Konzertmeisterin in den Violinsoli, die Strauss der Darstellung der weiblichen Gefährtin gewidmet hatte, während acht Hörner prachtvoll den Herrschaftsanspruch des männlichen Helden unterstrichen. Der Dirigent wollte nach dieser umjubelten Interpretation keine Zugabe mehr zulassen, womit sich die jungen Musiker nicht zufrieden gaben. Auch als Antony Hermus und die meisten Zuhörer längst gegangen waren, blieben sie noch auf der Bühne des Konzerthauses, spielten dort in kleinen Gruppen weiter und tanzten. Bruchlos leiteten sie das Konzert, das sie zuvor in großer Disziplin absolviert hatten, in eine Party über. Wie bei Bernstein waren hier Ernst und Unterhaltung, Bildung und Spaß, keine Gegensätze mehr. 

Weitere Konzerte von Young Euro Classic folgen noch bis zum 23. August.

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