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Viele Gesichter einer wenig bekannten Kulturlandschaft

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Reykjavík präsentiert sich als europäische Kulturhauptstadt
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In diesem Sinne haben die Kulturverantwortlichen der isländischen Metropole Reykjavík, zur Zeit der neun europäischen Kulturhauptstädte, die Naturelemente „Erde, Feuer, Wasser und Luft“ zum Leitmotiv ihres ganzjährigen Programmspektrums „Reykjavík 2000“ erhoben. Der effektvolle Auftakt fand Ende Januar statt: Inmitten der ohnehin bisweilen surrealistisch anmutenden Landschaft hatte der italienische Performance-Künstler Claudio Parmiggiani einen symbolischen Leuchtturm errichtet und unter freiem Himmel eine Hommage an Island rezitiert. Mit mehr als 250 Programmpunkten (darunter Neue und traditionelle Musik, Literatur,Tanz, Film, Ausstellungen und Open-Air-Veranstaltungen) dokumentieren die Isländer die Leistungsstärke und Dynamik ihres in alten Traditionen verwurzelten, doch im Grunde jungen Kulturlebens, das sich erst seit der Unabhängigkeit des Landes 1944 voll entfalten konnte.

Der isländische Schriftsteller und Nobelpreisträger Haldór Laxness hat seine Heimat einmal als das Land bezeichnet, wo das Feuer zu Erde, die Erde zu Wasser, das Wasser zu Luft und die Luft zu Geist geworden ist. Tatsächlich darf man annehmen, dass das geradezu dramatische Naturszenario Islands mit seinen vielen Gesichtern, den eigenartigen Gebirgsketten, Gletschern, Lavawüsten und gewaltigen Wasserfällen den Geist und das Denken der hier lebenden Menschen geprägt hat und dass sich seine Wirkung auch in der Dichtkunst und im Musikschaffen mehr oder weniger widerspiegelt. In diesem Sinne haben die Kulturverantwortlichen der isländischen Metropole Reykjavík, zur Zeit der neun europäischen Kulturhauptstädte, die Naturelemente „Erde, Feuer, Wasser und Luft“ zum Leitmotiv ihres ganzjährigen Programmspektrums „Reykjavík 2000“ erhoben. Der effektvolle Auftakt fand Ende Januar statt: Inmitten der ohnehin bisweilen surrealistisch anmutenden Landschaft hatte der italienische Performance-Künstler Claudio Parmiggiani einen symbolischen Leuchtturm errichtet und unter freiem Himmel eine Hommage an Island rezitiert. Mit mehr als 250 Programmpunkten (darunter Neue und traditionelle Musik, Literatur,Tanz, Film, Ausstellungen und Open-Air-Veranstaltungen) dokumentieren die Isländer die Leistungsstärke und Dynamik ihres in alten Traditionen verwurzelten, doch im Grunde jungen Kulturlebens, das sich erst seit der Unabhängigkeit des Landes 1944 voll entfalten konnte. Erstaunlich hoch im Angebot von „Reykjavík 2000“ ist der Musikanteil, insbesondere an Neuer Musik. Die ganze Garde zeitgenössischer Komponisten kommt zu Wort: darunter Haflidi Hallgrímsson (Jahrgang 1941), Haukur Tómasson (Jahrgang 1960) , Atli Ingólfsson (Jahrgang v1962) und Kjartan Ólafsson (Jahrgang 1958) – um nur einige der bedeutendsten zu nennen. Wenn sie sich auch durchgehend einem stilistischen Pluralismus verpflichtet fühlen, so ist ihnen doch etwas Gemeinsames zu eigen: Einerseits ist die nicht selten durchschimmernde Inspiration durch die erwähnte Allgegenwart der Natur zu spüren, andererseits ist es die stoffliche Nähe zur Tradition der berühmten Sagas und der damit verbundenen jahrhundertealten Tvísöngur- und Rímur-Gesänge. Auf ihren seit über 1.000 Jahren kaum veränderten Schatz der Sprache sind die Isländer zu Recht besonders stolz. Nicht zuletzt Thor Vilhjálmsson (mit seinen über 30 Romanen der „Grand Old Man“ der isländischen Literatur und gewissermaßen Nachfolger von Halldór Laxness) verweist immer wieder auf den Reichtum der isländischen Sprache und eben auch auf ihre Musikalität.

Davon früh beeinflusst wurde Jón Leifs (Jahrgang 1899), der für Island eine ähnlich historische Schlüsselposition einnimmt wie einst Grieg, Sibelius oder Nielsen jeweils für ihre Nationen. Zu Leifs vielgestaltigem Nachlass zählt das musikalische Drama „Baldur“, das das immer währende Konfliktpotenzial zwischen dem Guten und dem Bösen aus der nordischen Mythologie thematisiert. Die Partitur von „Baldur“ blieb nach Leifs’ Tod 1968 in Folge von allerlei Besetzungsschwierigkeiten liegen und gelangt jetzt im Rahmen von „Reykjavík 2000“ als Ballett – und damit zur Uraufführung deklariert – in der Choreografie des Finnen Jorma Uotinen und unter der musikalischen Leitung von Leif Segerstam auf die Bühne.

Jón Leifs gilt auch als wichtigster Erbauer und Organisator des heute eindrucksvoll pulsierenden isländischen Musiklebens, das – bei einer Gesamtbevölkerung von nur knapp 280.000 Einwohnern, davon rund 120.000 in der Hauptstadt – über sämtliche nur denkbaren Standardeinrichtungen zwischen Oper, Theater und Sinfonieorchester verfügt.

Runde Jubiläen wie die jeweils fünfzig Jahre zurückliegenden Gründungsdaten des Nationaltheaters und des „Island Sinfonie-Orchesters“, das ebenfalls von „Reykjavík 2000“ mit weitgefächerten Konzertreihen gewürdigt wird, vergegenwärtigen die rasche Entwicklung der isländischen Musikkultur.

Jubiläen, so fällt dem ausländischen Besucher auf, drängen sich in der nördlichsten Haupstadt der Welt derzeit in bemerkenswerter Dichte. „Reykjavík 2000“ erinnert an die von Island ausgehende Entdeckung Amerikas vor eintausend Jahren durch den Wikinger Leif Eriksson und mehr noch an die vor ebenfalls eintausend Jahren weitgehend vollzogene Christianisierung des Landes, die am legendären Parlamentsort Thingvellir (dem tektonischen Niemandsland zwischen der amerikanischen und der afrikanischen Erdplatte) fast zu einem Bürgerkrieg geführt hätte. Aus dieser Thematik wurde als weit ausgreifendes, historisches Tableau ein Libretto geformt, das der Komponist Atli Heimir Sveinsson (Jahrgang 1938) für die Bühne vertont hat. Sveinsson, unter anderem Schüler von Bernd Alois Zimmermann und Karlheinz Stockhausen, erscheint heutzutage mit seinem Gesamtwerk, den Opern, Konzerten und stilistisch vielschillernden kleinen Formen, mit seinen Ämtern, Funktionen und internationalen Auszeichnungen als der Repräsentant der gegenwärtigen isländischen Musikkultur. Sein neues Bühnenwerk wird gegen Ende des Jahres uraufgeführt werden und vielleicht den Stellenwert einer Nationaloper einnehmen.

Doch die Isländer beziehen sich in ihrem künstlerischen Schaffen nicht nur auf das eigene Land. Ihrer betont kosmopolitischen Haltung entsprechend hat sich Reykjavík, einst eine relativ geschlossene Stadtgesellschaft, längst internationalen Einflüssen geöffnet. Beispielhaft dafür mag ein weiteres Großprojekt von „Reykjavík 2000“ sein, das geplante Spektakel „Voices“, die „Stimmen Europas“ mit hunderten von Chorsängern aus sämtlichen neun Kulturhauptstädten und einer Palette von ganz unterschiedlichen, kontrastreichen Werken – darunter eine Uraufführung des estnischen Komponisten Arvo Pärt und ganz eigenwillige Arrangements der isländischen Jazz- und Popsängerin Björk.

Eine Reise nach Island mag aufwändig und kostspielig sein, doch wer zumindest Kostproben vieler der genannten kulturellen Aktivitäten genießen möchte, kann den Nationentag (30.8.2000) der Isländer in ihrem eigenen Pavillon auf der EXPO 2000 in Hannover nutzen.

 

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