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Video- statt Opern-Postapokalypse: Aus Köcks & Hübners „revenants&revolutions“ wurde „A Future Game“. Foto: Roland H. Dippel
Video- statt Opern-Postapokalypse: Aus Köcks & Hübners „revenants&revolutions“ wurde „A Future Game“. Foto: Roland H. Dippel
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Video- statt Opern-Postapokalypse: Aus Köcks & Hübners „revenants&revolutions“ wurde „A Future Game“

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Der Suhrkamp Verlag nennt nicht mehr die wegen Corona 2020 geplatzte Premiere im Opernhaus Halle oder die riesige begehbare Installation bei der Münchner Biennale für Neues Musiktheater 2022 als Uraufführungsdatum von „opera opera opera! revenants&revolutions“. Das als Bühnenwerk gedachte, aber als solches bisher unaufgeführte Musiktheater war der Ursprung zum digitalen Videospielessay „Opera – A Future Game“, das derzeit in deutschen Zentren performativer Gegenwartskulturen zu sehen ist.

Die Uraufführung des bearbeiteten Textes von Thomas Köck war am 24. November 2022 die Erstveröffentlichung auf dem Next Level Festival for Games. Seither geht die entmenschlichte und damit entschlackte Version des groß dimensionierten Opernprojekts nach Hellerau, vom 30. Juni bis 2. Juli an die Münchner Kammerspiele, dann nach Wien und Münster.

„Nach der totalen Personenreduzierung fügen wir in diese Version wieder menschliche Akteure hinzu.“ sagt Michael von zur Mühlen, der das Uraufführungsprojekt der Bühnen Halle seit 2017 und dessen Metamorphosen im Produktionsteam als Regisseur und Dramaturg begleitete. Die Oper Halle und die Münchener Biennale für Neues Musiktheater hatten den Komponist Ole Hübner und den Autor Thomas Köck beauftragt. Die Premiere der Koproduktion wurde wegen der Pandemie zuerst verschoben. Dann verzichtete der neue, 2021 angetretene Intendant der Oper Halle auf das gewaltige Opus von 150 Minuten, für das vor der Pandemie 50 Chorproben stattfanden.

Damit setzte eine in diesem Umfang ungewöhnliche Transformation des personell und technisch äußerst aufwändigen Projekts ein. Die Bühnenbilder und Videos von Martin Miotk wurden zum Ambiente der begehbaren Installation, die 2022 auf der riesigen Fläche der Utopia Halle bei der Münchner Biennale großen Effekt machte. Vieles von dem Material, das auch im Videogame zu sehen ist, gab es bereits dort. Die Startup ZIMMT in Leipzig der gegenwärtige Schauplatz des postapokalyptischen Dramas mit höchst gegenwartsbezogenen Bebilderungen. Es liegt im Leipziger Osten in Nähe zur berüchtigten Eisenbahn-Straße. Und es könnte als „offenes Klanglabor“ zu einer spannenden, ambitionierten Bereicherung der in Sachen Neue Musik durchaus entwicklungsfähigen Musikstadt werden.

Der Raum des ZIMMT ist nicht sonderlich groß. So fehlen hier zwar Miotks Politikerfiguren als Dekorationselement im Eingangsbereich zum „Festlichen Opernabend“. Aber sonst ist alles Wesentliche da. Vor allem ein Screen-Triptychon für die aus der Einspielung einer großen Szenenfolge durch den MDR Chor, dem Bühnenbild und Videosequenzen der Ausstattung gewonnenen Destillate. Dass Ole Hübner für den Dialog des Cyborg und die Avatar-Konserven des vernichteten Opernchors in Köcks Textbuch eine atonale und dabei üppig-schwelgerische Partitur komponierte, kann man im Nachhinein als Hellsichtigkeit feiern: Der Übergang aus der echten Oper vollzieht sich nahezu elegant und so, als hätte man nie etwas anderes vorgehabt als den Sprung vom Schöpfungsprozess direkt in die Multimedialität – ohne Zwischenstopp in der physischen Vormodernität eines echten Opernhauses.

Die Anwesenden sitzen auf dem Boden und stehen reihum, Personen können im Sessel mit Spielkonsole Platz nehmen und navigieren, aus Miotks visuellem Speicher selektieren, Perspektiven verschieben und Panoramen wechseln. Auf einem Prospekt sieht man digitale Abbilder des Opernchors. Miotks trashige Kostümkreationen wagen sich fast bis zur Brachial-Groteske vor, halten doch kurz vor dieser inne. Das meint mit meist unkenntlichen Gesichtern der Avatare auch eine rauschhafte Auflösung von Individualitäten in schreiender Buntheit, genderfluiden Designs und Bindungslosigkeit.

Einige Bildmotive wiederholen sich und werden variiert – fast so wie sinfonische Entwicklungen, die in Hübners panoramischen Akkordflächen aufscheinen. Miotks Opernhaus wächst dazu ins Monumentale und sieht dann so aus wie Palastgebilde einer Space Opera. Ein nicht endender Autoparkplatz mit Neonlichtern steht für die Ödnis der kontemporären Industriegesellschaften, deren Luftreigen später zu Turbulenzen kurz vor ihrer Auslöschung führt. So gelungen die Metamorphose durch verschiedene performative Genres auch ist: Eigentlich sollte die Erstfassung doch noch an ein Theater, im Idealfall größeres Mehrspartentheater oder Opernhaus finden. Sonst bleibt dieser Abgesang auf die Kunstform Oper „nur“ der spektakuläre Beitrag zu Transformationserfahrungen zwischen physischem Pulsieren und einer digitalisierten Kunstschöpfung mit performativer Ausrichtung. Mit dieser sollte man es bei diesem Projekt aber nicht bewenden lassen, selbst wenn mit dem Werkkomplex „opera!opera!opera!“ ein neues Kapitel der Transfer-Kommunikation zwischen Musiktheater und Medien beginnt.


  • Bis 11.6. 2023 ZIMMT / Leipzig. Weitere Termine für u.a. 30. Juni bis 2. Juli Münchner Kammerspiele , danach Hamburg, Wien und Münster. – Game Design, Regie und Animation: Michael v. zur Mühlen – Raum und Ausstattung: Martin Miotk – Kamera und Schnitt: Stefan Bischoff – Sounddesign: Paul Hauptmeier und Martin Recker. Mit Bild- und Tonaufnahmen von Michael Taylor, Robert Sellier, Michael Zehe, Miriam Knackstedt, Philine Götz, Opernchor Halle, Kinder- und Jugendchor der Oper Halle, Staatsorchester Halle. – MDR KLASSIK-Produktion von Ausschnitten aus der Oper, September 2020 in Halle. – Musikalische Leitung: Michael Wendeberg – Tonmeister: Michael Leverkus. Eine Kooperation des NRW KULTURsekretariats und des Next Level Festival for Games mit HELLERAU – Europäisches Zentrum der Künste – Premiere 25.11.2022, Next Level Festival Essen / 24.3.2023 Festspielhaus Hellerau. Das zugrundeliegende Werk „opera, opera, opera! revenants&revolutions“ ist eine Auftragskomposition und ein Libretto der Landeshauptstadt München für die Münchener Biennale Koproduktion der Münchener Biennale mit der Oper Halle 2020-2022

 

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